Dass Wien wächst ist so. Man kann das jetzt gut finden oder auch nicht – die Stadt ist attraktiv weil sie Lebenschancen bietet. Offensichtlich bessere als in Deutschland, Ungarn und den Österreichischen Bundesländern. Von dort kommen die meisten Zuwanderer. Dazu kommt auch ein Geburtenüberschuss – Wien wächst kräftig, viel stärker als vorhergesagt: in den letzten beiden Jahren jeweils um 25.000 BewohnerInnen.
Wachstum bringt Chancen – schrumpfende Städte kann man überall in der Welt als abschreckende Problemgebiete besichtigen. Aber Wachstum ist nicht per se Gut, es bringt auch große Herausforderungen mit sich. Wien ist seit 2000 um „Linz“ gewachsen und wird bis 2025 um „Graz“ wachsen – wo sollen all die Menschen Wohnen, arbeiten und ihr Leben genießen. Viele Weichenstellungen sind nötig, die dringendsten bei Wohnen, Bildung, Arbeitsmarkt, Verkehr und bei der Finanzierung der notwendigen Investitionen.
Platz für Wohnungen schaffen
Mit dem Bevölkerungswachstum steigt der Bedarf an Wohnraum. Wien baut derzeit etwa 6400 geförderte Wohnungen pro Jahr, doch es müssten zumindest 8000 sein. Diese Lücke erklärt die ständig steigenden Mieten und Preise für Eigentumswohnungen. Für öffentliche Bauträger ist es zudem oft schwierig leistbare Grundstücke zu erwerben. Denn potenzielle Bauareale für Großprojekte, wie etwa ehemalige Bahnhöfe oder Industriezonen, sind in Wien bereits verplant. Daher wird es in Zukunft notwendig sein, auch kleinere Flächen zu bebauen und zu verdichten. Für die Bundeshauptstadt wäre es sinnvoll, über eine Grundstücksbevorratung nachzudenken. Öffentliche Grundstücksankäufe sollten in möglichst geordneter Weise erfolgen. Derzeit wird am Stadtrand Wiese für Wiese angekauft und verbaut, mit den entsprechenden negativen infrastrukturellen Folgen. Um leistbares Wohnen auch in Zukunft zu ermöglichen bedarf es auch der Einführung einer Flächenwidmungskategorie „geförderter Wohnbau“.
Zu viele pendeln mit dem Auto
Dass nicht jeder in Wien auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreift, zeigt mitunter das Verhalten der PendlerInnen. Rund 250.000 Menschen, die in Wien arbeiten, aber außerhalb Wiens wohnen, pendeln pro Tag in die Bundeshauptstadt ein. Davon kommen etwa 70 Prozent mit dem Auto. Obwohl in der Stadt selbst die KFZ-Nutzung deutlich sinkt, da innerstädtisch immer öfter der öffentliche Verkehr und das Rad genutzt oder die Wege ganz einfach zu Fuß zurückgelegt werden, verbleibt doch ein hoher KFZ-Anteil. Dieser kann langfristig nur dann reduziert werden, wenn entsprechend attraktive Alternativen für PendlerInnen angeboten werden. Hierzu bedarf es einer bundesländerübergreifenden Strategie und Zusammenarbeit, die, angesichts der rasch anwachsenden Stadt, lieber heute als morgen angegangen werden sollte.
Herausforderung Schule
2030 wird es um 16 Prozent mehr schulpflichtige Kinder geben, die Zahl der mehrsprachigen SchülerInnen hat sich in den letzten 12 Jahren fast verdoppelt. In manchen Bezirken Wiens sind bis zu 80% der Pflichtschulkinder mehrsprachig. Hier besteht ein erhöhter Förderbedarf, der bisher nicht im entsprechenden Ausmaß zur Verfügung steht. Als erstes müssen Reformen der Mittelzuteilung an Schulen entlang der sozialen Lage der SchülerInnen durchgeführt werden. Damit soll insbesondere die ganztägige Betreuung sowie die Förderung der Mehrsprachigkeit unterstützt werden. Daneben soll auch die Beherrschung der Erstsprache der SchülerInnen gefördert werden.
Hindernis Stabilitätspakt
All diese wichtigen Herausforderungen können nur durch rechtzeitiges Handeln gemeistert werden. Es müssen öffentliche Investitionen in die städtische Infrastruktur getätigt werden. Sie sind nicht nur für die WienerInnen notwendig, sie kurbeln auch die Wirtschaft an und tragen damit zu einem Beschäftigungswachstum bei. Doch die strikten, politisch motivierten Sparvorgaben von Bund und EU (Stichwort „Innerösterreichischer Stabilitätspakt“) schränken die Möglichkeiten für kommunale Investitionen ein – selbst wenn aufgrund des enormen Bevölkerungswachstums ein dringender Bedarf besteht. Gerade jetzt, wo die Kreditzinsen im Keller sind ist eine Geldaufnahme vergleichsweise günstig. Es wäre daher für Wien auch ökonomisch sinnvoll, massiv in die öffentliche Infrastruktur zu investieren.
Das braucht das wachsende Wien
Wohnpolitik: Es braucht mehr geförderten Wohnbau, derzeit werden nur 6400 geförderte Wohnungen gebaut. Nach AK Schätzungen braucht es aber mindestens 10000 neue Wohnungen pro Jahr, davon sollten 8000 gefördert sein. Die in Wien diskutierte neue Bauordnung sieht die Widmungskategorie „förderbarer Wohnbau” vor. Diese muss verschärft werden und sicherstellen, dass der förderbare Wohnbau auch zu bezahlbaren Wohnungen führt. Der aktuelle Entwurf stellt das nicht sicher. Weiters braucht es Verbesserungen im Mietrecht und schärfere Mietobergrenzen.
Verkehr: Nicht nur Wien wächst, sondern auch der Speckgürtel rund um die Stadt. Darauf muss sich die Verkehrsplanung einstellen – Wien braucht eine Erweiterung des öffentlichen Verkehrs. Eine bessere Integration aller Verkehrsmittel und der Ausbau der S-Bahn innerhalb der Stadt und über die Stadtgrenzen hinweg wären kostengünstige Wege, Verkehrsprobleme zu lösen.
Schulen: Bis 2030/31 wächst die Zahl der PflichtschülerInnen um 16 Prozent – ausreichend Platz und Unterstützung sind nötig. Etwa die Hälfte der SchülerInnen ist nicht mit Deutsch als Muttersprache aufgewachsen. Diese brauchen eine ausreichende Förderung in Deutsch, aber auch in ihrer Erstsprache. Sozial benachteiligte Kinder müssen besser unterstützt werden.
Anerkennung von Qualifikationen: Ein Großteil der Neu-WienerInnen bringt gute Qualifikationen mit. Die Anstrengungen zur Erleichterung der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen und Fertigkeiten müssen weiter ausgebaut werden.
Investitionen in Arbeitsplätze: Eine Milliarde Euro an öffentlichen Investitionen wie Wohnbau oder Verkehrsinfrastruktur schaffen zwischen 6.000 bis 10.000 Jobs. Darüber hinaus muss es stärkere Anstrengungen zur Arbeitsmarktintegration von gering Qualifizierten geben.
Flexiblere Finanzierungsmöglichkeiten: Wien muss investieren, um die Herausforderungen der Zukunft gut zu bewältigen. Doch in den letzten 10 Jahren haben die Städte und Gemeinden in Österreich ihre Ausgaben laufend heruntergefahren. Es muss eine Lockerung der Sparzwänge für wachsende Gemeinden geben. Investitionen sollen nicht mehr zur Gänze in die, vom Stabilitätspakt festgelegte, Verschuldungsgrenze eingerechnet werden müssen.
Einiges kann Wien alleine Regeln, andere Entscheidungen vor allem finanzielle fallen im Bund oder in Brüssel. Der Druck ist da: Das Wachstum kommt schon von Allein die begleitenden Maßnahmen aber nicht.
Der Artikel ist in Langfassung in der AK-Stadt: Wien wächst erschienen.