Acht Nachbarstaaten – aber keine österreichischen EisenbahnerInnen sind grenzüberschreitend tätig?

28. Juni 2021

Mit zunehmender Liberalisierung im Eisenbahnsektor wird immer mehr Personal grenzüberschreitend eingesetzt. Der von der Europäischen Kommission forcierte Wettbewerb ermutigt Unternehmen im In- und Ausland zu neuen Firmenkonstruktionen, Entsendung, Outsourcing und Leiharbeit, um Kosten zu reduzieren. Dies geht zulasten der Beschäftigten, die zunehmend Lohn- und Sozialdumping ausgesetzt sind.

Rund zehntausend Beschäftigte arbeiten heute in der Europäischen Union im grenzüberschreitenden interoperablen Eisenbahnverkehr. Im Personenverkehr ist europaweit ein Boom der Nachtzüge feststellbar, auch der Anteil des Schienengüterverkehrs gegenüber dem Straßengüterverkehr soll erhöht werden. Vieles deutet also darauf hin, dass sich die Anzahl der grenzüberschreitend tätigen Beschäftigten weiter erhöhen könnte. Es ist dringend notwendig, jene Rechte für das grenzüberschreitende Personal einzufordern und zu kontrollieren, die den Beschäftigten laut europäischer Gesetzgebung zustehen.

EU-Sozialpartner vereinbaren Einsatzbedingungen des fahrenden Personals

Die besonderen Herausforderungen des grenzüberschreitenden Dienstes werden auf europäischer Sozialpartnerebene zwischen der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen CER und der Europäischen Transportarbeiterföderation ETF verhandelt. Bereits im Jahr 2004 unterzeichneten CER und ETF als Ergebnis dieser Verhandlungen eine Vereinbarung mit dem Ziel, den Eisenbahnsektor zu stärken und grenzüberschreitend tätige Beschäftigte durch Festschreibung bestimmter Einsatzbedingungen zu schützen. Die Europäische Kommission hat diese Vereinbarung in eine EU-Richtlinie übernommen, die als RL 2005/47 in Kraft getreten ist. Bis 2008 musste sie in allen EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht übernommen werden. Damit sind diese Bestimmungen EU-weit anzuwenden.

Grenzüberschreitend eingesetztes Zugpersonal hat Anspruch auf deutlich erhöhte wöchentliche Ruhezeiten, eigens definierte Pausenregelungen sowie eine auf 80 Stunden im Zeitraum von 2 Wochen beschränkte Fahrzeit für Triebfahrzeugführer. Diese Vorgaben bedeuten eine erhebliche Besserstellung des grenzüberschreitenden Zugpersonals.

Österreich mit Verbesserungsbedarf in der Umsetzung

Eine Überprüfung der Vereinbarung in den Mitgliedstaaten 2018 durch CER und ETF im Auftrag der Europäischen Kommission ergab, dass diese keiner grundsätzlichen Überarbeitung bedarf, es aber in einigen Staaten Schwächen in der nationalen Umsetzung gibt. Unter diesen Ländern war auch Österreich (vgl. Sozialpartnerbericht Rail Mobile Workers).

Jahrelang gab es auf nationaler Ebene Unstimmigkeiten darüber, wie diese Sozialpartnervereinbarung auszulegen sei. Insbesondere die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Beschäftigte unter die Richtlinie fallen. Ein von der Arbeiterkammer in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten schafft hier nun Klarheit.

Welche ArbeitnehmerInnen fallen unter den Begriff Zugpersonal?

Eine zentrale Frage aus Sicht der Gewerkschaft vida war dabei, welche ArbeitnehmerInnen am Zug unter den Begriff Zugpersonal fallen. Die Gutachterin Auer-Mayer kommt zu dem Schluss, dass dieser auf das gesamte fahrende Personal und damit alle ArbeitnehmerInnen, die ihre Arbeitszeit (auch) fahrend in Zügen verbringen, anzuwenden ist. Diese weite Begriffsdefinition umfasstsomit ZugbegleiterInnen, Sicherheitspersonal oder Personal von Schlaf- und Speisewagenunternehmen, aber auch das Catering-Personal, welches in Zügen tätig ist. Diese Rechtsmeinung vertritt auch die zuständige Verkehrsgewerkschaft vida.

Wann gilt Zugpersonal als grenzüberschreitend tätig?

Die Richtlinie legt fest, dass eine grenzüberschreitende Tätigkeit dann vorliegt, wenn der Personaleinsatz in der Dienstschicht länger als eine Stunde dauert oder mehr als 15 Kilometer über die Grenze hinausgeht. Nur das Erreichen des Grenz- oder Übergangsbahnhofs reicht nicht aus.

ArbeitnehmerInnen, welche unter die Definition des Begriffs „grenzüberschreitendes Zugpersonal“ fallen, haben Anspruch aufandere arbeitszeitrechtliche Regelungen (günstigere Schutzbestimmungen) als ArbeitnehmerInnen, die nicht unter diese Begriffsdefinition fallen.

Auer-Mayer zeigt auf, dass es auf keinen Fall erforderlich ist, dass ArbeitnehmerInnen täglich grenzüberschreitend tätig werden müssen, um unter die Definition zu fallen. Weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene finden sich gesetzliche Regelungen, die von jeder Dienst-/Tagesschicht bzw. von einer Mindestanzahl an Tagen, an denen die ArbeitnehmerInnen grenzüberschreitende Tätigkeiten verrichten, ausgehen. Diese gesetzliche Definition wirft vor allem für die Betrachtung von ArbeitnehmerInnen, welche nicht täglich grenzüberschreitend eingesetzt werden, erhebliche Fragen auf.

Die Gewerkschaft vida vertritt die Position, dass das fahrende Personal schon bei nur einem einzigen grenzüberschreitenden Einsatz in die Anwendung der Richtlinie und unter die günstigeren Regelungen fällt. Entsprechende Zeiträume für eine mögliche Aliquotierung von Ansprüchen, welche nicht täglich, sondern wöchentlich oder jährlich berechnet werden, wie insbesondere die zusätzlichen bzw. erhöhten Ruhezeiten aus diesen günstigeren Arbeitszeitregelungen, müssten praxisbezogen festgelegt werden, da es hier an einer gesetzlichen Bestimmung fehlt.

Eisenbahnverkehrsunternehmen in der Pflicht

Damit ist ein wesentlicher Teil der Belegschaft von österreichischen Eisenbahnunternehmen, welche durch die Gewerkschaft vida vertreten wird, von der Definition „grenzüberschreitendes Zugpersonal“ umfasst. Die betroffenen Unternehmen werden daher eine entsprechende Einstufung des Personals als „grenzüberschreitend tätig“ im Sinne der RL 2005/47 EG vorzunehmen haben und die Regelungsbestandteile für diese zur Anwendung bringen müssen.

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