Am 13. November 2013 lud die OMV zur alljährlichen Präsentation des World Energy Outlook 2013 in den großen Redoutensaal der Wiener Hofburg. Der Chef-Ökonom der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, berichtete über die neuesten Aussichten und die Politikempfehlungen der IEA und nahm dann an einer kurzen Podiumsdiskussion teil. Hier ein persönlich gefärbter Bericht von einer Veranstaltung, die doch einige Fragen offen ließ und für so manche Verwirrung sorgte.
Die Internationale Energieagentur – Reaktion auf die Ölkrise 1973
Zunächst die simplen Fakten: Die Internationale Energieagentur (IEA) wurde 1974 zum Zweck gegründet, die Energieversorgung der Industriestaaten zu koordinieren, nachdem sich in der Ölkrise 1973 gezeigt hatte, dass nicht wirkungsvoll und gemeinsam auf das Ölembargo der arabischen Staaten reagiert werden konnte. Die praktisch bedeutendste Macht der IEA besteht seither darin, die Vermarktung von Ölreserven zu beschließen, um Knappheiten zu vermeiden. Sie hat das bisher dreimal getan, und zwar während des zweiten Golfkriegs 1991, weiters 2005, nachdem der Hurrican Katrina Produktions- und Verarbeitungskapazitäten in den USA schwer beschädigt hatte, und 2011, nachdem der Bürgerkrieg in Libyen die libyschen Ölexporte zum Erliegen gebracht hatte. In den beiden letzten Fällen wurden jeweils für 30 Tage Reserven im Umfang von zwei Millionen Barrel pro Tag freigegeben, um Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Neben diesem Eingriff in den Markt spielt die IEA eine Rolle bei der Analyse der Energiemärkte und beim Informationsaustausch darüber. Seit 1977 veröffentlicht sie, zunächst im Abstand von fünf Jahren, später jährlich, den World Energy Outlook (kurz WEO, zu deutsch etwa „Weltweite Energieperspektiven“). In diesem Bericht werden die Marktentwicklungen für die verschiedenen Energieträger dargestellt, und es werden energiepolitische Szenarien mit einer Perspektive von 20 bis 25 Jahren entworfen.
Im vergangenen Jahr waren die Hauptbotschaften des WEO 2012 vor allem die steigende Bedeutung der US-amerikanischen Schieferöl und -gasförderung und die tektonische Verschiebungen, die sie auf den Weltenergiemärkten auslösen würden, sowie die Wiederaufnahme der Ölförderung im Irak, die in Zukunft aber vor allem nach Asien orientiert sein würde. In jedem World Energy Outlook steht auch ein ausgewählter Energieträger im Zentrum – 2012 war Energieeffizienz gewählt worden, um deren herausragende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele zu zeigen.
Öl fließt in Zukunft nach Osten
Im Gegensatz zu 2012 enthält dieses Jahr der World Energy Outlook 2013 weniger aufrüttelnde Botschaften. Als Energieträger im Rampenlicht wurde diesmal Erdöl gewählt, gewissermaßen ein Heimspiel für die IEA. Unter anderem geht die IEA davon aus, dass die US-amerikanischen Fördermengen so stark steigen werden, dass die USA bei Öl zum Selbstversorger werden, während das Wirtschaftswachstum in Indien so hoch sein wird, dass Indien ab 2020 China überholen wird, was den Anstieg der Energienachfrage betrifft. Die Energiepreise werden weiterhin wesentlich vom Ölpreis bestimmt, aber dennoch führen regionale Unterschiede bei einzelnen Energieträgern zu Wettbewerbsverzerrungen für die Industrie, so die IEA.
Es versteht sich, dass derartige Projektionen über weite Strecken interessensgeleitet sind, ähnlich wie die Angaben der verschiedenen Staaten zu ihren Rohölreserven, die eher die Qualität einer Ansage beim Tarockieren haben als die tatsächliche, physisch vorhandene Menge wiedergeben. Behält man dies stets im Auge, so lassen die präsentierten Daten durchaus wertvolle Einsichten zu.
Interessant in diesem Zusammenhang war der Hinweis von Fatih Birol, dass die Kosten für den Transport von Erdgas per Tanker in Relation zum Energiegehalt auf Dauer ein Mehrfaches der Kosten für den Transport von Rohöl sein werden und dass daher – im Gegensatz zu Öl – sich kein globaler Markt und kein globaler Pries für Erdgas bilden werde.
Doch nun zur Verwirrung, die diese Veranstaltung bei mir auslöste. Es ist nicht so sehr die Tatsache, dass nach Paris, dem Sitz der IEA, wo am 12. November der druckfrische Bericht erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, Wien der zweite Ort ist, an dem der Bericht präsentiert wird. Am ehesten ließe sich das noch damit erklären, dass die OPEC hier ihren Sitz hat, doch deren Vertreter waren nicht auszumachen. Der Rahmen der Präsentation – prunkvoll, mit einer BBC-Sprecherin als Moderatorin, und mit martialischen Fanfaren, wenn die Redner die Bühne betraten – sorgte eher für Befremden als für Verwirrung. Auch die Tatsache, dass zwar Bundesminister Reinhold Mitterlehner als Redner angekündigt war, aber aus Gründen, die vielleicht mit den Koalitionsverhandlungen zu tun haben, nicht teilnahm, verwunderte nicht.
Klimaskeptiker …
Verwirrend war, dass der Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung (IV), Mag. Georg Kapsch, der für den Wirtschaftsminister einsprang, in seinem Impulsreferat behauptete, dass immer mehr Wissenschaftler zweifeln, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht sei. Damit überrascht die IV mit einer neuen Wendung, da sie bisher in der Öffentlichkeit die Klimaziele grundsätzlich unterstützt hatte und nur die Verringerung der Wettbewerbsnachteile der österreichischen Industrie im Vergleich mit Drittstaaten eingemahnt hatte. Welche Kampagne der IV wird nun mit diesem Signal eingeleitet, das wohl kaum ein „Ausrutscher“ sein kann?
Im Gegensatz zum Präsidenten der Industriellenvereinigung zeigte Fatih Birol kein Anzeichen, dass er oder die IEA sich vom Ziel der Verringerung der Treibhausgase verabschieden wollten. Seine Antwort auf eine Frage aus dem Publikum hinterließ jedoch Verwirrung: Wenn die Industrie mit ihrer Forderung nach geringeren Energiepreisen Erfolg hat, indem ihre Beiträge zu erneuerbaren Energien oder Treibhausgasreduktionen verringert werden, wie können dann CO2-Reduktionen erzielt werden? Anders gefragt: Wie passen niedrige Energiepreise für die Industrie und Klimaschutz zusammen? Fatih Birols Antwort war, dass diese zwei Ziele keinen Gegensatz darstellten und dass ein steigender Preis für CO2-Emissionen hier einen Beitrag leisten könnte.
… und dunkle Orakelsprüche
Verwirrend ist das unter anderem deshalb, weil der Chefökonom der IEA als möglichen Ausweg weder Nuklearenergie noch die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) nannte, die zwei Technologien, die zumeist als Weg in eine CO2-arme, energiereiche Zukunft propagiert werden. In Österreich stellen sie keine Option dar, da sie beide hier verboten sind. Spürbar hohe CO2-Preise können zwar zu einer bevorzugten Nutzung erneuerbarer, CO2-freier Energieträger führen, aber es ist offensichtlich, dass dies die Energiepreise steigen lassen würde. Denn es ist davon auszugehen, dass die Kosten für CO2-Zertifikate in die Preise fossiler Energieträger eingepreist werden. Weiters wird die steigende Nachfrage nach knappen erneuerbaren Energieträgern zu einem Anstieg von deren Preisen führen. Diese Befunde sprechen dafür, dass eine wirksame Verringerung der Emission von Treibhausgasen durch Reduktion der Verwendung fossiler Energieträger zu höheren Energiepreisen führt.
Wenn Fatih Birol also sagt, dass die Verringerung der CO2-Emissionen und niedrige Energiepreise kein Widerspruch seien, dann erinnert die Situation an den berühmten französischen Mathematiker Pierre Fermat: Dieser hatte 1637 in der Randspalte eines Buchs vermerkt, dass er einen Beweis für eine zahlentheoretische Vermutung hätte, dass aber der Platz am Rand des Buches dafür zu knapp sei, ihn dort niederzuschreiben. Sollte Fermat diesen Beweis wirklich gekannt haben, so nahm er ihn mit ins Grab. Erst 1995 konnte die Vermutung bewiesen werden, und der Beweis gehört zu den schwierigsten und kompliziertesten der Mathematik.
Es wäre bedauerlich, wenn Fatih Birol weiß, wie der Widerspruch zwischen niedrigen Energiepreisen und geringen CO2-Emissionen aufgelöst werden kann, ohne dies zu verraten.