Die ehemals klaren Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischen immer mehr – „Entgrenzung“ heißt das Phänomen von dem hier immer mehr gesprochen wird. Gemeint ist die Auflösung von bisher existenten Abgrenzungen und Gliederungen in der Erwerbsarbeit – „Normalarbeitsverhältnisse“ sind nicht mehr so „normal“. Das Verhältnis der ArbeitnehmerInnen zu ihrer Arbeit wird zum Teil neu organisiert und neu definiert. Davon betroffen sind unterschiedlichste Dimensionen wie Beschäftigungsformen, Arbeitszeitregelungen, die Trennung von Erwerbsarbeit von Versorgungsarbeit und vom Privatleben.
Zentrales Kennzeichen neuer Arbeitsformen ist eine vermeintliche Selbstkontrolle der ArbeitnehmerInnen und ihrer Aufgaben. Nicht mehr der/die Vorgesetzte, sondern immer mehr auch die Arbeitenden selbst steuern die jeweiligen Arbeitsprozesse: dabei prüfen sie Arbeitsinhalte, planen Arbeitszeit, definieren den Arbeitsort oder entscheiden über notwendige Kooperationen. In Zielvereinbarungen werden lediglich zu erreichende Leistungen definiert – der hierfür notwendige Arbeitsprozess muss eigenverantwortlich strukturiert werden. Kollektive Zeitmuster wie „Feierabend“ und „Wochenende“ und eine strikte Trennung von Arbeit und Freizeit spielen eine immer untergeordnetere Rolle.
Vermarktlichung bis hin zu den einzelnen MitarbeiterInnen
Zum einen ermöglicht diese Entwicklung den Menschen, ihre Persönlichkeit zusehends in den Arbeitsprozess einzubringen, zum anderen wird der Mensch mit all seinen zur Verfügung stehenden Ressourcen immer stärker der voranschreitenden Ökonomisierung unterworfen. Damit sind sowohl Chancen als auch Risiken verbunden. Der Bedeutungszugewinn des subjektiven Faktors und damit der individuellen Ressourcen trägt zu einer Segmentierung der ArbeitnehmerInnen bei. Jenen hoch Qualifizierten, die ihre Ansprüche an eine „Gute Arbeit“ zum Teil besser umsetzen können und jenen nicht oder gering Qualifizierten, die in einer wissensdominierten Gesellschaft immer weniger in der Lage sind, sich durch Arbeit selbst zu erhalten – sie müssen sich darum bemühen, in der neuen Arbeitswelt nicht auf der Strecke zu bleiben – vielfach wird dieser Gruppe nicht einmal eine Chance gegeben.
Neue Konzepte der Arbeitsorganisation, gemeint sind hier Selbststeuerungsinstrumente, wie „Indirekte Steuerung“ – MitarbeiterInnen verhalten sich immer mehr als UnternehmerInnen („ArbeitskraftunternehmerIn“), obwohl sie arbeitsrechtlich eindeutig ArbeitnehmerInnen sind, bedeuten aber häufig auch für gut Ausgebildete steigende Anforderungen und höheren Leistungsdruck. Geschuldet wird das Ziel und nicht ein bestimmtes Maß an Arbeitszeit und Leistung. Anforderungen an die MitarbeiterInnen werden komplexer, Leistungspensen steigen und die Mitbestimmung über betriebliche Arbeitsabläufe bleibt meist eingeschränkt. Störungen innerhalb der Arbeitsprozesse, strukturelle Hindernisse oder unzureichende Qualifikation sind dadurch nur bedingt Probleme des Unternehmens. Verantwortlich zeichnen ab nun die jeweiligen Beschäftigten, die zur Bewältigung anstehender Probleme nicht nur ihre fachliche Qualifikation individuell weiterentwickeln sollen, sondern ihr gesamtes zur Verfügung stehendes persönliches Potenzial einbringen müssen („Subjektivierung von Arbeit“). Als problematisch erweist sich hier der Umstand, dass sich ArbeitnehmerInnen mehr als bisher mit den Unternehmenszielen identifizieren und die Marktlogik verinnerlichen müssen.
Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verwischen zusehends
So bedeutet beispielsweise Projektarbeit mit der Anforderung der Selbststeuerung von Arbeitsabläufen häufig eine quantitative und qualitative Ausweitung der Arbeitszeiten. Bisher erwerbsarbeitsfreie Zeiten, wie z. B. das Wochenende „müssen“ genutzt werden, um wichtige Deadlines und das Projekt insgesamt nicht zu gefährden. Die Hälfte der ArbeitnehmerInnen arbeitet laut Umfragen im Urlaub (Immer online: Arbeiten im Urlaub ist für viele normal), zwei Drittel der Berufstätigen sind auch außerhalb ihrer Dienstzeit erreichbar – so die GPA-djp (Schalt mal ab!). Indirekte Steuerung bedeutet auch einen immer größer werdenden Stellenwert des lebenslangen Lernens und der beruflichen Weiterbildung. Gerade in Arbeitsfeldern mit sich schnell verändernden Technologien muss dieses „life long learning“ kritisch hinterfragt werden. So merkt etwa Volpert (2002, S. 270) für den IT-Bereich kritisch an: „Sein Leben lang ist man nicht ‚up to date‘ und weiß, dass das, was man heute lernt, der Müll von morgen ist, den man schleunigst wieder ‚entlernen‘ muss.“