Dass Österreich mit dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) aus dem Jahr 1812 eine der ältesten noch in Kraft stehenden Zivilrechtkodifikationen der Welt besitzt, ist kein Geheimnis. Dieses Gesetz, das dem Titel nach „für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“ gelten soll, ist wohl den meisten bekannt. Viel weniger geläufig ist jedoch die Tatsache, dass es im österreichischen Arbeitsrecht ebenso noch ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert gibt, welches zumindest in Teilen auch 160 Jahre später noch Rechtsgültigkeit besitzt: die Gewerbeordnung aus dem Jahr 1859 (GewO 1859), die bis heute die Grundlage für das Kündigungs- und Entlassungsrecht der Arbeiter*innen bildet.
Aufrecht bleiben bis zur Neuregelung
1973 und 1994 wurde das von Kaiser Franz Joseph II. erlassene Gesetz, die GewO 1859, bereits erneuert – bis auf die Ausnahme einiger Paragrafen, die „bis zur Neuregelung der einschlägigen Bestimmungen“ weiterhin aufrecht bleiben. Geregelt ist hier nicht etwa Belangloses. Sogar eines der wohl zentralsten Themen des Arbeitslebens wird scheinbar der gesetzgeberischen Kraft der alten Donaumonarchie überlassen, nämlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeiterinnen und Arbeitern.
Veraltete Rechtsvorschriften für Arbeiterinnen und Arbeiter
So besagt derzeit § 77 GewO 1859, dass sowohl für Arbeitnehmer*innen als auch Arbeitgeber*innen eine Kündigungsfrist von zwei Wochen einzuhalten ist. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um zwingendes Recht, wodurch selbst diese kurze Frist auf kollektivvertraglicher Ebene noch weiter verkürzt werden kann. Dabei hat der österreichische Gesetzgeber bereits im Jahr 2017 ein Außerkrafttreten der genannten Bestimmung beschlossen. Dies war eine späte Reaktion auf einen Umstand, der schon längere Zeit feststand: Die historisch bedingte Unterscheidung in Arbeiter*innen und Angestellte ist schlicht und einfach nicht mehr zeitgemäß. Geplant war eine Angleichung der Kündigungsbestimmungen von Arbeiter*innen und Angestellten ab 1. Jänner 2021. Dann kam die Corona-Pandemie, und das Inkrafttreten wurde zuerst auf Juli, später auf Oktober 2021 verschoben. Letzteres wohlgemerkt aufgrund eines Initiativantrags seitens der beiden Regierungsparteien – gegen den Wunsch der Gewerkschaften.
Auch § 82 GewO 1859, der die Entlassung durch den/die Arbeitergeber*in thematisiert, wurde inhaltlich das letzte Mal 1974 geändert. Im Unterschied zum Kündigungsrecht ist eine Neuregelung im Sinne einer Anpassung der Rechtslagen für Arbeiter*innen und Angestellte jedoch nicht in Sichtweite. Dabei wirken mehrere geltende Entlassungstatbestände für Arbeiter*innen aus heutiger Sicht längst überholt. So scheint äußerst fragwürdig, dass die „Behaftung mit einer abschreckenden Krankheit“ oder die „Arbeitsunfähigkeit infolge eigenen Verschuldens“ den/die Arbeitgeber*in zur Entlassung einer Arbeiterin bzw. eines Arbeiters berechtigt. Auch der Entlassungsgrund der „Trunksucht“ wirkt unpassend und überdies konfus, zumal eine Alkoholkrankheit keine Entlassung nach dieser Bestimmung rechtfertigt. Für alle drei genannten Entlassungsgründe gibt es zudem kein direktes Pendant im Angestelltenrecht, was durchaus als Indiz für die Antiquiertheit dieser Regelungen gewertet werden kann.
Die Ungleichbehandlung der unselbstständig Beschäftigten
Die erste gesetzliche Unterscheidung zwischen Arbeiter*innen und Angestellten gibt es in Österreich seit 1863 durch das Inkrafttreten des Allgemeinen Handelsgesetzbuchs. Seit März 1921 gab es dann das Angestelltengesetz, das zur damaligen Zeit jedoch für nur rund sechs Prozent der Erwerbstätigen galt. Diese sechs Prozent waren rechtlich aber viel bessergestellt als der überwiegende Teil der Arbeiterschaft. Die Angleichung dieser Privilegien stellt sich bis heute als äußerst mühselig heraus: Erst seit 1974 haben Arbeiterinnen und Arbeiter den gleichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Falle von Krankheit, Arbeitsunfall oder Berufskrankheit wie Angestellte, und seit 1979 gibt es eine Gleichstellung bei der Abfertigung.
Ein Blick über die Grenze nach Deutschland zeigt, dass die Unterscheidung in Arbeiter*innen und Angestellte dort nur noch eine untergeordnete Bedeutung hat. Schon im Jahr 1990 hat der Bundesverfassungsgerichtshof im Lichte des Gleichbehandlungssatzes geurteilt, dass unterschiedliche Kündigungsfristen verfassungswidrig seien. Auch andere europäische Staaten haben die sachliche Rechtfertigung der Unterscheidung des Arbeitnehmerbegriffs bereits früher angezweifelt und entsprechende Gesetzesnovellierungen vorgenommen. Österreich ist in diesem Bereich klarer Nachzügler.
Mühsame Schritte Richtung mehr Gerechtigkeit
Zu sagen, die hiesigen Rechtsbestimmungen für Arbeiterinnen und Arbeiter stammen noch aus einer Zeit vor Begründung der Ersten Republik, wie es der Titel vielleicht suggerieren mag, ist wahrlich übertrieben. Die Gewerbeordnung 1859 wurde über die Jahre unzählige Male überarbeitet und nachgebessert. Im Grunde ist es auch nicht so wichtig, in welchem Gesetz eine bestimmte Rechtsnorm steht. Und doch – im konkreten Fall scheint es überaus treffend, diese veralteten Bestimmungen in einem veralteten Gesetz anzutreffen.
Selbst wenn die Angleichung der Kündigungsregelungen für Arbeiter*innen und Angestellte nun im Oktober tatsächlich in Kraft treten sollte, so besitzt diese dennoch einen fahlen Beigeschmack. Drei Jahre waren als Übergangsfrist vorgesehen, um Branchen und Unternehmen eine Vorbereitung auf die geänderten Gegebenheiten zu ermöglichen. Die erstmalige Verlängerung um sechs Monate war angesichts der damals noch viel ungewisseren COVID-19-Situation durchaus verständlich. Doch die zweite Fristverlängerung wäre entbehrlich gewesen. Ob die Neuregelung des § 1159 ABGB, der in Zukunft die Rechtsgrundlage für das Kündigungsrecht der Arbeiterinnen und Arbeiter bildet, überhaupt den gewünschten Effekt haben wird, bleibt zu hoffen. Schließlich hat der Gesetzgeber bereits jetzt Ausnahmen für gewisse Branchen und Bereiche vorgesehen, die auch in Zukunft kürzere Kündigungsfristen in den Kollektivverträgen vorsehen können. Die Saisonbranchen sollen etwa von dieser umfangreichen Gesetzesänderung unberührt bleiben. Welche Branchen das jedoch genau sind, ist bis heute nicht hinreichend geklärt.