Manchmal können wenige Augenblicke alles verändern: Schwere Unfälle sind für alle Beteiligten eine enorme psychische Belastung. Ein Weiterarbeiten nach derartigen Ereignissen, da sind sich alle Fachleute einig, ist ein hohes Risiko. Auf Drängen von Arbeiterkammer und Gewerkschaft vida hat die Gesetzgebung nun reagiert und wichtige Klarstellungen, vorerst im Eisenbahngesetz, getroffen. Betriebsbedienstete werden für die entscheidenden 72 Stunden nach einem Unfall dienstfrei gestellt und haben Anspruch auf eine notfallpsychologische Betreuung.
Weiterarbeiten ist gefährlich – nicht nur bei der Bahn
Unfälle bei der Bahn sind zwar selten, aber zumeist schwerwiegend. Sie sind in jedem Fall eine enorme Belastung für die Beschäftigten, selbst dann, wenn sie – wie meistens – ohne Eigenverschulden der EisenbahnerInnen „passieren“. Häufigste Ursache sind Unfälle auf Bahnübergängen mit Pkws und Lkws sowie Suizide.
Die Reaktionen auf derartige Ereignisse können bei den Beteiligten sehr unterschiedlich sein und reichen von Panik und Angst über Aufgeregtheit bis hin zu äußerlich völliger Ruhe und „Taubheit“ der Gefühle. Genau diese Ruhe kann sehr trügerisch sein, denn sie sagt vor allem wenig über den tatsächlichen Gemütszustand aus. Aus der Psychotraumatologie weiß man, dass die Reaktionen nach Unfällen oder anderen traumatischen Ereignissen bei den Beteiligten rasch wechseln können. Dieses Auf und Ab kann bis zu 72 Stunden andauern, und der psychische Zustand kann während dieser Zeit jederzeit „kippen“. All das sind völlig normale menschliche Reaktionen auf ein abnormales (traumatisches) Erlebnis. Betroffene sind an diesem Schockzustand schuldlos und können – ebenso wenig wie Außenstehende – nicht vorhersehen, welche Symptome kurzfristig auftreten werden.
Ein Weiterarbeiten birgt daher grundsätzlich ein hohes Risiko, insbesondere dann, wenn die Tätigkeit sicherheitsrelevant ist. Zudem kann sich daraus eine handfeste psychische Erkrankung entwickeln. Falsches Heldentum, Verdrängen oder ein „Weiter-wie-bisher“ sind als einzige Maßnahme daher gänzlich ungeeignet. Das ist selbstverständlich nicht nur im Schienenverkehr der Fall.
Klarstellung bei der Bahn
Die überwiegende Mehrzahl der Eisenbahnunternehmen hat in ihren Sicherheitskonzepten seit jeher Maßnahmen für die unmittelbare Zeit nach Unfällen vorgesehen. Die Konzepte wurden analysiert und in Form einer Best-Practice-Regelung ins Eisenbahngesetz aufgenommen. Die Regelungen sehen nun vor, dass Personen, die „unmittelbar Zeugen eines Unfalls werden, bei dem eine Person getötet oder augenscheinlich schwer verletzt wird, (…) für 72 Stunden (…) von jeglicher Arbeitsleistung freizustellen sind“. Es ist ihnen zudem eine notfallpsychologische Betreuung anzubieten.
Die Dauer der Freistellung orientiert sich dabei an den medizinischen Vorgaben der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD 10). Mit der Gesetzesänderung ist auch sichergestellt, dass alle Beschäftigten, die in Österreich im sicherheitsrelevanten Eisenbahnbereich tätig sind, keinen unterschiedlichen Regelungen mehr unterliegen.
Win-win für die Beschäftigten, die Unternehmen und die Sicherheit
Der Druck, darüber selbst entscheiden zu müssen, ob sie wieder „fit genug“ für eine Dienstausübung sind, konnte damit von den Beschäftigten genommen werden. Durch die notfallpsychologische Betreuung in den entscheidenden Stunden nach dem Ereignis werden psychische Folgeschäden (wie posttraumatische Belastungsstörungen) besser vermieden. Auch ein wichtiger Schritt zur Vermeidung von (längeren) Krankenständen.
Die neuen Regelungen bei der Bahn sind ein Meilenstein zur Erhaltung der psychischen Gesundheit Betroffener nach Extremereignissen. Die Konkretisierung im Eisenbahngesetz ergibt sich aus den Anforderungen des ArbeitnehmerInnenschutzes. Im nächsten Schritt ist diese Regelung auf alle Beschäftigten, die während der Arbeit unvermittelt in eine Ausnahmesituation katapultiert werden, auszuweiten. Denn: Traumatische Ereignisse können jede/n treffen – egal, an welchem Arbeitsplatz.