Der arbeitsbedingte Stress als ein Symptom von unzureichenden Arbeitsbedingungen ist EU-weit und in Österreich präsent. In Österreich haben wir eine höhere Beschäftigungsqualität im Vergleich zu anderen OECD-Ländern. Sie ist jedoch kein Bewertungskriterium für die Qualität der Arbeitsbedingungen. Was gute Arbeitsbedingungen ausmacht, hat der finnische Forscher Juhani Ilmarinen untersucht. Aktuelle Umfragen bestätigen seine Thesen.
Ilmarinen entwickelte im Rahmen einer Längsschnittstudie über elf Jahre, an der mehr als 6.500 Beschäftigte teilgenommen haben, das Konzept der „Arbeitsfähigkeit“. Er zeigt auf, dass die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten von der Wechselwirkung zwischen individuellen Ressourcen (Gesundheit, Qualifikation und Wissen sowie die Einstellungen und Motivation) und betrieblichen Arbeitsanforderungen (alle Faktoren die den eigenen Arbeitsplatz ausmachen wie z. B. Arbeitsinhalte, -organisation oder soziales Umfeld) abhängig ist. Dabei warnt Ilmarinen vor einseitigen Maßnahmen oder den Erwartungen, dass ausschließlich die Arbeitnehmer/-innen für den Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit verantwortlich sind. Nur wenn im Unternehmen auch das Führungsverhalten auf den Erhalt der Arbeitsfähigkeit ausgerichtet ist, kann die Arbeitsfähigkeit wachsen und der arbeitsbedingte Stress reduziert werden.
Die Aussagekraft der Beschäftigungsqualität
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhob im Zeitraum 2013 bis 2015 die Beschäftigungsqualität in Österreich und anderen OECD-Ländern. Die Qualität der Beschäftigung wird auf Basis von drei Faktoren gemessen: Einkommensqualität, Arbeitsplatzsicherheit und Qualität der Arbeitsumgebung. Österreich hat bessere Werte in den Bereichen der Arbeitsplatzsicherheit (Platz 5 von 25) sowie der Einkommensqualität (Platz 8 von 25) im Vergleich zu den 25 untersuchten OECD-Ländern in Europa. Weniger gut hat Österreich im Rahmen der Bewertung der Qualität der Arbeitsumgebung (gemessen an zu hohen Arbeitsanforderungen und unzureichenden Arbeitsressourcen) abgeschnitten und landete auf dem elften Platz bzw. im Mittelfeld. Allgemein betrachtet könnte man meinen, dass die Beschäftigungsqualität in Österreich gut ist. Dennoch ist es irreführend zu behaupten, dass „die Beschäftigungsqualität in Österreich besonders hoch ist“. Diese vorschnelle Verallgemeinerung würde in diesem Fall von bestehendem Verbesserungsbedarf der Arbeitsbedingungen in Österreich ablenken.
Zentrales Problem in Österreich: Arbeitsbedingter Stress
Die Arbeitsbedingungen in Österreich sind unzureichend, denn beinahe jeder zweite Beschäftigte (45 Prozent lt. OECD-Erhebungen) ist von arbeitsbedingtem Stress betroffen. Dies trifft nicht nur auf Österreich zu, sondern auch auf einige andere europäische Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien, Polen oder Portugal. Im EU-Ländervergleich sind Finnland und Dänemark die zwei Länder mit den niedrigsten Anteilen der Arbeitnehmer/-innen (rund 30 Prozent), die von stressbedingten Belastungen am Arbeitsplatz berichteten. Am anderen Ende der Skala ist Griechenland, wo rund 64 Prozent der Beschäftigten von arbeitsbedingtem Stress betroffen waren.