Die Antwort auf diese Frage fällt naturgemäß unterschiedlich aus, je nachdem ob sie praktisch, politisch oder philosophisch interpretiert wird. Verglichen mit anderen wirtschaftspolitischen Kennzahlen wie „Wettbewerbsfähigkeit“ oder „Lebensqualität“ ist die Arbeitslosenquote aber jedenfalls eine recht zuverlässigen Messgröße. – Sie gibt einen verlässlichen Eindruck über die Lage am Arbeitsmarkt wieder. Dies gilt sowohl bei der Betrachtung über längere Zeiträume als auch im Vergleich von verschiedenen Ländern – etwa im OECD-Raum. Das gilt für Österreich, aber auch für andere Länder. Behauptungen wie „250.000 Arbeitslose fehlen in der Statistik“, die von „Agenda Austria“ vier Tage vor der Wahl produziert wurden, sprechen damit eigentlich für sich, wie im nachfolgend klar werden wird.
Die Basics – die vielen Gesichter der Arbeitslosigkeit
Nach der gängigen Definition der International Labour Organization (ILO) werden Personen als arbeitslos gezählt, die bei einer Befragung im Rahmen des Mikrozensus´ angeben, in der Referenzwoche
- keiner bezahlten selbstständigen oder unselbstständigen Beschäftigung von mindestens einer Stunde nachgegangen zu sein; die zudem
- dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, d. h. jederzeit eine Beschäftigung aufnehmen können und die
- Arbeit aktiv suchen.
Danach waren im Juli 2013 in Österreich etwa 211.000 Personen arbeitslos. Sinngemäß findet diese Definition auch Anwendung bei der Registrierung der Arbeitslosen – allerdings waren Ende Juli beim AMS ca. 256.500 Personen als arbeitslos registriert. Die Differenz ergibt sich zum einen durch den Stichprobenfehler bei der Umfrage, aber auch dadurch, dass beim Mikrozensus unklar ist, wie Menschen bestimmte Situationen wie Krankheit, Kursteilnahmen, Einstellzusagen, etc. bei der Fragebeantwortung interpretieren. Im Juli 2013 lag die EUROSTAT-Arbeitslosenquote bei 4,8%, die nationale Quote betrug 6,7%. Neben den bereits erwähnten Differenzen bei der Erfassung resultiert der Unterschied aus der Verwendung unterschiedlicher Nenner: Bei der internationalen Quote werden die Arbeitslosen im Verhältnis zum gesamten Arbeitsangebot, also inklusive selbstständig Beschäftigter, betrachtet. Bei der nationalen Definition werden die arbeitslosen nur zu den unselbstständig Beschäftigten und den Arbeitslosen in Relation gesetzt.
Mit dem Stichtag Ende Juli 2013 waren, wie bereits erwähnt, 256.500 Personen beim AMS als arbeitslos vorgemerkt. Im Jänner 2013 waren es noch 338.400 Personen. Hier zeigt sich das große Ausmaß an Saisonarbeitslosigkeit in Österreich, vor allem bei den Männern. Neben der absoluten Anzahl an Arbeitslosen und der Arbeitslosenquote gibt es aber noch eine Reihe anderer aussagekräftiger Indikatoren.
So stellt die zeitliche Perspektive auf Betroffenheit und Bestand ab: Im Jahr 2012 etwa waren ca. 1.000.000 Personen zumindest einen Tag von Arbeitslosigkeit betroffen, im Jahresdurchschnitt waren es jedoch nur 260.600. Dieses deutliche Auseinanderfallen von Zugang und Bestand ist das Resultat der kurzen durchschnittlichen Dauern von Arbeitslosigkeit, nämlich 96 Tage. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Arbeitslosigkeit, je nach gewählter Perspektive, viele verschiedene Gesichter hat. Ein Umstand, der häufig bei der Kurzatmigkeit der medialen Diskussion vergessen oder unterschlagen wird.
Grau- und Randbereiche: Wird hier Arbeitslosigkeit versteckt?
Arbeitslosigkeit ist ein äußerst vielschichtiges ökonomisches, sozial- und gesellschaftspolitisches Problem, verschieden Formen der Unterbeschäftigung ergeben eine Vielzahl von Graustufen. Nachfolgend seien einige genannt:
Ende Juli 2013 nahmen neben den 256.500 Personen, die beim AMS als arbeitslos ausgewiesen waren, noch zusätzlich ca. 63.800 an verschiedenen Schulungen und Kursen teil. Es ist international üblich, diese Personen nicht als arbeitslos zu zählen, aus einem sehr einfachen und naheliegenden Grund: Sieht man einmal von Einzelfällen ab, dann kann davon ausgegangen werden, dass die Kurse sich auf die weitere Arbeitsmarktintegration der TeilnehmerInnen positiv auswirken. Daher macht es Sinn, dass diese Schulungen, die mehrere Monate in Anspruch nehmen können, erfolgreich abgeschlossen werden. Wenn aber während der Kursteilnahme ein Job-Angebot auf die TeilnehmerIn passen sollte, erfüllt diese Person nicht das 2. der oben genannten Kriterien („dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“), weil sie ja den Kurs erst fertig machen soll; daher wird sie nicht als arbeitslos gezählt. So einfach ist das! Die Zahl der SchulungsteilnehmerInnen, die neben jener zu den Arbeitslosen regelmäßig veröffentlicht wird, hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich von ca. 20.000 auf 65.000 erhöht – dies ist Ausdruck für die erhöhten Anstrengungen der österreichischen Arbeitsmarktpolitik, Arbeitslose wieder erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
An den Rändern der Altersverteilung gibt es ebenfalls Graubereiche: Bei den Jugendlichen werden etwa die Lehrstellensuchenden (2012 ca. 5500) nicht als arbeitslos, die Lehrlinge hingegen als beschäftigt gezählt; über beide Konventionen kann man diskutieren, sie haben allerdings nur einen geringfügig dämpfenden Effekt auf die Gesamtarbeitslosigkeit. Dass Österreich die Arbeitslosigkeit in den verschiedenen Formen der Frühpensionen versteckt, ist ein Phänomen aus den 1980er Jahren, also lange vorbei. Seit 2000 ist jedoch das Gegenteil der Fall: zugegebenermaßen von niedrigem Niveau aus konnten die Beschäftigungsquoten der Älteren (55-59 Jahre) um ca. 17 Punkte auf 62,8% und damit knapp unter dem EU-Durchschnitt angehoben werden. Bei den 60-64 Jährigen liegen wir noch ca. 10 Punkte unter dem Durchschnitt, aber dies ist auch ein Resultat des gesetzlichen Pensionsalters der Frauen im Privatwirtschaftsbereich von 60 Jahren.
Neben der Arbeitslosigkeit gibt es natürlich noch andere Formen der Unterbeschäftigung. Um dem Rechnung zu tragen veröffentlicht EUROSTAT seit 2011 zwei neue Indikatoren als Ergänzung zur ILO-Arbeitslosenquote. Dabei soll die restriktive Definition von Arbeitslosigkeit (aktive Suche, kurzzeitig verfügbar) und Erwerbstätigkeit („Ein-Stunden-Grenze“) etwas gelockert werden: Es handelt sich dabei um Teilzeit-Unterbeschäftigte, die gerne mehr arbeiten würden und eine „Stille Reserve“ aus aktiv arbeitssuchenden Personen, die allerdings nicht verfügbar sind und verfügbaren Personen mit einem Arbeitswunsch, die allerdings nicht Arbeit suchen. Zählt man diese „unterbeschäftigten“ Personengruppen zusammen, so sind das 7,7% der Aktivbevölkerung oder ca. 340.000 Personen; damit liegt aber das Ausmaß an Unterbeschäftigung in Österreich unter dem EU-Durchschnitt, was der These widerspricht, hierzulande würden die Arbeitslosen in besonderem Maße „versteckt“.
Agenda Austria: Abteilung für Agitation und Propaganda
„Agenda Austria“ meint wenige Tage vor der Wahl, 250.000 Arbeitslose würden von der Politik, vor allem in Frühpensionsprogrammen, absichtlich versteckt. Dazu wäre festzuhalten:
- Die Autoren geben vor – unter anderem mit Verweis auf Fuchs 2002 – die versteckte Arbeitslosigkeit in Österreich und einigen anderen Ländern zu berechnen. Tatsächlich ermitteln sie aber die „Stille Reserve“ als Teil des Erwerbspersonenpotenzials bei Vollbeschäftigung bzw. Hochkonjunktur (Beschäftigte, offiziell Arbeitslose, stille Reserve), d. h. sie machen sich auf die Suche nach allen Personen, die Arbeit bei sehr guter Konjunktur anbieten würden und vergleichen diese Zahl mit dem tatsächlichen Arbeitsangebot. Diese stille Reserve ist aber etwas ganz anderes als die Anzahl von Arbeitslosen, die „absichtlich“, etwa durch Fehlanreize von der Politik, „versteckt“ werden. Handelst es sich bei der „stillen Reserve“ doch um nicht verfügbare Arbeitssuchende.
- Als Konjunkturvariable wird die allgemeine Beschäftigungsquote herangezogen – man könnte sich eine bessere Proxy vorstellen! Interessant auch, dass die von der Agenda Austria ermittelte „versteckte Arbeitslosigkeit“ in den Zeiträumen 2005-2007, 2009 und Anfang 2013 besonders hoch gewesen sein soll; die Zeiträume zeichnen sich durch sehr unterschiedliche Konjunkturlagen aus.
- Bei den Frauen in der Altersgruppe von 55-64 war laut Agenda die versteckte Arbeitslosigkeit besonders hoch – was in gewissem Sinne durch das gesetzliche Pensionsalter zu erklären ist. Hinzu kommt noch ein technischer Einwand: Sowohl bei Männern als auch bei Frauen der Altersgruppe 55-64 Jahren weisen die Schätzgleichungen auf statistische Probleme hin. Auch nicht gerade vertrauenserweckend. Auf dieser Gruppe „lastet“ allerdings ein Großteil der Argumentation!
Worum es den Autoren und der Agenda Austria aber eigentlich geht, wird bei den angebotenen Lösungsansätze (S. 33ff) deutlich: Über vier Seiten werden Vorschläge zur Pensionsreform ausgebreitet. Aha, das treibt die Agenda-Propheten also um …