Betriebliches Eingliederungsmanagement - Von Erkrankten für die Prävention lernen

30. Januar 2014

Prävention ist derzeit in aller Munde. Krankheiten und Unfälle zu verhindern statt deren Folgen zu behandeln oder zu kompensieren ist sinnvoll, verhindert menschliches Leid und spart Kosten. Darüber herrscht ein weitgehender Konsens in der Gesellschaft. Wie Prävention nun jedoch aussehen muss, darüber ist man sich nicht so einig. Insbesondere dann nicht, wenn es sich um betriebliche Prävention handelt.

 

Ein umfassendes Betriebliches Gesundheitsmanagement muss von drei Säulen getragen werden: Arbeitnehmerschutz, Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und, für Österreich noch ein relativ neues Thema, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM). Arbeitnehmerschutz und BGF sind in der Regel dem Bereich der Primärprävention zuzuordnen. Von Primärprävention spricht man stets dann wenn Maßnahmen bereits gesetzt werden, bevor ein Schaden eingetreten ist. Ziel ist es, eine mögliche bzw. vermutete Gefährdung zu minimieren und einen daraus folgenden Schaden möglichst zu verhindern.

Die dritte Säule ist das Betriebliche Eingliederungsmanagement und ist zunächst der Sekundär- bzw. Tertiärprävention zuzuordnen. Sekundärprävention setzt auf Früherkennung. Der gesundheitliche Schaden ist zwar bereits erkennbar, aber man kann noch Gegensteuern bevor eine dauerhafte Schädigung eintritt. Tertiärprävention soll bei vorhandener Schädigung eine Verschlimmerung oder Rückfälle verhindern. BEM hat somit zum Ziel, Personen nach Langzeitkrankenständen wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren und dabei deren möglicherweise veränderte Bedürfnisse an das Arbeitsumfeld zu berücksichtigen.

BEM in Deutschland

In Deutschland ist BEM seit Jahren gesetzlich geregelt (§ 84 Abs. 2 SGB IX). Beschäftigte, welche innerhalb der vorangegangenen 52 Wochen sechs Wochen oder länger krank waren, müssen vom Betrieb ein BEM angeboten bekommen. Die Teilnahme ist für die Erkrankten stets freiwillig. Arbeitgeber/-innen hingegen müssen BEM anbieten! Die Judikatur hat zudem gezeigt, dass beim Eingliederungsprozess ernsthaft versucht werden muss, Betroffene wieder an ihrem bisherigen Arbeitsplatz einsetzen zu können. Im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung wird also von den deutschen Arbeitsgerichten überprüft ob ein BEM angeboten wurde und ob die/der Arbeitgeber/-in tatsächlich sämtliche zumutbare Maßnahmen zur Wiedereingliederung ergriffen hat. Betriebe werden also stark in die Pflicht genommen, während Beschäftigte auf einen gewissen Schutz vertrauen dürfen.

In Österreich ist man von einer entsprechenden Regelung weit entfernt. Kranke Beschäftigte können jederzeit gekündigt werden, selbst wenn die Arbeitsbedingungen maßgeblich zur Erkrankung beigetragen haben. Viele Arbeitgeber/-innen sehen somit keine Notwendigkeit arbeitsbedingte Gesundheitsgefährdungen abzustellen. Kranke Arbeitnehmer/-innen können leicht gekündigt und durch eine andere Person ersetzt werden, welche dann den gleichen krankmachenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt ist. Der nächste Ausfall ist dann oftmals schon absehbar.

BEM anstatt „Rückkehrgespräche“

Immer mehr Unternehmen in Österreich führen mit ihren Beschäftigten „Rückkehrgespräche“,  (GPA-djp) wenn diese nach einem Krankenstand wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren. Leider beschränken sich diese Gespräche oftmals nicht ausschließlich auf ein inhaltliches Update zum jeweiligen Aufgabenbereich. Vielmehr handelt es sich oft um „Kündigungsandrohungsgespräche“. Dies geht manchmal sogar soweit, dass Arbeitnehmer/-innen noch während des Krankenstandes kontaktiert und zur raschen Rückkehr gedrängt werden. Den Beschäftigten soll suggeriert werden, dass sie unter Beobachtung stehen und weitere krankheitsbedingte Fehlzeiten negative Konsequenzen haben werden. Hinter dieser Vorgehensweise steckt der Generalverdacht der Arbeitgeberseite, dass Krankenstände erheblich auf „Blaumacherei“ zurückzuführen sind. Ein durchaus bequemes Weltbild für die Verantwortlichen, da man sich dann nicht mit den vorherrschenden Arbeitsbedingungen auseinandersetzen muss. Der gewünschte Effekt tritt freilich, wenn überhaupt, nur kurzfristig ein. So schleppen sich dann beispielsweise psychisch bereits angeschlagene Beschäftigte krank zur Arbeit. Der Kollaps wird dadurch aber lediglich verzögert, erfolgt aufgrund der zusätzlichen Angst vor dem Jobverlust dann umso schlimmer.

BEM bietet dazu eine sinnvolle Alternative. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung in Deutschland wurde vom DGB Bildungswerk ein Handlungsleitfaden entwickelt, welche eine Win-Win Situation für alle Beteiligten ermöglicht. Im Zuge des Eingliederungsprozesses stehen neben den Bedürfnissen der Einzugliedernden auch deren Arbeitsbedingungen im Fokus. Wenn augenscheinlich wird, dass krank machende Arbeitsbedingungen für die Erkrankung (mit-)verantwortlich sind, werden aus dieser Erkenntnis Präventionsmaßnahmen abgeleitet. Ein Beispiel: Ein Beschäftigter fällt wegen massiver Rückenprobleme lange Zeit aus. Es wird erkannt, dass unergonomische Büroarbeitsplätze die Ursache sein können. Eine Anschaffung von besseren Stühlen und Schreibtischen kommt auch anderen Beschäftigten zu Gute. Der Wiedereinstieg des Langzeiterkrankten wird erleichtert, einem Rückfall vorgebeugt und gleichzeitig für alle Beschäftigten eine Gesundheitsgefahr vermindert. Somit konnte im Zuge eines Prozesses der Sekundär- bzw. Tertiärprävention eine Maßnahme für die Primärprävention abgeleitet werden.

Erfahrungen aus Oberösterreich

Das obige Beispiel ist natürlich eine vereinfachte Darstellung. Im Bereich psychischer Erkrankungen ist das Setzen kollektiver Präventionsmaßnahmen ungleich schwieriger. Erfahrungen aus oberösterreichischen Pilotprojekten zeigen jedoch, dass BEM durchaus eine gute Ergänzung zum Arbeitnehmerschutz und Betrieblicher Gesundheitsförderung sein kann. Hier wurde in einigen Betrieben unter Einbindung von Betriebsräten/-innen BEM entsprechend der deutschen Empfehlungen eingeführt. Die Unternehmen haben sich selbst verpflichtet Langzeiterkrankte wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren und aus jedem BEM-Fall zu lernen, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden können. Die Teilnahme ist für die Betroffenen freiwillig. Zwei Betriebe haben BEM mittlerweile in den Regelbetrieb übernommen. Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv. Unternehmen, welche sich ernsthaft mit arbeitsbedingten Gesundheitsproblemen beschäftigen, auch kontroversielle Themen nicht scheuen (wie bspw. die Frage der Personalbemessung) und Beschäftigte nicht mit Rückkehrgesprächen unter Druck setzen, werden bei zunehmendem Alter der Erwerbsbevölkerung einen Vorteil haben.

Angesichts des demographischen Wandels, der Erhöhung des tatsächlichen Pensionsalters und des steigenden Drucks in der Arbeitswelt gewinnt die Thematik der Wiedereingliederung an Brisanz. Hier braucht es klare Regelungen. Ein Betriebliches Eingliederungsmanagement nach deutschem Vorbild muss gesetzliche verankert werden. Betriebsräte/-innen müssen bei solchen Prozessen eine entscheidende Rolle spielen. Auch ein Kündigungsschutz im Krankenstand für Beschäftigte muss eingeführt werden, wenn BEM künftig erfolgreich sein soll.

Weitere Infos:

Wandzeitung „Wieder gesund? Willkommen zurück!“ der Arbeiterkammer OÖ

Abschlussbericht des EIBE-Projekts – Entwicklung und Integration eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements