Heute verblasst die Erinnerung an die Finanz- und Eurozonenkrise bereits. In Europa gibt es wieder solides Wachstum, Arbeitsplätze werden geschaffen und neue Unternehmen gegründet. Dies sollte euphorisch stimmen. Aber warum ist das nicht der Fall?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens wachsen einige Wirtschaften, während andere weiterhin stagnieren oder schrumpfen. Zweitens findet die Erholung des Arbeitsmarktes hauptsächlich in Form von Teilzeitstellen und prekären Arbeitsverhältnissen statt. Drittens werden die ArbeitnehmerInnen nicht mit Gehaltserhöhungen an der wirtschaftlichen Erholung beteiligt. Und viertens muss sehr viel mehr getan werden, um sicherzustellen, dass die nächste Rezession nicht ebenso schwer wird wie die letzte. Benchmarking Working Europe 2018, die jährliche Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Europa, die das ETUI herausgibt, fand trotz der Euphorie, die sich unter EntscheidungsträgerInnen breitmacht, viele Gründe zur Beunruhigung.
Wachstum für alle?
Erstens die Wirtschaft. Während neue makroökonomische Indikatoren in ganz Europa einen leichten Anstieg im BIP-Wachstum verzeichnen, sollten die positiven Zahlen der vorhergehenden langen Stagnationsphase und/oder dem negativen Wachstum gegenübergestellt werden, die aufgeholt werden müssen. Außerdem ist die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation nicht überall gleich. Obwohl einkommensstärkere Länder die Krise scheinbar hinter sich gelassen haben, ist das bei anderen nicht der Fall. Während die Länder im Nordwesten, Süden und Osten des europäischen Kontinents sich in der Zeit vor der Krise tendenziell aneinander angenähert hatten, ist diese Entwicklung seitdem wieder rückläufig.
Die Analyse des ETUI zeigt, dass das durchschnittliche BIP-Wachstum pro Kopf in der Krisenzeit zwischen 2008 und 2016 in acht Ländern negativ war und in sieben weiteren gegen Null ging (siehe folgende Grafik). Sie unterstreicht die stark regionalen Dimensionen dieser Unterschiede. Während die mehrheitlich zentral- und osteuropäischen Länder, die der EU nach 2004 beigetreten sind, zu den reicheren nordwestlichen Ländern aufgeholt haben, vergrößert sich jetzt der Abstand zwischen diesen Mitgliedstaaten und den ärmeren Wirtschaften im Süden.