1993 wurde das unterschiedliche Frauenpensionsalter verfassungsrechtlich festgeschrieben. Mit der schrittweisen Anhebung darf laut Verfassungsbestimmung erst 2024 begonnen werden. Die lange Übergangsfrist ist aber kein Privileg für Frauen. Grundlage war die Erkenntnis, dass einer Angleichung des Frauenpensionsalters eine „weitgehende Gleichstellung von Frauen und Männern in gesellschaftlichen, familiären und wirtschaftlichen Belangen“ vorausgehen muss. Mehr als 20 Jahre später sind wir von einer „weitgehenden Gleichstellung“ aber immer noch ziemlich weit entfernt. Die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters ist daher eine Scheindiskussion, die vom eigentlichen Problem der anhaltenden Benachteiligungen von Frauen und ihren niedrigen Pensionsleistungen ablenkt.
Unvollständige Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt
Frauen sind heutzutage im Haupterwerbsalter (25 bis 50 Jahre), wenn sie keine Kinderbetreuungspflichten haben, in nahezu gleichem Ausmaß wie Männer in den Arbeitsmarkt integriert (rund 89 Prozent). Die Teilnahme am Arbeitsmarkt von Frauen und Männern derselben Altersgruppe mit Kindern unter 15 Jahren unterscheiden sich jedoch noch immer beträchtlich: Die Erwerbsquoten dieser Frauen lagen 2014 mit 79 Prozent immerhin um 17 Prozentpunkte unter jener der Männer mit 96 Prozent.
Noch klarer zeigen sich die unterschiedlichen Auswirkungen der Kinderbetreuung auf die Integration von Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt an Hand der Teilzeitquoten im Haupterwerbsalter. So waren 2014 über 74 Prozent der Frauen zwischen 25 und 50 Jahren mit Kindern unter 15 Jahren Teilzeitbeschäftigt, aber trotz steigender Tendenz, nur etwa 6 Prozent der vergleichbaren Männer.
Teilzeitbeschäftigung ist aber nicht nur mit einem geringeren Einkommen, sondern vor allem bei längeren Teilzeitphasen auch mit einer tendenziell schlechteren Bezahlung, einer Beschäftigung unter dem Ausbildungsniveau sowie geringeren Chancen einer beruflichen Weiterentwicklung und eines beruflichen Aufstieges verbunden. Längere Teilzeitarbeit hat also nachhaltig negative Auswirkungen auf die Arbeitsmarktchancen und Verdienstmöglichkeiten von Frauen. Dass der Großteil der unbezahlten Kinderbetreuungsarbeit auch 2015 noch immer vor allem von Frauen geleistet wird, zeigt sich auch an der geschlechtsspezifischen Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsgeld. Laut Monatsstatistik des Familienministeriums betrug der Anteil der Väter am gesamten Bezug von Kinderbetreuungsgeld – trotz fünf verschiedener Varianten – im März 2015 nur 4,5 Prozent. Selbst bei einer Betrachtung des Geldbezuges pro Kind bzw. Kinderbetreuungsfall waren nur ca. 18 Prozent der Väter an der Betreuung ihres Kindes beteiligt. Der Unterschied der Väterbeteiligung an Hand der Monatsstatistik und der Kinderbetreuungsfälle ergibt sich aus der viel kürzeren Inanspruchnahme von Kinderbetreuungsgeld durch die Väter. Unterbrechen Mütter ihre Berufstätigkeit meist für (mehrere) Jahre, so steigen Väter in der Regel nur für ein paar Monate aus der Erwerbstätigkeit aus. Dies schlägt sich in der Monatsstatistik nieder. Frauen zählen nach längeren Phasen der beruflichen Unterbrechung und der Teilzeitbeschäftigung am Arbeitsmarkt aber zu den besonders verwundbaren und besonders gefährdeten Arbeitskräften. Eine adäquate Beschäftigung dieser Frauen auch über das derzeitige Pensionsanfallsalter hinaus ist daher äußerst fraglich und würde vor allem mit zunehmender Arbeitslosigkeit oder atypischer Beschäftigung einhergehen. An der unterschiedlichen Bezahlung von Frauen und Männer, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls nur sehr wenig geändert. Gemäß dem Bericht zum Abbau von Benachteiligungen von Frauen betrug 2013 das mittlere Bruttojahreseinkommen unselbständig beschäftigter Frauen noch immer um mehr als 39 Prozent weniger als das der Männer. Ein Teil dieses Einkommensunterschiedes kann auf vermehrte Teilzeitarbeit und Berufsunterbrechungen von Frauen zurückgeführt werden. Aber selbst bei einer Betrachtung des mittleren Bruttojahreseinkommens ganzjährig Vollzeit-Beschäftiget betrug der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männer 2013 noch immer mehr als 18 Prozent. Die geringere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt als „freiwillig“ und diesen Teil des Einkommensunterschiedes als „erklärbar“ und damit als gerechtfertigt abzutun wäre falsch, denn Teilzeitbeschäftigung und Erwerbsunterbrechungen aufgrund von familiären Betreuungspflichten sind bereits Ergebnisse einer geschlechtlichen Arbeitsteilung zu Lasten von Frauen. Frauen können durch die Übernahme von gesellschaftlich notwendigen aber unbezahlten Arbeiten im familiären Rahmen noch immer nicht in gleicher Weise wie Männer am Arbeitsmarkt teilnehmen. Dies reduziert – neben anderen diskriminierenden Faktoren – ihr Erwerbseinkommen beträchtlich und in späterer Folge auch ganz erheblich ihre Pensionsleistungen. Die geringere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und die Einkommensungleichheit schlagen sich aufgrund des Äquivalenzprinzips – und trotz der Einführung der Kindererziehungszeiten 1993 und mehrmaliger Erhöhungen – in den Pensionsleistungen negativ zu Buche. Obwohl der Unterschied zwischen Frauen und Männern bei den Alterspensionen laut dem Bericht zum Abbau der Benachteiligungen von Frauen seit 1993 stark gesunken ist, betrug er 2014 noch immer 48 Prozent. Damit beziehen Frauen im Durchschnitt noch immer um fast die Hälfte weniger Alterspension als Männer. Im Bereich der Invaliditätspension ist der Unterschied stärker zurückgegangen und betrug 2014 „nur“ mehr 37 Prozent. Diese Angleichung ist aber vor allem auf einen geringeren Anstieg der männlichen Pensionsleistungen zurückzuführen.
Aber auch in absoluten Beträgen sind die Pensionsleistungen der Frauen noch immer sehr niedrig: Frauenpensionen (brutto, inklusive Zulagen und Zuschüsse) 2014: Anzumerken ist hier, dass diese Pensionsleistungen zum Großteil noch auf einer Rechtslage basieren, die für die zukünftigen Pensionistinnen so nicht mehr gilt. Mit der vollen Wirksamkeit der Pensionsreform 2005 bzw. des Pensionskontos werden individuelle und damit auch unstete und prekäre Erwerbsverläufe in der Pensionsleistung noch wirksamer. In Zukunft fließen nämlich alle Versicherungsjahre und damit auch alle Jahre einer Teilzeitbeschäftigung oder mit schlechterem Verdienst (etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit oder längerer Krankheit) in die Berechnung mit ein. Frauen (aber auch Männer) können diese pensionsrechtlichen Verschlechterungen angeblich nur durch einen längeren Verbleib am Arbeitsmarkt (etwa bis zum 65. Lebensjahr) wettmachen. Wie dies angesichts der beschriebenen anhaltenden Benachteiligungen von Frauen und der problematischen Arbeitsmarktsituation vor Pensionsantritt tatsächlich möglich sein soll, bleibt die Frage. Bereits 2014 waren knapp 35 Prozent der Frauen vor Antritt einer Alterspension nicht mehr in den Arbeitsmarkt integriert und im Falle der Invaliditätspension sogar mehr als 78 Prozent. Die Situation der Männer ist hier immerhin noch etwas besser. Übertritt in die Pension der unselbständig erwerbstätigen Frauen und Männer 2014 in Prozent Quelle: BMASK, Fact-Sheet Pensionen, Oktober 2014, Selbstversicherung schließt auch freiwillige Weiterversicherung, keine Versicherung schließt auch sonstiges mit ein. Die vorzeitige Anhebung des Frauenpensionsalters ist daher eine Scheindiskussion, die vom eigentlichen Problem der anhaltenden Benachteiligungen von Frauen und ihren niedrigen Pensionsleistungen ablenkt. Die bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt, als ein wesentlicher Faktor, darf aber nicht erst ein paar Jahre vor Pensionsantritt thematisiert werden, sondern betrifft den gesamten Erwerbsverlauf – und vor allem die Haupterwerbsphase, in der etwa auch Kinder zu betreuen sind. Hier sind entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen und Maßnahmen zu setzen – vor allem auch im Hinblick auf ein Aufbrechen der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Erst wenn es tatsächlich gelungen ist, Frauen über den gesamten Erwerbsverlauf (sehr) gut in den Arbeitsmarkt zu integriert, werden sie auch eine reelle Chance haben im Alter länger am Arbeitsmarkt auf entsprechend gut bezahlten Arbeitsplätzen zu bleiben. Eigentlich wäre aus sozial- und frauenpolitisch Sicht – und im Sinne von Johanna Dohnal – erst dann eine Anhebung des Frauenpensionsalters vertretbar – und nicht bereits 2024. Weitere Beiträge zum Thema: Ingrid Mairhuber, Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Pensionsversicherung. Aktuelle Situation und notwendige Veränderungen http://www.beigewum.at/wordpress/wp-content/uploads/Geschlechtergerechtigkeit-in-der-%C3%B6sterreichischen-Pensionsversicherung.pdf Ingrid Mairhuber, Sozialpolitik als Frauenpolitik – das „schwere“ Erbe von Johanna Dohnal https://renner-institut.spooe.at/wp-content/uploads/sites/202/2015/05/Mairhuber_Sozialpolitik_als_Frauenpolitik.pdf Johanna Dohnal, Zum Gleichbehandlungspaket http://www.johanna-dohnal.at/sites/default/files/uploads/Reden/Gleichbehandlungspaket.pdf Bericht der Bericht der Bundesregierung betreffend den Abbau von Benachteiligungen von Frauen Berichtszeitraum 2013 – 2014 https://www.bmbf.gv.at/frauen/publikationen/abbau_benachteiligungen_2013.pdf?529d18 EU-Projekt Männer und Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wege zur gerechten Verteilung von Karenz-, Betreuungs- und Arbeitszeiten https://www.sozialministerium.at/site/Arbeit_Behinderung/Arbeitsrecht/EU_International/EU_Projekte/EU_Projekt_zur_besseren_Vereinbarkeit_von_Beruf_und_Familie_fuer_MaennerKinderbetreuung auch 2015 noch immer vor allem Frauensache
Geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede
Frauen beziehen um fast die Hälfte weniger Alterspension als Männer
Geringe Integration in den Arbeitsmarkt vor Pensionsantritt
Übertritt aus der… Erwerbstätigkeit Krankheit Arbeitslosigkeit Selbstversicherung Keine Versicherung Alterspension Frauen 65,4 1,1 15,9 6,1 11,6 Männer 73,3 1,4 17,6 2,3 5,4 Invaliditätspension Frauen 21,7 36,4 33,4 1,3 7,2 Männer 29,8 30,4 36 0,6 3,2 Frauenpensionsalter: Vorzeitige Anhebung als Scheindiskussion