Österreicher/in sein ist nicht schwer, Österreicher/in werden hingegen sehr

03. Juni 2013

Taiwo T. hat seit bereits elf Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Wien, wo er neben seiner Teilzeitbeschäftigung als Kellner Politikwissenschaften studiert. Das politische Geschehen in Österreich verfolgt er mit großem Interesse. Bei den Nationalratswahlen im kommenden Herbst wird er seine Stimme allerdings nicht abgeben können. Taiwo T. ist nämlich kein Österreicher, sondern Nigerianer.

 

Als Achtzehnjähriger wanderte er aus existenzieller Not mit seinem Zwillingsbruder Amaru T. nach Europa aus. Taiwo T. verschlug es über Umwege nach Österreich, seinen Bruder Amaru T. nach Belgien.

Amaru T. hat vor sechs Jahren die belgische Staatsbürgerschaft erworben und engagiert sich seitdem sogar in der flämischen Lokalpolitik. Für Taiwo T. hingegen besteht aufgrund des in Österreich geltenden Staatsbürgerschaftsrechts faktisch keine Möglichkeit Österreicher zu werden.

Seitdem die Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005 unter der schwarz-blauen Regierung eingeführt wurde, gilt das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz als eines der restriktivsten in der gesamten EU. Dem internationalen Migrations- und Integrationsindex (http://www.mipex.eu/) zufolge schneiden nur die baltischen Länder noch schlechter ab als Österreich.  Am anderen Ende des Spektrums liegen Staaten wie Belgien, Portugal und Schweden. Ein EU- Ländervergleich zeigt, dass Taiwo T. in fast allen anderen EU- Staaten bereits die jeweilige Staatsbürgerschaft erlangt hätte.

Dieser eklatante Unterschied ergibt sich daraus, dass Staaten mit einer vergleichsweise liberalen Migrationspolitik wie Belgien oder Schweden die Einbürgerung als Voraussetzung und somit als Instrument für eine gelingende Integration betrachten. Diese Länder verstehen unter Integration auch politische Partizipation, die eine juristische Zugehörigkeit zum Staatsverband voraussetzt. Dem österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz liegt hingegen der Grundsatz zugrunde,  dass die Einbürgerung das Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses bildet. Für einbürgerungswillige Personen bedeutet das: ÖsterreicherIn wird man über Leistung.

Dieses Leistungsprinzip spiegelt sich im geltenden Staatsbürgerschaftsgesetz am deutlichsten im Erfordernis der Selbsterhaltungsfähigkeit wieder. Demnach müssen AnwärterInnen auf eine Staatsbürgerschaft für die  letzten drei Jahre ein monatliches Einkommen von mindestens € 1.000,00 netto nachweisen. Zudem dürfen sie in den letzten drei Jahren keine Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften bezogen haben. AntragstellerInnen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen können, bleibt der Weg zur österreichischen Staatsbürgerschaft verwehrt.

Ein Blick auf die Einkommensdaten der Statistik Austria zeigt jedoch, dass selbst 30-40 % der österreichischen Arbeiter und 60-70 % der österreichischen Arbeiterinnen diese Anforderung nicht erreichen würden.

Die Studie „Beschäftigungssituation von Personen mit Migrationshintergrund“ (L&R Sozialforschung, 07/2011) bestätigt, dass der gesetzlich geforderte Einkommensnachweis für weite Teile der Bevölkerung mit Migrationshintergrund eine unüberwindbare Hürde darstellt. MigrantInnen sind in Österreich 3,5 Mal so oft von Arbeitslosigkeit betroffen als ÖsterreicherInnen und finden sich überdurchschnittlich oft in Niedriglohnberufen wieder. Zudem sind Personen aus bestimmten Ländern mit sichtbaren Merkmalen, wie zum Beispiel dunkler Hautfarbe, auf dem heimischen Arbeitsmarkt wesentlich schlechter gestellt als Personen ohne solche Merkmale.

Der Nigerianer Taiwo T. war seit seiner Ankunft in Österreich überwiegend in prekären Hilfstätigkeiten beschäftigt. In den letzten Jahren war er zudem mehrmals von Arbeitslosigkeit betroffen. Taiwo T. kann daher den geforderten Nachweis der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht erbringen und hat folglich keine Möglichkeit Österreicher zu werden. Dies, obwohl er sich finanziell selbst erhält und ansonsten alle weiteren Voraussetzungen einer gelungenen Integration erfüllt.

Die Regierungsvorlage zum Staatsbürgerschaftsgesetz (http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I/I_02303/index.shtml) sieht vor, dass zukünftig StaatsbürgerschaftswerberInnen das geforderte Einkommen im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren vor dem Antrag nachweisen müssen. Für Taiwo T., der auch in den letzten sechs Jahren regelmäßig weniger als € 1.000,00 verdient hat, wird die Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes keine Vorteile bringen. Er bleibt auch weiterhin von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen.

In keinem der alten EU-15 Staaten ist die Hürde der Selbsterhaltungsfähigkeit so hoch wie in Österreich. Deutschland fordert zwar ebenfalls eine stabile Einkommenssituation, hat aber im Gegensatz zu Österreich keine gesetzlichen Mindesteinkommenshöhen definiert. Zudem nimmt Deutschland auf unverschuldete Notlagen Rücksicht und sieht eine gänzliche Befreiung für Personen unter 23 Jahren vor. In Spanien und im Vereinigten Königreich kann die Selbsterhaltungsfähigkeit lediglich anhand einer Steuererklärung nachgewiesen werden. In vielen europäischen Zielländern von grenzüberschreitender Migration wie z.B den Niederlanden, Schweden und Belgien ist die Selbsterhaltungsfähigkeit gar keine Voraussetzung für die Einbürgerung.

Da die Höhe des Einkommens kein geeignetes Kriterium darstellt, anhand dessen die Integration bewertet werden kann, stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Zweck dieser speziell  österreichischen Hürde. Anders formuliert: Könnte die Einbürgerung von Taiwo T. unter Umständen den österreichischen Staat finanziell belasten?

Taiwo T. ist zum dauerhaften Aufenthalt in Österreich berechtigt. Aufgrund dieses Rechtsstatus könnte ihm auch ohne österreichische Staatsbürgerschaft die Bedarfsorientierte Mindestsicherung gewährt werden. Dieser Rechtsanspruch ist aus der EU- Richtlinie 2003/109 abzuleiten, der zu Folge auch ausländische Staatsangehörige, die zum langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind, Kernleistungen der Sozialhilfe beziehen können. Eine Einbürgerung von Taiwo T. würde daher nicht zu einer zusätzlichen Belastung der Gebietskörperschaften führen.

Folglich drängt sich die Vermutung auf, das Erfordernis der Selbsterhaltungsfähigkeit diene primär dazu, sozial benachteiligte Gruppen vom österreichischen Staatsverband und somit vom Wahlrecht systematisch auszuschließen. Augenscheinlich ist, welchen politischen Gruppierungen dieses demokratiepolitische Defizit hierzulande zum Vorteil gereicht.