Von Viren und Wirbelstürmen - Die Medienberichterstattung zur Finanzkrise

23. Oktober 2013

 Wer in den letzten Jahren versucht hat eine Tageszeitung aufzuschlagen ohne dabei auf das Wort Krise zu stoßen, musste vermutlich lange suchen. Spätestens seit 2008, als Lehman Brothers, vormals eine der weltweit größten Investmentbanken, Konkurs anmelden musste, ist die Wirtschafts- und Finanzkrise zu einem journalistisch relevanten Thema avanciert.

Die mediale Rezeption der Krise ist dabei mehr als das bloße zur Verfügung stellen von Informationen über aktuelle ökonomische Vorgänge. Während Großereignisse, wie Bankenpleiten, medial ausgeschlachtet wurden, erhielten langfristige gesellschaftliche Entwicklungen, wie die zunehmende Liberalisierung der Finanzmärkte vergleichsweise wenig Raum. Nichtsdestotrotz berichten Medien nicht einfach über Fakten oder Ereignisse, sondern betten diese in erzählerische Zusammenhänge ein und vermitteln damit immer auch eine bestimmte Perspektive auf das Geschehene. Den LeserInnen werden somit Interpretationen einer möglichen Wirklichkeit unterbreitet. Dies ist gerade bei einem abstrakten Thema wie der Wirtschafts- und Finanzkrise von essentieller Bedeutung, da komplexe ökonomische Zusammenhänge für ein Laienpublikum aufbereitet werden.

Wer darf zur Krise sprechen?

Die mediale Öffentlichkeit ist heute zentral für das Führen gesellschaftlicher Debatten. Dabei tragen Medien nicht nur wesentlich dazu bei, welche Themen überhaupt diskutiert werden, sondern auch von wem. Die Auswahl wer in der medialen Debatte zu einem bestimmten Thema sprechen kann wird innerhalb der Medienindustrie gerne mit der obligatorischen „objektiven Haltung“ gerechtfertigt. De facto führt die mediale Objektivität jedoch dazu, dass Diskussionen immer wieder in dieselben Bahnen gelenkt werden, da meist ähnliche, bereits etablierte AkteurInnen (beider Seiten) befragt werden. Damit können Medien die Grenzen öffentlicher Debatten abstecken. Für die Diskussion über die Finanzkrise zeigt eine Untersuchung der Zeitung The Economist, dass über die Hälfte der abgedruckten Aussagen von Personen stammen, die beruflich in direkter Verbindung zu Finanzmärkten stehen. Dabei handelt es sich vorwiegend um AnlegerInnen beziehungsweise ExponentInnen von Investmentfonds oder Banken. Folglich dominieren in den medialen Kommentaren zur Finanzkrise jene Personen, die wirtschaftliche Eigeninteressen im Krisenzentrum der Finanzmärkte vertreten. Im Gegensatz hierzu können etwa nur knapp über 13 Prozent der zitierten Personen dem Bereich der Wissenschaft zugeordnet werden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Wie wird über die Krise gesprochen?

Entscheidend ist nicht nur wer die Krise in den Medien kommentieren darf, sondern ebenso wie darüber gesprochen wird. Die Diskussion um die Finanzkrise bedient sich gerne metaphorischer Sprachbilder, um die abstrakten ökonomischen Prozesse anschaulich darstellen zu können. Metaphern ermöglichen aufgrund ihrer bildhaften Mehrdeutigkeit eine Analyse der dahinter liegenden Interpretationen von Ökonomie und Krise.

This hurricane season, one storm has hit after another. It is the same in financial markets.(The Economist, September 2008)

Das oben zu sehende Beispiel zeigt eine in den Medien häufig vertretene Metapher der Finanzkrise als Naturgewalt. Die Verbildlichung der Krise als Wirbelsturm oder seuchenhafte Krankheit, die, ausgehend von den USA, die Finanzmärkte weltweit angesteckt hätte legt die Interpretation nahe, dass die Krise durch von Menschen nicht beeinflussbare Kräfte entstanden sei. Des Weiteren wird suggeriert, die Krise wäre, als plötzlich auftauchendes (und damit ebenso unvorhersehbares) Ereignis, von außen in das Finanzsystem eingedrungen und hätte in der Folge das Funktionieren finanzmarktlicher Mechanismen beschädigt. Verschleiert wird dadurch hingegen, dass die Krise jedoch vielmehr ein Resultat der derzeitigen Organisationsweise der Finanzmärkte darstellt.

Die Metaphorik der Finanzkrise als Naturgewalt beeinträchtigt jedoch nicht nur das Verständnis über die Krisenentstehung, sondern beschränkt infolgedessen auch die Möglichkeiten der Krisenbewältigung. Bleibt man im Sprachbild von Wirbelstürmen und Krankheiten erfolgt die Rekonvaleszenz der betroffenen Objekte (in diesem Fall der Finanzmärkte) über die Wiederherstellung des Ausgangszustandes. Die in der medialen Debatte prominent diskutierten „Rettungsmaßnahmen“, wie etwa die Bankenpakete können in diesen Kontext eingeordnet werden. Die Problematik liegt jedoch darin, dass jenes Finanzsystem, das die Krise verursacht hat, restauriert werden soll.

Fazit

Die gegenwärtige Medienrezeption der Finanzkrise birgt einige Problematiken für die öffentliche Diskussion in sich. Erstens werden durch die Konzentration medialer Aufmerksamkeit auf spektakuläre Ereignisse jene Informationen vernachlässigt, die zu einem breiteren Verständnis mittel- bis langfristiger ökonomischer Entwicklungen als Krisenursache beitragen. Zweitens kann die Idee der Objektivität innerhalb der Medienindustrie dazu führen, dass die Krise mehrheitlich von Personen kommentiert wird, die selbst in den Finanzmärkten beruflich tätig sind. Diese haben jedoch einerseits oft eben jenes Finanzsystem mitgestaltet, das zur Krise geführt hat und unterliegen andererseits eigenen berufsbezogenen Interessen. Drittens suggeriert eine Metaphorik, die der Sphäre der Natur entlehnt ist, dass die Krise eine Ursache und nicht eine Folge finanzmarktlicher Fehlentwicklungen darstellt. Die mediale Rezeption tangiert den ökonomischen Kern der Finanzkrise folglich höchstens oberflächlich, doch ist es aus gesellschaftspolitischer Perspektive wesentlich, dass die öffentliche Debatte zur Finanzkrise deren mögliche Ursachen mitdiskutiert. Dies bedeutet vor allem die derzeit herrschenden Mechanismen auf den Finanzmärkten kritisch zu hinterfragen.

Romana Brait, Zum Verhältnis von Massenmedien und Finanzmärkten. Ein medienökonomischer Aufriss und eine diskursanalytische Untersuchung des The Economist (Wien 2012).