Nicht der große Sprung, aber ein wichtiger Schritt vorwärts: Erstmals seit dem Beitritt zur EU gibt es in Österreich finanziert der Fonds für ländliche Entwicklung (ELER) soziale Dienstleistungen. Zwar wurden nur drei Prozent der Mittel für diesen Zweck reserviert, dennoch gibt es damit endlich eine sozialpolitische Komponente in diesem Programm. Leistungen wie Kinderbetreuung, Pflege und Gesundheitsvorsorge sind nun strukturell verankert.
Die Seite der Landwirtschaft hat sich bisher immer gegen gewehrt, soziale Angelegenheiten im Rahmen des Programms für ländliche Entwicklung zu fördern. Aus ihrer Sicht sollten diese Mittel „Geld für die Bauern“ sein und bleiben.
Der Europäischen Union war hingegen schon länger klar, was sich in Österreich noch nicht herumgesprochen hatte: Der ländliche Raum besteht nicht nur aus Landwirtschaft. Von EU-Seite ist es bereits seit Jahren möglich, Mittel aus dem ELER auch für Maßnahmen in den Bereichen soziale Eingliederung, Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung einzusetzen. Seit dem Beitritt zur EU 1995 hat die Arbeiterkammer (AK) immer wieder gefordert, diese Möglichkeiten zu nutzen, damit für alle Menschen im Ländlichen Raum die Lebensqualität mit diesen EU-Fördermitteln verbessert wird. Bislang profitierten in Österreich allerdings fast ausschließlich die landwirtschaftlichen Betriebe davon. Mit dem Ziel, diese gängige Praxis zu verändern, war die AK auch in den Verhandlungen zur aktuellen Periode 2014-2020 höchst aktiv. Zwei Jahre lang wurde eine regelrechte Kampagne gefahren, die nunmehr Erfolg hatte: Künftig werden 3 % der ELER Mittel für Investitionen in soziale Dienstleistungen einschließlich Gesundheit zur Verfügung stehen. Das klingt nicht viel, bedeutet aber in absoluten Zahlen ein Volumen von fast 240 Mio Euro in den nächsten sieben Jahren (118 Mio. aus dem ELER plus nationale Kofinanzierung). Zum Vergleich: Der Bund hat den Ausbau der Kinderbetreuung im gleichen Zeitraum mit 100 Mio. Euro gefördert. Es geht hier also um relevante Größenordnungen.
Probleme im ländlichen Raum
Aus Sicht der europäischen Union sollen die EU-Strukturfondsmittel in den Dienst der dreifachen EU-2020-Wachstumsstrategie gestellt werden, die intelligent, nachhaltig und integrativ sein soll. Ein wesentlicher Schlüssel dafür ist der Ausbau sozialer Dienstleistungen wie Kinderbetreuung, Bildung oder Gesundheit und Pflege.
Gerade im ländlichen Raum bestehen in diesen Bereichen große Defizite, wie auch jüngste Analysen der AK über das Angebot von Kinderbetreuung zeigen. So liegt in sechs von zehn Gemeinden mit unter 2.500 EinwohnerInnen die Betreuungsquote bei Kindern bis zum dritten Lebensjahr unter 10 Prozent. Nur in jeder fünften Gemeinde beträgt sie mehr als 20 Prozent. Umgekehrt das Bild im städtischen Bereich (ab 20.000 EinwohnerInnen, inklusive Wiener Bezirke): 79 Prozent dieser Kommunen haben eine Betreuungsquote von über 20 Prozent.
Auch in der Pflege ist das Angebot in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ausgebaut. Das liegt teilweise an regionalen Unterschieden, aber auch die Reformarbeitsgruppe Pflege konstatiert Lücken bei den Angeboten. Das betrifft einerseits die mobilen und stationären Dienste, vielmehr aber noch den Ausbau jüngerer Versorgungsformen wie teilstationärer Dienste, alternativer Wohnformen und Kurzzeit- und Übergangspflege. Es gibt also fraglos Handlungsbedarf.
Warum nicht Geld von woanders?
Da der ELER ab 2014 mit fast vier Milliarden EU-Mittel über rund 80 Prozent der Strukturfondsgelder in Österreich verfügt, kommt ihm bei der Umsetzung der EU2020-Strategie überragende Bedeutung zu. Darüber hinaus deckt dieser Fonds fast das gesamte Feld der ländlichen Entwicklung ab. Die Förderung von Basisdienstleistungen im ländlichen Raum ist dabei ganz klar eine Aufgabe, wie auch von den VertreterInnen der EU-Kommission hervorgehoben wurde. Sie konstatierten darüber hinaus, dass gerade im Bereich der Kinderbetreuung und Pflege in Österreich besonderer Handlungsbedarf besteht und hier Investitionen notwendig sind.
Hierzulande wurde hingegen oftmals versucht, die Forderung nach Mittel für diese Zwecke als Angriff auf die Bauern und Bäuerinnen darzustellen, denen etwas weggenommen wird. Abgesehen davon, dass die ländliche Bevölkerung nicht nur aus LandwirtInnen besteht, steht außer Zweifel, dass auch diese mehr brauchen als nur Agrarpolitik. Das trifft besonders auf die Bäuerinnen zu, denn trotz steigender Verantwortung für den Hof übernehmen sie zu 77 % die Kinderbetreuung und zu 80 % die Pflege Angehöriger. Zudem sind 23 % auch außerlandwirtschaftlich berufstätig. Der Ausbau sozialer Dienstleistungen würde für sie eine spürbare Entlastung bringen.
Ebenso kann die Erhaltung eines lebendigen ländlichen Raumes nur im Sinne der bäuerlichen Bevölkerung sein: zum einen, weil viele Betriebe mit Direktvermarktung oder Tourismus auf die lokalen Nachfrage angewiesen sind; zum anderen, weil das Leben in entsiedelten Regionen kaum Lebensqualität bieten kann. Der Verweis, dass nicht der ELER sondern der Europäische Sozialfonds (ESF) die vorhandenen Probleme lösen soll, geht dabei doppelt ins Leere: einerseits verfügt der ESF im Vergleich zum ELER nur über rund ein Achtel (!) der Mittel, andererseits darf er Investitionen gar nicht finanzieren.
Vom Widerstand zur Unterstützung
Vielleicht waren das Gründe, warum jene, die vehement gegen eine Dotierung von Mittel aus dem ELER für soziale Maßnahmen waren, sich nunmehr doch dafür erwärmen können. Immerhin gab es einen Entschließungsantrag des Nationalrates “betreffend wichtige Impulse für die Entwicklung des ländlichen Raumes durch das Programm für die ländliche Entwicklung 2014-2020“. Die Initiative des SPÖ-Landwirtschaftssprechers Erwin Preiner wurde vom Bauernbundpräsident Jakob Auer und der Landwirtssprecher Harald Jannach (FPÖ) sowie Leo Steinbichler (BZÖ) unterstützt. Dieser Antrag enthält u.a. folgende Passage: “Durch die Umsetzung des Programms sollen lokale Arbeitsplätze geschaffen, Abwanderung verhindert und eine Diversifizierung der landwirtschaftlichen wie auch insgesamt der Erwerbstätigkeit im ländlichen Raum unterstützt werden. Dies schließt neue und innovative Maßnahmen und auch Maßnahmen im Bereich der sozialen Dienstleistungen mit ein, durch welche wichtige Schwerpunkte gesetzt und damit ein wesentlicher Beitrag für die Attraktivität des ländlichen Raumes geliefert werden kann.” Gut, dass diese Erkenntnis geteilt wird – die nun ausverhandelten Mittel für die Sozialen Dienstleistungen bilden dafür einen Anfang. Basis des Entschließungsantrags bildete das Regierungsprogramm 2014-2018, in dem die Förderung von Sozialen Dienstleistungen im ELER bereits festgeschrieben ist.
Unter den Bundesländern, die auch die nationale Kofinanzierung stellen müssen, ist das Interesse jedenfalls groß: Alle acht in Frage kommenden (Wien fällt nicht unter ländlich Region) wollen die gesamten ihnen zur Verfügung stehenden Mittel umsetzen. Der Bedarf ist also vorhanden. Mit dem neuen Schwerpunkt in der ländlichen Entwicklung wurde die Basis für eine neue Förderschiene geschaffen. Ihre Existenz ist angesichts der österreichischen Realverfassung ein kleines Wunder. Und für ihre Zukunft wünschen wir ihr ganz im Sinne der Landwirtschaft, dass sie wachsen und gedeihen möge.