Im Arbeitsrecht sind Pausen klar geregelt. Aber wer will schon solche Vorschriften für die unbezahlte Arbeit zuhause? Wenn es weder Chef noch Chefin gibt, kann man doch eh Pause machen, wann immer man will. Oder etwa nicht?
Für Menschen, die sich ausschließlich der Hausarbeit widmen, mag das stimmen. Aber die Spezies der Hausfrau ist eine vom Aussterben bedrohte Gattung, während die der Hausmänner noch immer eine vernachlässigenswert winzige Nische der sozialen Evolution ist. Trotzdem – oder vielleicht deswegen – sieht die Journalistin Sabine Rückert in der Hausfrau eine ‘Entschleunigungsfigur von einer fast philosophischen Dimension’. Der Grund: Sie hat Zeit.
Jackpot oder Arbeitsmarkt
Was sie aber in der Regel nicht hat, ist Geld. Zumindest kein eigenes. Es sei denn, sie hat reich geerbt oder den Lotto-Jackpot geknackt. Anderen Menschen bleibt für die Beschaffung von finanziellen Mitteln nur eine kriminelle Karriere oder – mehr im Mainstream – die eigene Arbeitskraft zu Markte zu tragen. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn der Job Spaß macht, anständig bezahlt ist und unter zumutbaren Bedingungen stattfindet. Die Crux daran ist, dass selbst ein solcher Job ganz schön Stress machen kann, wenn zu dieser bezahlten Arbeit auch noch unbezahlte dazukommt. Erst recht, wenn diese nicht in Gestalt von geduldiger Schmutzwäsche oder einem stillen staubigen Boden daherkommt, sondern als aufgeweckte Dreijährige. Oder als mit den Aufgaben überfordertes Schulkind. Oder auf möglicherweise leisere, aber nicht weniger dringliche Art als pflegebedürftige Mutter.
Dann kommt das Zauberwort der Vereinbarkeit ins Spiel. Und spätestens dann wird es bisweilen richtig schwierig. Denn Pausen sind bei allen Tätigkeiten unerlässlich. Beziehungen machen aber keine Pause. Trotzdem braucht die Beziehungsarbeit sehr wohl Unterbrechungen. Niemand kann 24 Stunden am Tag liebevoll und fürsorglich sein. Wenn diese 24 Stunden außerdem noch gut gefüllt sind mit Erwerbsarbeit, Wegzeiten, Hausarbeit und Alltagsorganisation kann der Schalter für den Fürsorgemodus auch schon einmal ein wenig klemmen. Vor allem dann, wenn zwischen all diesen Dingen keine Pausen mehr sind, keine Zeit zum Durchschnaufen und auch kein Augenblick, um sich einfach einmal auf sich selbst zu konzentrieren.
Unbezahlte Arbeit und Vereinbarkeitshölle
Laut aktueller Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Marketagent.com ist nur jede oder jeder Siebte der Meinung, dass sich Familie und Beruf (eher) gut miteinander vereinbaren lassen. Andere sehen das noch drastischer. Die beiden Väter und Journalisten Marc Brost und Heinrich Wefing sagen schlicht: “Es ist die Hölle“. Und die Berliner SoziologInnen Hans Bertram und Carolin Deuflhard nennen uns “die überforderte Generation“.
Da ist vielleicht was dran, denn es wird ganz schön viel gearbeitet: Erwerbstätige Frauen bringen es auf insgesamt auf 66 Stunden die Woche, erwerbstätige Männer liegen mit 64 Stunden nur knapp darunter. Wegzeiten nicht eingerechnet. Die Aufteilung zwischen bezahlt und unbezahlt variiert zwischen den beiden Geschlechtern allerdings beträchtlich. Während Frauen vier von zehn Stunden ohne Bezahlung erbringen, sind es bei Männern nur 2,5. Im Freiwilligenbereich läuft unbezahlte Arbeit für andere oft unter dem Titel “Zeitspende”. Frauen sind also großzügige Zeitspenderinnen. Zudem zeigen Studien, dass sich Männer im Konfliktfall für die bezahlte Erwerbsarbeit entscheiden, Frauen für die “Familienarbeit”. Der Spagat zwischen den beiden Arbeitswelten ist also noch immer eine weibliche Domäne.
Frauen bleiben in der radikalen Variante zwei Möglichkeiten: Sich als revolutionäre Hausfrau und Mutter die Zeit für Muße zu verschaffen- allerdings um den Preis, die eigene, oft hervorragende Ausbildung, auf den Müll zu werfen und sich fröhlich in wirtschaftliche Abhängigkeit zum Partner zu begeben. Der sollte dabei auch mitspielen, genug verdienen, nicht länger krank oder arbeitslos werden und sich bitte auch nicht trennen. Sonst wird es ungemütlich. Theoretisch hätten Männer diese Option auch, in der Praxis findet sie aber kaum Anwendung.
Hohe Grundgeschwindigkeit
Die andere Variante ist, auf Kinder zu verzichten und möglichst auch auf pflegebedürftige Verwandte. Wer sich in keinem der beiden Modelle wiederfindet, dem bleibt nur – allen Unkenrufen zum Trotz – es doch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu versuchen. Dabei ist es kaum hilfreich, dass nicht nur die Zeit mit immer mehr mit Aktivitäten gefüllt ist und das Einfach-einmal-Nichtstun zunehmend verschwindet – auch das Tun selbst wird immer schneller. Dabei kann ein einzelner Bereich nicht losgelöst vom Umfeld betrachtet werden. Gesellschaften haben ihre eigene Grundgeschwindigkeit – und die ist in einem modernen, hochtechnologisierten Umfeld viel schneller als in einem landwirtschaftlich geprägten, wie es Österreich vor nicht allzu langer Zeit war.
Vor rund 150 Jahren war Österreich ein Agrarland, in dem 75% der Bevölkerung dem “Bauernstand” angehörten; heute sind es magere drei Prozent. Stattdessen sind zwei Drittel der Männer und vier Fünftel der Frauen im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Als KundInnen wollen wir dort promptes Service, kurze Reaktionszeiten auf unsere Anfragen und möglichst spontan entscheiden, wann wir welches Service in Anspruch nehmen. Für Beschäftigte bringt das – verknüpft mit immer mehr Aufgaben für immer weniger Personal – steigenden Arbeitsdruck. Das betrifft fast alle Bereiche der bezahlten Arbeit. Unter dem Titel Wettbewerbsfähigkeit sind immer stärkere Rationalisierung an der Tagesordnung verbunden mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Für die Beschäftigten erhöht sich damit die Geschwindigkeit, mit der Tätigkeiten erfüllt werden müssen, immer weiter.
Das beschleunigt auch unser Privatleben, weil es fast unmöglich ist, das Arbeitstempo vor der Wohnungstür abzugeben. Nur wenige beherrschen die Kunst, aus der Taktung, in der sie den ganzen Tag verbracht haben, am Abend einfach auszusteigen. Darüber hinaus verändern sich auch die Erwartungen an unbezahlte Arbeit. Die Kriterien der Effizienz, die den Erwerbsalltag beherrschen, sickern so tief ins Bewusstsein, dass sie auch unsere Vorstellungen über unbezahlte Arbeit beeinflussen. Und die Technisierung gießt zusätzlich Öl ins Beschleunigungsfeuer, weil zwingende Wartezeiten wegfallen. Stundenlanges Kochen? Fertigprodukte und Mikrowelle machen das nicht mehr notwendig. Warten bis die Wäsche trocken ist? Der Trockner timed das punktgenau. Dinge, die Entlastung versprochen haben, treiben die Spirale noch ein wenig weiter.
Zumeist wollen wir das auch so. Warten ist eine Zumutung. So empfinden wir es jedenfalls. Dass es eine Pause sein kann, können wir kaum noch wahrnehmen. Aber der Stress versickert nicht auf Kommando, wenn es gerade einmal ein paar Sekunden ruhiger wird. Es braucht insgesamt eine Entschleunigung und echte Pausen, aus denen man Erholung schöpfen kann.
Alt, aber gültig
Was also tun? Es nützt alles nichts: Die alten Forderungen gelten noch immer. Notwendig ist eine Entlastung von unbezahlter Arbeit – und eine fairere Aufteilung zwischen Frauen und Männern. Sprich: Anreize für partnerschaftliche Teilung von Familienarbeit. Und öffentliche Unterstützung dafür. Also wieder: Ausbau von Elementarbildung und Kinderbetreuung, mobiler und stationärer Pflege. Es wird aber auch nicht ohne Entlastung von bezahlter Arbeit gehen, sprich: ohne eine Verkürzung Wochenarbeitszeit.
Selbst können wir inzwischen über Entschleunigung durch unbezahlte Arbeit nachdenken und uns Dinge ins Leben holen, die einfach Zeit brauchen: Pflanzen im Garten wachsen lassen, richtig kochen ohne Mikrowelle und Fertigprodukte, Wäsche in der Sonne trocknen statt in der Metalltrommel. Zum Greißler spazieren statt mit dem Auto zum Hypermarkt zu stauen. Kleine stille Revolutionen im Alltag. Unter dem Motto: Der Stress hat jetzt Pause.
Der Beitrag ist eine geringfügig veränderte Version des Artikels aus der Oktober-Printausgabe von “Arbeit und Wirtschaft”.