„Finance Watch“ hat anlässlich des fünfjährigen „Jubiläums“ der Lehman-Brothers Insolvenz eine Kampagne zur Regulierung der Finanzmärkte gestartet. Damit wagt sich das NGO-Netzwerk erstmals auf neues Terrain und kombiniert seine bisherige Krisenanalyse mit einer breiteren politischen Initiative. „Change Finance!“ ist auch die erste europaweite Kampagne, welche die Krisenursachen benennt, ein Fazit über bisherige Regulierungsmaßnahmen zieht und auf die Gefahren einer zukünftigen Krise hinweist.
Eine neue europaweite Kampagne
Als die Immobilienblase im US-amerikanischen Subprime-Markt 2007 platzte, wurden mögliche globale Auswirkungen vonseiten der Politik jenseits und diesseits des Atlantiks noch weitgehend verschwiegen oder verharmlost. Es handle sich lediglich um eine Krise am amerikanischen Immobilienmarkt. Spätestens mit der Insolvenz der Lehman-Brothers konnte diese Realitätsverweigerung öffentlich nicht mehr glaubwürdig vertreten werden. Aus der Immobilien- wurde eine globale Wirtschafts- und Finanzkrise, welche uns bis heute beschäftigt. Die Krise in Europa wiederum ist nicht als direkter Auswuchs der amerikanischen Immobilienblase zu verstehen, sondern geht wesentlich auf die systematische Deregulierung der Finanzmärkte zurück.
Auf Basis einer Initiative zahlreicher Abgeordneter zum Europäischen Parlament aus dem Jahr 2010 wurde im Folgejahr die Nichtregierungsorganisation (NGO) „Finance Watch“ ins Leben gerufen. Aus Österreich sind die Bundesarbeitskammer und das Ökosoziale Forum Mitgliedsorganisationen. Kernziel diese Initiative ist der Kampf für eine Regulierung der Finanzwirtschaft, deren hauptsächlicher Aufgabenbereich nicht die ständige Schaffung neuer fiktiver Werte, sondern die Bereitstellung von Liquidität für die Realwirtschafts ein soll.
Vor kurzem wurde der fünfte Jahrestag der Insolvenz von Lehman-Brothers „gefeiert“. Finance Watch hat dies zum Anlass genommen, die Ursachen und Folgen der Krise erneut verstärkt unter die Lupe zu nehmen. Entgegen des vorherigen Ansatzes der Erstellung wissenschaftlicher Analysen veränderte das Netzwerk nun seine Herangehensweise. So wurde zum ersten Mal eine eigene Kampagne mit dem Namen „Change Finance!“ gestartet, um die Auswirkungen der aktuellen Krise zu thematisieren sowie adäquaten Lösungsvorschlägen Gehör zu verschaffen.
Die Kernbotschaft von Finance Watch ist simpel und alarmierend zugleich: Die Wirtschaftskrise ist weder vorüber, noch bannen bisherige Regulierungsversuche die Gefahr einer erneuten Blasenbildung am Finanzmarkt. Mehr noch, Finance Watch prangert mit „Change Finance!“ an, dass die maßgeblichen Ursaschen für die dramatischen Entwicklungen seit 2007 weitgehend ignoriert werden. Beispielsweise hat es auf globaler Ebene im Rahmen der G20 einige großspurige Versprechen zu Regulierung des Finanzsektors gegeben, jedoch ist weder dort, noch auf der europäischen Ebene Substantielles geschehen. „Change Finance!“ spricht demgegenüber vier große Bereiche von zu lösenden Problemen an.
„Put society into the driving seat!“
Erstens muss der Einfluss der Finanzindustrie auf politische EntscheidungsträgerInnen radikal eingedämmt werden. Wie stark beispielsweise die Lobbying-Maschinerie der großen Finanzinstitute tatsächlich ist, kann im Zuge der Diskussionen rund um eine Finanztransaktionssteuer in der EU gut beobachtet werden. Anstatt ausreichende Ressourcen zur Entwicklung von Regulierungen zur Verfügung zu stellen, wird jede angedachte Reform konsequent torpediert und in der Öffentlichkeit als standortfeindlich oder bisweilen illegal diskreditiert. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das jüngste Gutachten des Juristischen Diensts des Rats zur Finanztransaktionssteuer.
Im Zuge von Reformansätzen zur Regulierung des Bankensektors (z.B. die Europäische Bankenaufsicht) bekommen Finanzinstitutionen wie die Europäische Zentralbank (EZB) oder die Europäische Finanzaufsichtssystem bedeutend mehr Macht. Finance Watch plädiert für eine verstärkte demokratische Verantwortlichkeit dieser Institutionen. Außerdem müssen zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und KonsumentInnenvertretungen auch durchgehend in jene Entscheidungsfindungsprozesse miteingebunden werden, in denen etwaige Reformen des Finanzsektors diskutiert werden.
“Slim down mega-banks!”
Zweitens kritisiert Finance Watch die systematische Vergesellschaftung der Verluste im Bankensektor, während in den Jahren vor der Krise die eingefahrenen Gewinne in der Regel gering versteuert direkt in Privatvermögen übergegangen sind. Immer wenn es aber zu Insolvenzen im Finanzbereich kommt, werden die betroffenen Institute mit öffentlichen Geldern gerettet. Die Mittel, die zur Rettung der Banken aufgewendet wurden, sind auch eine der Hauptursache für die hohen Staatsschulden. Deren Ansteigen ab 2007 wurde im öffentlichen Diskurs gekonnt durch die neoliberale Brille verkehrt betrachtet und zur eigentlichen Krisenursache umgedeutet. So wurde aus der Finanz- scheinbar eine Staatsschuldenkrise. Finance Watch will mit „Change Finance!“ einen Gegendiskurs starten und fordert eine radikale Trendumkehr. Private Gläubiger sollen für die Bankenrettung in Zukunft aufkommen, das Verschuldungsverhältnis (= leverage ratio) von Banken muss nach unten korrigiert und Investmentgeschäfte im Bankwesen strikt von Einlagengeschäften getrennt werden.
“Stop subsidizing speculation!”
Die dritte Problemstelle sieht Finance Watch im systematischen Spekulieren mit Derivaten und anderen Anlageprodukten. Zentraler Kritikpunkt ist dabei die Verbriefung von Wertpapieren, welche unter anderem zum Ausbruch der Krise 2007 im US-amerikanischen Subprime-Markt geführt hat. Die Regulierung dieser modernen Version des „Hütchen-Spiels“ müsse aktiver in Angriff genommen werden. Außerdem bedarf es einer Verhinderung der Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln bzw. die Limitierung spekulativer Aktivitäten mit Rohstoffen. Darüber hinaus tritt Finance Watch mit der Kampagne „Change Finance!“ für ein Ende der öffentlichen Unterstützungen von so genannten „Too-big-too-fail“ Banken ein. Öffentliche Gelder werden von derartigen Instituten in der Regel zum spekulativen Handel mit Derivaten genützt, was gewissermaßen einer staatlichen Förderung von Spekulationsgeschäften gleich kommt.
„Incentivize sustainable investing!“
Die vierte Dimension von „Change Finance!“ thematisiert die Frage der Qualität von Investitionen. Ziel soll laut Finance Watch das Setzen von Anreizen für nachhaltiges Wachstum sein. Kapitalmärkte dürfen einzig allein den Zweck haben, Liquidität für realwirtschaftliche Investitionen bereitzustellen. Dementsprechend befürwortet Finance Watch beispielsweise die Schaffung von allgemein gültigen Kriterien zur Beurteilung von Finanzprodukten anhand ihres gesellschaftlichen Nutzens und nicht aufgrund kurzfristiger Profitraten. Zusätzlich soll der Hochfrequenzhandel stärker reguliert werden.
Reform des Finanzsektors auf europäischer Ebene
Zusammengefasst basiert die Kampagne „Change Finance!“ also auf vier prinzipiellen Säulen: Demokratische Kontrolle, Redimensionierung des Finanzsektors, Eindämmung von Spekulationsgeschäften sowie Schaffung von Anreizen für nachhaltige Investitionen.
Finance Watch will so mit der Synthese aus Krisenanalyse und Bewusstseinsbildung einen Gegendiskurs zum bisherigen Umgang mit der Wirtschaftskrise etablieren.
Dieser Ansatz setzt sich gegen Renationalisierungstendenzen in Krisenzeiten zur Wehr und fordert dezidiert mehr Kooperation und Solidarität auf Europäischer Ebene. Denn eine adäquate Lösung der Krise und Vermeidung zukünftiger Rezessionen kann, so die Einschätzung der InitiatorInnen der Kampagne, weder im nationalen Rahmen noch durch rigide Austeritätspolitik auf Europäischer Ebene erreicht werden.
Die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2014 bzw. die darauffolgende Bestellung einer neuen Kommission bieten den idealen Rahmen für eine derartige Kampagne. Schließlich wird sich gerade in den kommenden Wochen und Monaten zeigen, welche politischen Kräfte tatsächlich für eine Regulierung der Finanzwirtschaft zum Zwecke einer nachhaltigen und gerechten Entwicklung Europas eintreten.
„Finance makes the rules – Change Finance! Put Society back in the driving seat!”