Digitalisierung im Betrieb: Was Personalverantwortliche und Betriebsrät:innen bewegt

28. August 2023

Die digitale Transformation verändert nicht nur Produktionsprozesse, Geschäftsmodelle und Dienstleistungen, sondern natürlich auch die Art des Miteinander-Arbeitens. Zugleich ist Digitalisierung kein Prozess, der Top-down verordnet werden kann. Digitalisierung verändert Unternehmen grundlegend und muss von allen mitgetragen und vor allem mitgestaltet werden. Sie muss auch zur Arbeitszufriedenheit und zur Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit beitragen. Nur dann kann die Digitalisierung in einem Unternehmen nachhaltig Platz greifen. Dies bedeutet aber nicht, dass tendenziell möglichst alle Prozesse und Abläufe digitalisiert werden sollten. Es gibt Grenzen der Digitalisierung, und auf die Wertschätzung nicht digitalisierbarer Arbeit ist zu achten.

Herauszufinden, welche Handlungsfelder für eine gelingende Digitalisierung besonders relevant sind und welche Ansätze HR-(Human Resources-)Verantwortliche und Betriebsratsvorsitzende in oberösterreichischen Unternehmen sehen, ist der Untersuchungsgegenstand der hier vorgestellten Studie.

Studiengegenstand und Methodik

In dieser Form war es eine Premiere: Erstmals wurden in einer Studie die Sichtweisen von Personalverantwortlichen und Betriebsratsvorsitzenden zum Thema Digitalisierung gemeinsam betrachtet. Konkret ging es darum, herauszufinden, welche betrieblichen Rahmenbedingungen und individuellen Skills notwendig sind, damit Digitalisierung zur Arbeitszufriedenheit und Beschäftigungssicherung beiträgt.

Die Ergebnisse zeigen, dass es Herausforderungen für beide Gruppen gibt und diese daher am besten auch gemeinsam in Angriff genommen werden sollten. Durchgeführt wurde die Untersuchung vom Market-Institut im Auftrag der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria im Zeitraum Dezember 2022 bis März 2023. Kooperationspartner waren die Arbeiterkammer OÖ und das Wirtschaftsressort des Landes OÖ.

In einem ersten Schritt wurden je zehn Arbeitsmarktexpert:innen, HR-Verantwortliche und Betriebsrät:innen interviewt. Darauf aufbauend wurde eine umfangreiche Online-Befragung mit einem Sample von rund 300 Teilnehmer:innen in Oberösterreich durchgeführt (Ergebnisse und Zusammenfassung der Studie).

Wichtige Ergebnisse der Studie im Überblick:

  • Zu unterscheiden ist beim Themenfeld Digitalisierung zwischen Automatisation, Sammlung/Umgang mit Daten und Kommunikation.
  • Etwas mehr als ein Drittel der Betriebsratsvorsitzenden beziehungsweise mehr als ein Viertel der Personalverantwortlichen sprechen von Problemen der Mitarbeiter:innen mit der zunehmenden Digitalisierung. Dies betrifft weniger den Arbeiter:innenbereich in der Produktion als vielmehr jenen Dienstleistungsbereich, in dem die Mitarbeiter:innen auch wenig Möglichkeit zu Homeoffice haben.
  • Der Reifegrad der Digitalisierung differenziert stark zwischen den Unternehmen. In größeren Betrieben ist die Digitalisierung stärker fortgeschritten als in kleinen. Betriebsratsvorsitzende sehen die Digitalisierung im eigenen Unternehmen tendenziell stärker fortgeschritten als Personalverantwortliche.
  • Hohe Übereinstimmung besteht bei den wahrgenommenen Chancen durch zunehmende Digitalisierung. Erleichterte Kommunikation und Abstimmungsmöglichkeiten, Vereinfachung von Prozessen und verbesserte Informationsmöglichkeiten werden hier am häufigsten genannt. Tendenziell schätzen HR-Verantwortliche die Chancen etwas höher ein als Betriebsratsvorsitzende.
  • Die Forderung nach paralleler Leistung der Kernaufgaben, das Tempo der Veränderung und die kontinuierliche Weiterqualifizierung haben „Belastungsspuren“ hinterlassen.
  • Kommunikation, Weiterbildung & Qualifizierung sowie der Wert der Arbeit verändern sich durch Digitalisierung am stärksten.
  • Kontakt halten, auf Distanz führen, Vertrauensaufbau und Schutz vor Tracking, aber auch Selbstorganisation sind notwendige Kompetenzen für Betriebsrät:innen und Führungskräfte.
  • Qualifizierungsmaßnahmen dürfen die sozial-kommunikative Facette der Digitalisierung nicht außer Acht lassen: Zusammenarbeit, Kommunikation, Selbstorganisation und Umgang mit digitalem Stress.
  • Qualifizierungsmaßnahmen müssen viel mehr analog als digital erfolgen. Die traditionelle „Classroom situation“ hat nicht ausgedient, besonders erfolgreiche Qualifizierungsformen sind das persönliche Zeigen am Gerät, die Arbeit in Kleingruppen sowie Mentoring-Modelle.
  • HR-Verantwortliche/Betriebsrät:innen wollen in die Veränderungsprozesse einbezogen werden. Es wird die Wichtigkeit von regelmäßigem, vorausschauendem Austausch anstatt anlassbezogenen Handelns betont.
  • Betriebsvereinbarungen, Gesundheitsprävention und die Art des Kommunizierens (auch persönliches Kontakthalten), aber auch IT-Security sind jene Themen, zu denen mehr Wissen benötigt wird.
  • Qualifizierung muss auf allen Ebenen attraktive Angebote setzen. Das Nachholen von Bildungsabschlüssen, Angebote für mittlere Qualifikationen, Bildungszeitmodelle sowie Aus- und Weiterbildung während der Karenzzeit vor dem Wiedereinstieg sind wichtige Aspekte.
Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog
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Der Faktor Mensch

Besonders hervorgestochen ist in der Befragung, dass unter Kompetenzen in der digitalen Arbeitswelt nicht unbedingt nur technische Kompetenzen zu verstehen sind, vielmehr auch die soziale Dimension eine zentrale Rolle bei digitalen Prozessen spielt: Wie kann ich auf Distanz führen & kommunizieren? Wie kann ich mit den Kolleg:innen Kontakt halten, wie kann ich Kolleg:innen aus dem Homeoffice integrieren? Das sind die Fragen, die HR-Verantwortliche und Betriebsrät:innen gleichermaßen beschäftigen: Information & Kommunikation, Erhalt von Bindung und Teamgeist, Erhalt des Erfahrungswissens, Wertschätzung und Umgang mit psychischer Belastung.

Digitale Kompetenzen brauchen analoge Vermittlung

Damit kommt der Qualifizierung ein sehr großer Stellenwert zu – es geht nicht ausschließlich darum, wie Programme bedient werden können oder um eine Basis-Security-Schulung, sondern vielmehr um interne Zusammenarbeit und Kommunikation, um Vermeidung von digitalem Stress und um (Selbst-)Organisation der digitalisierten Workflows. Und das Ganze darf nicht digital, sondern muss – für besseres Verständnis, für leichtere Umsetzung – analog und in der Gruppe stattfinden.

Mehr Zeit für persönliche Gespräche

Der Bedarf an innerbetrieblicher Unterstützung liegt deutlich über den außerbetrieblichen Unterstützungsmöglichkeiten. Neben dem Aspekt, dass die Systeme funktionieren müssen und eine Erleichterung darstellen, wünschen sich HR-Verantwortliche Mut zum Probieren und ein Scheitern-Dürfen, ein Vorleben durch die Unternehmensleitung und ein klares Einbeziehen in die digitalen Veränderungsprozesse.

Betriebsrät:innen hingegen wünschen sich mehr Zeit: mehr Zeit für persönliche Gespräche mit den Kolleg:innen, mehr Zeit für die eigene Weiterbildung, um digitale Veränderungen beurteilen zu können. Dazu gehört aus Betriebsratssicht auch eine Verbesserung bei den derzeitigen Freistellungsregelungen laut Arbeitsverfassungsgesetz. Es braucht aus Betriebsratsperspektive bezahlte Transferzeiten, um das weiterhin zentrale Erfahrungswissen weitergeben zu können, Karenzzeiten für Weiterbildung, Aufqualifizierungsmaßnahmen, aber auch eine klare Vernetzung des Betriebsrates mit anderen Abteilungen und eine proaktive Einbindung in digitale Veränderungsprozesse.

Überbetriebliche Förderung von Qualifizierung und Weiterbildung

Ein weiterer gemeinsamer Nenner: Sowohl Betriebsrät:innen (30 Prozent) als auch HR-Verantwortliche (44 Prozent) wünschen sich mehr Bildungsangebote für sogenannte „mittlere Qualifikationen“. „Aufqualifizierung“ in Anlerntätigkeiten und nachholende Bildungsabschlüsse sind ebenfalls für beide Befragtengruppen wichtige Themen (34 bzw. 32 Prozent). Ein weiterer wichtiger Aspekt aus der Sicht der betrieblichen Akteur:innen ist zudem die Förderung von Aus- und Weiterbildung in Karenzzeiten (36 bzw. 34 Prozent). Hier gibt es auch hervorragende Fördermöglichkeiten über das Land OÖ und das AMS OÖ, wie z. B. den Impuls-Qualifizierungsverbund Digitale Kompetenz & IT Security, die Qualifizierungsförderung für Beschäftigte bzw. Innovative Skills. Hinzukommen das Fachkräftestipendium und die Förderung von nachholenden Lehrabschlüssen über den SWF (Sozial- und Weiterbildungsfonds der Arbeitskräfteüberlassungs-Branche).

Welche Themen die HR besonders beschäftigen

Veränderungen sind für die HR-Verantwortlichen in den Unternehmen nichts Ungewöhnliches: Rund jede bzw. jeder Zweite sieht den eigenen Aufgabenbereich durch die Digitalisierung stark verändert – vom Employer Branding über neue Wege des Recruitings bis hin zu Forderungen und Ansprüchen junger Arbeiternehmer:innen.

Die Herausforderungen für die Zukunft und der Handlungsbedarf, die sich daraus ergeben, äußern sich in der Befragung in eher „soften“ Faktoren. So werden das Bewältigen der Informationsflut und die höheren Anforderungen an die soziale Kompetenz der Führungskräfte am häufigsten von den Personalverantwortlichen als besonders relevant genannt.

Die Studie zeigt somit sehr deutlich, dass gerade die sozialen Kompetenzen bei Digitalisierungsprozessen eine vorrangige Bedeutung haben und die veränderte Kommunikation für alle Beteiligten ein großes Thema ist. Dementsprechend müssen auch die Qualifizierungsangebote nicht nur auf die Hard Skills wie z. B. das Erlernen und Anwenden von neuen Programmen ausgerichtet werden, sondern noch stärker auf Selbstmanagement, Kommunikation und Zusammenarbeit.

Der „menschliche Faktor“ zeigt sich auch bei den Fragen zu Qualifizierungsmaßnahmen. Als besonders erfolgreich stufen sowohl HR-Verantwortliche als auch Betriebsrät:innen jene Maßnahmen ein, die auf Hilfestellung durch Kolleg:innen, auf Mentoring, auf individuellen, persönlichen Schulungen beruhen.

Beim Erfahrungsaustausch, Förderungen für Kompetenzaufbau und Qualifizierung – bis hin zu steuerlichen Absetzmöglichkeiten – sowie beim umfassenden Überblick über Fördermöglichkeiten wünschen sich die HR-Verantwortlichen hingegen außerbetriebliche Unterstützung. Stark in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist auch das Thema Datensicherheit, das knapp zwei Drittel der Befragten sowohl auf HR- als auch auf Betriebsratsseite priorisieren.

Digitalisierung aus Betriebsratsperspektive

Die Digitalisierung stellt Betriebsrät:innen in mehrfacher Hinsicht vor Herausforderungen. Es geht für sie zunächst darum, den sozialen Zusammenhalt zu sichern und den Kontakt zu den Beschäftigten nicht zu verlieren. Das traditionelle „Durch-die-Werkshallen-Gehen/In-den-Büros-Besuchen“ hat seine Bedeutung zwar nicht gänzlich verloren, wird aber durch andere Instrumente, wie etwa eine Betriebsrats-App, ergänzt.

Weiterführend müssen die Belegschaftsvertreter:innen Wissen und Kompetenzen über digitale Entwicklungen erwerben, um abschätzen zu können, wann ein eingreifendes und regulierendes Handeln notwendig ist. Eine Verbreiterung des Betriebsratsteams und eine interne Spezialisierung ist eine mögliche Reaktion. Bei diesem Wissensaufbau sind überbetriebliche Interessenvertretungen und Institutionen in besonderer Weise unterstützend gefordert.

Schließlich haben Betriebsrät:innen den breiten Blick und betonen, dass alle Beschäftigtengruppen mit- (und gegebenenfalls „an die Hand“) genommen werden sollen, um digitaler Exklusion entgegenzuwirken. Die Automatisierung in der Produktion tragen die Betriebsratsvorsitzenden im Sinne einer Arbeitserleichterung und auch eines Kompetenzaufbaus mit, sehen aber auch die ambivalenten Folgen: mehr psychischer Druck durch mehr Verantwortung. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust teilen die Belegschaftsvertreter:innen nicht: Trotz Digitalisierung werden es eher mehr als weniger menschliche Mitarbeiter:innen. Speziell im Bereich der Pflege- und Gesundheitsberufe führen die Betriebsrät:innen einen Diskurs zum Stellenwert des persönlichen Kontakts im Prozess der Digitalisierung.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz unterschiedlicher Gewichtung viele Überschneidungspunkte bei den zentralen Handlungsfeldern der innerbetrieblichen Zusammenarbeit und Abstimmungserfordernissen festzustellen sind. Hier gilt es, besonders die Mitbestimmungsinstrumente der betrieblichen Sozialpartnerschaft wie z. B. Betriebsvereinbarungen zu nützen. Dem Thema Aus- und Weiterbildung kommt hohe Bedeutung zu. Hier gibt es mit dem Fördermodell Impuls-Qualifizierungsverbund (AMS OÖ und Land OÖ) sowie dem Zukunftsfonds der AK OÖ zwei etablierte Instrumente, die Unternehmen und Beschäftigte gezielt bei Digitalisierungsvorhaben nützen können.

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