Ökologische Fragen sind soziale Fragen und damit eng verbunden mit Macht und Herrschaft. Die Perspektive sozial-ökologischer Transformation thematisiert zu den wichtigen Verteilungsdimensionen, was und wie in der Gesellschaft unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen produziert wird und welcher gesellschaftlichen Bedingungen es für ein Gutes Leben für alle bedarf.
Ein Gespenst geht um in Europa. Nicht nur die Austeritätspolitik wird immer stärker kritisiert, weil sie auf dem Rücken der Beschäftigten und ärmerer Länder ausgetragen wird. Es wird auch deutlich, dass eine lediglich auf Umverteilung von Einkommen, Vermögen und Macht setzende Politik zwar wichtig ist, aber zu kurz greift. Was in den Fachdebatten unter dem Begriff der „sozial-ökologischen Transformation“ diskutiert wird, artikuliert sich öffentlich zunehmend als Forderung nach einem „Guten Leben für alle“. Wie? Allerorten Krise, um die zu bekämpfen, müssen andere Dinge wie der Kampf gegen den Klimawandel oder mehr Gerechtigkeit zurückstehen. Nein! Angemessene Krisenstrategien sollen die Möglichkeiten eines guten Lebens für alle und angemessene Antworten auf die ökologische Krise berücksichtigen.
Der viel zu hohe Verbrauch natürlicher Ressourcen zerstört die Umwelt und heizt den Klimawandel an. Betroffen davon sind vor allem die schwächeren Gesellschaftsmitglieder und Regionen. Es geht also um den weitgehenden Einsatz erneuerbarer Energie. Doch ein verändertes Energiesystem sollte mitdenken, was eigentlich mit der Energie produziert wird. Industriell gefertigte Lebensmittel, eventuell sogar mit hohem Aufwand aus anderen Weltregionen importiert – oder nachhaltig produzierte und tendenziell gesündere?
Anders arbeiten und leben
Gutes Leben für alle hat nicht nur eine kulturelle Dimension sich verändernder Lebensstile, sondern auch eine politische Aufgabe. Damit sind wir bei Entscheidungen zwischen Alternativen, bei Macht und Interessen. Die Beschäftigten und ihre Organisationen spielen hier eine zentrale Rolle. Denn der Umbauprozess muss politisch gestaltet werden und das sollte nicht den Investoren und Unternehmen sowie ihren politischen Vertretern überlassen werden.
Wirtschaftswachstum und Macht
Die aktuelle wachstumskritische Diskussion betont etwas anderes als die Frage „Wachstum ja oder nein“: Der kapitalistische Wachstumsimperativ muss zurückgedrängt werden und damit einher gehend die scheinbar alternativlose Wettbewerbsfähigkeit und „Standortpolitik“.
Und: Die zu starke Orientierung am Wirtschaftswachstum sichert entsprechende Machtverhältnisse ab, nämlich zuvorderst die Interessen der Investoren und global tätigen Unternehmen, welche die Standorte gegeneinander ausspielen: Wo bekommen sie die aus ihrer Sicht (un-)sozial und (un-)ökologisch vorteilhaftesten Bedingungen?
Die Wachstumstreiber müssen angegangen werden. Damit sind wir bei Fragen, wie Macht eingedämmt und wie Demokratie ausgebaut werden kann. Denn bislang ist die dominante Erfahrung der meisten Menschen, die Gesellschaft nicht gestalten zu können. An den Schalthebeln der politischen, ökonomischen und kulturellen Macht sitzen andere.
Gutes Leben für alle – wie?
Damit kommen wir zu einem Kernelement der Forderung „Gutes Leben für alle“. Es bedarf Formen des individuellen und gesellschaftlichen Wohlstands, die auf politische Gestaltung, sozial-ökologisch verträgliche Produktion und ein attraktives Leben für die Menschen setzen: Die de-stabilisierenden Formen des kapitalistischen Wachstums und die damit verbundenen Interessen müssen verändert werden. Damit werden gesellschaftliche Bedingungen möglich, unter denen Menschen ihre Individualität entfalten und leben können – und zwar in einem solidarischen sozialen Zusammenhang, der ja erst die Bedingung freier Persönlichkeitsentwicklung ist.
Gestalten statt verzichten
Es geht also nicht um Aufrufe zu „Verzicht“ – viele Menschen haben auf nichts zu verzichten – oder den grün-liberalen Wunsch nach „Befreiung vom Überfluss“, sondern neben individueller Verantwortung auch um gesellschaftliche Gestaltung.
Die gute Nachricht. Die Gesellschaft erstarrt nicht länger in ihrem Unmut über soziale Spaltung und Umweltzerstörung, gegenüber der Arroganz und Ignoranz der Mächtigen. Mehr und mehr Menschen machen sich auf, zumindest in Teilbereichen anders zu leben. Langlebigere Produkte zu kaufen, ökologisch und sozial produzierte Lebensmittel. Das sind die „Pioniere des Wandels“, die weiter ermuntert und unterstützt werden müssen – durch progressive Unternehmer, Arbeiterkammer und Gewerkschaften, durch staatliche Rahmenbedingungen.
Konflikte wie um das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) zeigen, dass es durchaus Widerstand gibt gegen eine weitere Runde, den Neoliberalismus international festzuschreiben. Das Gute Leben für alle ist ein zunehmend besser sichtbarer Horizont und scheint in vielen Diskussionen und solidarischen Praxen bereits heute auf.
Dr. Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, leitet ein vom Klima- und Energiefonds gefördertes Forschungsprojekt zur Rolle von Gewerkschaften im sozial-ökologischen Umbau.
Anmerkung: Dieser Beitrag erscheint in längerer Fassung in der Zeitschrift Wirtschaft und Umwelt Anfang Juli in der Ausgabe 2/2015: www.ak-umwelt.at