Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs vom 27./28. Juni 2013 ging mit einer enttäuschenden Abschlusserklärung zu Ende. Angekündigt war er als Gipfel, der deutliche Schritte zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und die notwendigen Wachstumsmaßnahmen anstoßen werde. Übrig blieben aufgewärmte Beschlüsse, die den bereits vor einem Jahr beschlossenen Pakt für Wachstum und Beschäftigung, der schon damals diesen Namen nicht verdiente, wiederbeleben und die Durchführung der Pilotphase von Projektanleihen („Eurobonds“) beschleunigen. Bereits im Juni 2012 hat der Europäische Rat diese Schritte inklusive der Aufstockung des Eigenkapitals für die Europäische Investitionsbank beschlossen. Ein Jahr später wird in der Abschlusserklärung so getan, als handle es sich bei denselben Maßnahmen um einen „neuen Investitionsplan für Europa“.
Bereits vor Beginn des Gipfels präsentierten EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und der irische EU-Ratsvorsitzende Enda Kenny die Einigung zum Finanzrahmen 2014-2020. Dieses Kürzungsbudget ist eine vertanene Chance für die Zukunft Europas. Es reicht einerseits nicht aus, um die Herausforderungen der Krise zu bewältigen. Es wird auf Jahre hinaus zu wenig Geld für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, für Wachstum und Beschäftigung, für Forschung und Entwicklung und für die dringend notwendige Kehrtwende hin zu nachhaltigem Wirtschaften geben. Das vorhandene Geld wird andererseits auch für die falschen Bereiche ausgegeben, so dass die Ausgabenstrukturen auf Jahre hinaus einzementiert werden. So etwa bleibt die Agroindustrie von Kürzungen weitgehend verschont, und die europäische Nuklearforschung verschlingt Unsummen an Geld. Geld, das an anderer Stelle dringend für Beschäftigungsimpulse oder eine Energiewende fehlt.
Zu wenig Geld für Jugendbeschäftigung
Die 6 Mrd. Euro, die im mehrjährigen Finanzrahmen für die Jugendbeschäftigungsinitiative ursprünglich für den Zeitraum 2014-2020 vorgesehen waren, werden nun vorgezogen. Sie sollen bereits 2014/15 eingesetzt werden. Angesichts von etwa 5,6 Millionen arbeitslosen Jugendlichen in der EU ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bekanntlich sind nur 3 Mrd. Euro davon frisches Geld, der Rest wird dem chronisch unterfinanzierten Europäischen Sozialfonds entzogen. Überdies ist die Finanzierung der Jugendbeschäftigungsinitiative für die Jahre danach keineswegs gesichert, da sie aus übrig gebliebenen Mitteln des Finanzrahmens zusammengekratzt werden muss.
Dringend nötige Wachstumsstrategie fehlt
Entschiedenes Handeln sieht angesichts der gravierenden Probleme jedenfalls anders aus. Es fokussiert sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene auf eine nachhaltige Wachstumsstrategie, für die einerseits entsprechende Mittel für Klimaschutz, Energiewende und Ressourceneffizienz und andererseits für den Ausbau von sozialen Dienstleistungen in die Hand zu nehmen sind. Durch entschlossene Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung bzw. -betrug sowie durch die Schließung von Steueroasen könnte eine solche Strategie finanziert werden. Nach Angaben der Europäischen Kommission entgehen der EU dadurch Steuereinnahmen im Ausmaß von rund einer Billion Euro pro Jahr. Das entspricht etwa dem Volumen des neuen EU-Finanzrahmens für die nächsten sieben Jahre. Ankündigungen von Initiativen und minimaler Mitteleinsatz alleine bewirken wenig, erst durch Investitionen entstehen Arbeitsplätze. Trotz der nun schon sechs Quartale anhaltenden Rezession in der Eurozone, der Kritik des Internationalen Währungsfonds und vieler renommierter ÖkonomInnen fahren die europäischen Staats- und Regierungschefs mit angezogener Handbremse, wenn sie kategorisch an der Priorität der Haushaltskonsolidierung und damit am Sparen um jeden Preis festhalten und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zum Fetisch erheben. Dort, wo es möglich ist, ist daher der Austeritätskurs zu lockern und muss einer expansiveren Fiskalpolitik Platz machen, etwa durch die Nichtanrechnung öffentlicher Investitionen auf die Maastricht-Kriterien („golden rule“).
Schleppende Fortschritte und zunehmende Verwässerung der Bankenunion
Die Vollendung der Bankenunion, die bereits seit einem Jahr angekündigt ist, geht äußerst schleppend voran. Sie ist ein wichtiger Schritt zur Krisenbewältigung des Finanzsektors, mit dem der Teufelskreis zwischen Banken und Staatsfinanzierung durchbrochen und Aktionäre und Gläubiger an der Finanzierung von Bankenpleiten beteiligt werden sollen. Bislang waren es – sieht man von Zypern ab – stets die SteuerzahlerInnen, die zur Kasse gebeten wurden. Um den Schutz der SteuerzahlerInnen, die Stärkung der Finanzmarktstabilität und das Vertrauen in die Banken zu gewährleisten, muss die Bankenunion mit den drei Säulen einheitliche Aufsicht, einheitlicher Abwicklungsmechanismus und Einlagensicherung rasch zu einem gleichzeitigen Abschluss gebracht werden. Auch hier zeigt sich, dass bei diesem durchaus ambitionierten Vorhaben stets Verwässerungen auftreten. Das zeigt sich jüngst an der Einigung der Wirtschafts- und Finanzminister für den einheitlichen Abwicklungsmechanismus. Einmal mehr ist evident, dass sich nationale Interessen und mächtige Finanzlobbies durchgesetzt haben, denn in der Haftungskaskade bleiben bei Bankenpleiten erhebliche nationale Spielräume und das Inkrafttreten wird erst für 2018 ins Auge gefasst. Mit anderen Worten: Erst zehn Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers wird es in Europa ein Bankeninsolvenzrecht mit Beteiligung von Aktionären und Gläubigern geben. Verglichen mit der Schaffung neuer verschärfter Regeln für die Fiskalpolitik (Sixpack, Twopack, Fiskalpakt) und vor dem Hintergrund, dass die Banken die Finanzkrise maßgeblich auslösten[1], muss das als skandalös bezeichnet werden.
Als einzige neue Idee wird die Aufnahme von sozial- und beschäftigungspolitischen Indikatoren im Rahmen des Budgetprozesses aufgegriffen. Dieser Vorstoß ist grundsätzlich zu begrüßen. Eine abschließende Beurteilung kann jedoch erst nach Vorliegen der konkreten Ausgestaltung gemacht werden.
Gegen den „Wettbewerbspakt“ regt sich Widerstand
Hinsichtlich der geplanten bilateralen Verträge für einen Wettbewerbspakt regt sich in einzelnen Mitgliedstaaten und in Teilen der Zivilgesellschaft Widerstand, weil befürchtet wird, dass sie die Rezession weiter vertiefen würden. Diese Verträge sollten bereits bei diesem Gipfel beschlossen werden, sind jetzt aber wegen offensichtlich divergierender Meinungen auf Dezember 2013 verschoben worden. Während Österreich auf Beamtenebene Bedenken gegen diese Verträge geäußert hat, fehlen deutliche Worte des Bundeskanzlers. Er hat sich allerdings zuletzt in einem Interview mit dem Standard insofern positioniert, als er das als Ergänzung zu den Verträgen angedachte „Eurobudget“ – die Schlussfolgerungen sprechen von Solidaritätsmechanismen -ausgeschlossen hat.
[1] Vgl dazu G. Tichy: Die Staatsschuldenkrise als Krise des europäischen Finanzsystems, in: Wifo-Monatsberichte 6/2013.