Von guten Arbeitsbedingungen profitieren Alle

01. Dezember 2016

Der arbeitsbedingte Stress als ein Symptom von unzureichenden Arbeitsbedingungen ist EU-weit und in Österreich präsent. In Österreich haben wir eine höhere Beschäftigungsqualität im Vergleich zu anderen OECD-Ländern. Sie ist jedoch kein Bewertungskriterium für die Qualität der Arbeitsbedingungen. Was gute Arbeitsbedingungen ausmacht, hat der finnische Forscher Juhani Ilmarinen untersucht. Aktuelle Umfragen bestätigen seine Thesen.

 

Ilmarinen entwickelte im Rahmen einer Längsschnittstudie über elf Jahre, an der mehr als 6.500 Beschäftigte teilgenommen haben, das Konzept der „Arbeitsfähigkeit“. Er zeigt auf, dass die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten von der Wechselwirkung zwischen individuellen Ressourcen (Gesundheit, Qualifikation und Wissen sowie die Einstellungen und Motivation) und betrieblichen Arbeitsanforderungen (alle Faktoren die den eigenen Arbeitsplatz ausmachen wie z. B. Arbeitsinhalte, -organisation oder soziales Umfeld) abhängig ist. Dabei warnt Ilmarinen vor einseitigen Maßnahmen oder den Erwartungen, dass ausschließlich die Arbeitnehmer/-innen für den Erhalt der eigenen Arbeitsfähigkeit verantwortlich sind. Nur wenn im Unternehmen auch das Führungsverhalten auf den Erhalt der Arbeitsfähigkeit ausgerichtet ist, kann die Arbeitsfähigkeit wachsen und der arbeitsbedingte Stress reduziert werden.

Die Aussagekraft der Beschäftigungsqualität

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erhob im Zeitraum 2013 bis 2015 die Beschäftigungsqualität in Österreich und anderen OECD-Ländern. Die Qualität der Beschäftigung wird auf Basis von drei Faktoren gemessen: Einkommensqualität, Arbeitsplatzsicherheit und Qualität der Arbeitsumgebung. Österreich hat bessere Werte in den Bereichen der Arbeitsplatzsicherheit (Platz 5 von 25) sowie der Einkommensqualität (Platz 8 von 25) im Vergleich zu den 25 untersuchten OECD-Ländern in Europa. Weniger gut hat Österreich im Rahmen der Bewertung der Qualität der Arbeitsumgebung (gemessen an zu hohen Arbeitsanforderungen und unzureichenden Arbeitsressourcen) abgeschnitten und landete auf dem elften Platz bzw. im Mittelfeld. Allgemein betrachtet könnte man meinen, dass die Beschäftigungsqualität in Österreich gut ist. Dennoch ist es irreführend zu behaupten, dass „die Beschäftigungsqualität in Österreich besonders hoch ist. Diese vorschnelle Verallgemeinerung würde in diesem Fall von bestehendem Verbesserungsbedarf der Arbeitsbedingungen in Österreich ablenken.

 Zentrales Problem in Österreich: Arbeitsbedingter Stress

Die Arbeitsbedingungen in Österreich sind unzureichend, denn beinahe jeder zweite Beschäftigte (45 Prozent lt. OECD-Erhebungen) ist von arbeitsbedingtem Stress betroffen. Dies trifft nicht nur auf Österreich zu, sondern auch auf einige andere europäische Länder wie Frankreich, Deutschland, Italien, Polen oder Portugal. Im EU-Ländervergleich sind Finnland und Dänemark die zwei Länder mit den niedrigsten Anteilen der Arbeitnehmer/-innen (rund 30 Prozent), die von stressbedingten Belastungen am Arbeitsplatz berichteten. Am anderen Ende der Skala ist Griechenland, wo rund 64 Prozent der Beschäftigten von arbeitsbedingtem Stress betroffen waren.

Im Jahr 2013 führte die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) eine Umfrage unter 16.622 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus 31 europäischen Ländern zu den häufigsten Gründen für arbeitsbedingten Stress durch.

Abbildung 1: Gründe für arbeitsbedingten Stress

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Quelle: EU-OSHA (2013)

 

Für die Österreicher/-innen verursachen an erster Stelle die „geleisteten Stunden oder Arbeitsbelastung“ (64 Prozent) den Stress. Obwohl der Belastungsfaktor der „Umstrukturierung des Arbeitsplatzes oder möglicher Arbeitsplatzverlust“ die Arbeitnehmer/-innen in Österreich weniger häufig betrifft (62 Prozent) als andere Beschäftigte in der EU (72 Prozent), ist er für Österreicher/-innen die zweitgrößte Ursache für den arbeitsbedingten Stress. Österreich liegt bei einigen anderen Belastungsfaktoren ebenfalls unter dem EU-Durchschnitt. Dabei geht auch hervor, dass die „Klarheit der Aufgaben und Verantwortung“ bei uns (unzureichend für 46 Prozent) besser geregelt ist als in anderen europäischen Ländern (unzureichend für 52 Prozent). Die Befragung in Schweden zeigt jedoch, dass noch bessere Kommunikation und Zusammenarbeit möglich sind. Somit sind in Schweden viel weniger Arbeitnehmer/-innen von „nicht akzeptablen Verhaltensweisen, Mobbing oder Belästigung“ (SE: 34 Prozent, AT: 58 Prozent, EU: 59 Prozent) sowie „fehlender Unterstützung von Kollegen/-innen oder Vorgesetzten“ (SE: 46 Prozent, AT: 58 Prozent, EU: 57 Prozent) betroffen als in Österreich oder im EU-Durchschnitt.

Damit werden auch Erhebungen über die Arbeitsbedingungen von der Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) aus dem Jahr 2010 noch einmal für Österreich bestätigt: Dort berichtete rund jeder vierte Beschäftigte über fehlende Hilfestellung und Unterstützung von den Vorgesetzten und rund jeder fünfte Beschäftigte berichtete vom Verbesserungsbedarf der Kommunikation am Arbeitsplatz. Es wird mehr soziale Unterstützung im Betrieb benötigt. Zwecks anfänglicher Bewältigung von psychosozialen Risiken sowie für die Verbesserung der Kommunikationskultur können Arbeitspsychologen/-innen eingesetzt werden. EU-weit arbeiten rund 17 Prozent der Betriebe mit einem/einer internen oder externen Psychologen/-in zusammen. Während es in Österreich rund jeder fünfte Betrieb ist, ist es Finnland und Schweden mehr als jeder zweiter Betrieb (rund 60 Prozent). (Quelle: ESENER-2, 2015). Eine langfristige und ernsthafte soziale Unterstützung am Arbeitsplatz bedarf nach Ilmarinen einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen und Vorgesetzten sowie zwischen den einzelnen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen.

Nicht nur Arbeitnehmer/-innen, sondern auch Manager/-innen und Sicherheitsbeauftragte wurden über bestehende Belastungsfaktoren im Betrieb befragt. Der Kundenkontakt und der Zeitdruck wurden hervorgehoben. Die Befragung über psychosoziale Risiken im Betrieb (ESENER) wurde im Jahr 2014 von EU-OSHA in 49.320 Betrieben aus 36 Ländern inkl. EU-28 durchgeführt. Die psychosozialen Risiken resultieren z. B. aus zu hohen Anforderungen beim Kundenkontakt, Zeitdruck, unzureichender Kommunikation oder Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens oder Arbeitsplatzunsicherheit. Erstens geht aus der Befragung hervor, dass der „Umgang mit zu hohen Anforderungen beim Kundenkontakt“, z. B. Patienten/-innen, Schalterkunden/-innen (EU-28: 57 Prozent, Österreich; 59 Prozent) und der „Zeitdruck“ (EU-28: 43 Prozent, Österreich: 55 Prozent) die häufigsten Belastungsfaktoren sind. Zweitens wird der Umgang mit psychosozialen Risikofaktoren im Vergleich zu „klassischen“ Risikofaktoren als schwieriger empfunden. Das Hauptproblem in beinahe jedem dritten Betrieb in Europa sowie in Österreich ist die mangelnde Bereitschaft, über diese Probleme offen zu sprechen. Das Problem wächst auch mit zunehmender Betriebsgröße.

Fazit

In den Betrieben kann der arbeitsbedingte Stress reduziert werden, indem das Gleichgewicht zwischen den Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen einen höheren Stellenwert einnimmt. Dies würde nicht nur die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten, sondern auch die Betriebe für die Bewältigung von bestehenden und neuen Herausforderungen stärken. Die ESENER-2-Studie (2015) thematisiert dabei den demografischen Wandel zugunsten der älteren Arbeitnehmer/-innen oder auch die voranschreitende Digitalisierung, die den Einsatz technischer Innovationen vorantreibt. Wenn im Rahmen des Wandels nicht nur technische Möglichkeiten und Rationalisierungsgewinne, sondern auch gute Arbeitsbedingungen im Vordergrund stehen, können alle profitieren.