In der Diskussion über ein „Plastiksackerl-Verbot“ und die kurze Lebensdauer von Produkten ist der Begriff „Wegwerfgesellschaft“ in aller Munde. Der Materialkonsum hat in Österreich ein historisch hohes Maß erreicht, das mit einer ökologisch und sozial nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar ist. Die Verantwortung dafür wird meist den KonsumentInnen zugeschoben: Ihnen wird eine „Wegwerfmentalität“ unterstellt. Der Beitrag widerspricht dieser Ansicht. Denn marktbezogene und sozial-kulturelle Faktoren werden dabei übersehen. Eine vor kurzem initiierte Studie der AK und Alpen-Adria Universität Klagenfurt untersucht welche Faktoren das Wegwerfverhalten beeinflussen.
Das entscheidende Merkmal der gegenwärtigen Gesellschaft wird, wie Martina Heßler ausführt, in der „Gleichzeitigkeit des Besitzes einer Fülle von Dingen, einer Wegwerfmentalität und des Hervorhebens einzelner, individueller, mit Bedeutung aufgeladener Objekte“ gesehen. Tatsächlich scheint eine Reihe von Beobachtungen für eine solche Wegwerfmentalität zu sprechen:
- Die/Der durchschnittliche ÖsterreicherIn produziert mehr als eine halbe Tonne Müll pro Jahr
- Die/Der ÖsterreicherIn besitzt durchschnittlich 10.000 Dinge
- Rund 350 Millionen „Plastiksackerln“ werden in Österreich pro Jahr verbraucht.
- Die Lebensdauer von Produkten scheint von Jahr zu Jahr abzunehmen
Das ungute Gefühl beim Wegwerfen
Mit der Interpretation dieser Fakten als Indizien für eine Wegwerfmentalität werden aber Ursache und Wirkung verwechselt. Damit wird den KonsumentInnen vorgeworfen vermehrt nur zu kaufen, um wegzuwerfen. Das klingt beinahe so, als würde das Wegwerfen den Menschen Spaß machen oder als würden sie daraus zumindest einen Nutzen ziehen. Tatsächlich ist das genaue Gegenteil der Fall: Das Wegwerfen ist immer mit einem unguten Gefühl verbunden, es wirkt intuitiv falsch. Zum einen fällt es oft schwer sich von Dingen zu trennen, zum anderen fühlen sich viele Menschen für die ökologischen Folgen der Entsorgung schuldig. Besonders bei Dingen, die noch einwandfrei funktionieren oder gut aussehen, ist dieses Gefühl besonders stark. Die verschiedensten Strategien werden dabei angewandt um diesem schlechten Gewissen zu entgehen: Dinge werden an FreundInnen oder Familienmitglieder weitergegeben, gespendet oder verkauft. Der englischen Studie „Identity, mobility, and the throwaway society“ zufolge werden 60% aller Dinge über diese Kanäle entsorgt. Eine andere, oft gewählte Strategie ist es, die Dinge einfach zu behalten, auch wenn sie nicht mehr genutzt werden. Diese Hortung ist zu einem ernsthaften psychologischen Problem geworden und hat zu einer Zunahme von sogenannten „Müllwohnungen“ geführt (es sind auch Fälle bekannt wo Menschen unter ihrem Müll erstickt sind). Letztlich werden laut der zuvor zitierten Studie nur 29% der Dinge als Müll entsorgt, womit allein dadurch der Begriff „Wegwerfgesellschaft“ nicht den Geist der Zeit erfassen kann.
Es ist aber nicht nur das unwohle Gefühl, das uns dazu bringt unsere Sachen weiterzugeben anstatt wegzuwerfen. Das Weiterreichen von Dingen ist eine essentielle Form der Pflege von sozialen Beziehungen. Eltern geben Kindern ihre Möbelstücke weiter, um diese finanziell zu entlasten, auch wenn sie dadurch für sich selbst neue kaufen müssen. Geschenke werden grundsätzlich als Neuware gekauft, da jeder das Beste für seine FreundInnen oder Familienmitglieder will. Aus Liebe zu den Kindern werden neue Fernsehgeräte oder Computer gekauft. Durch Praktiken wie diese entsteht eine Unmenge an Müll, doch bei allen stehen soziale Beziehungen und nicht das Wegwerfen im Vordergrund. Wer hierin eine Wegwerfmentalität erkennt, hat die Praktiken des Schenkens und Weiterreichens nicht verstanden.
Geteilte Verantwortung statt verkürzte Konsumentenverantwortung
Mit dem Vorwurf einer Wegwerfmentalität werden die Konsequenzen, die aus der historisch hohen Produktion von Müll resultieren, einmal mehr den KonsumentInnen angelastet. Die KonsumentInnen sollen ihre Mentalität ändern und einen neuen, nachhaltigeren Lebensstil anstreben. Dieses Argument spiegelt eine reduzierte Sichtweise auf die verschiedenen Beweggründe für das Wegwerfen von Dingen wieder. Im wissenschaftlichen Diskurs werden die Ursachen für das Wegwerfen fast ausschließlich bei den individuellen Präferenzen und bei den Produkteigenschaften gesucht. Demnach werden Dinge vor allem entsorgt, weil sie entweder nicht mehr funktionieren oder weil sich die Präferenzen der KonsumentInnen verändert haben. Marktbezogene und sozial-kulturelle Faktoren hingegen werden meist ausgeklammert. Darunter fällt auf der einen Seite zum Beispiel das Verkaufen von Handys mit einer bestimmten Mindestvertragslaufzeit. Wie unverblümt hier Anreize zu Neukäufen gegeben werden, zeigt eine aktuelle Kampagne von T-mobile. Darin wird ein neues Tarifsystem beworben, unter dem Motto: „Unkompliziert ein neues Handy upgraden. Schon nach 12 Monaten und nicht erst nach zwei Jahren.“ Die Reaktion auf ein kaputtes Handy lautet dementsprechend: „Juhu!“ Auf der anderen Seite ist es unter anderem der soziale Druck ständig auf den neuesten Stand zu sein oder Markenprodukte zu kaufen, der das Wegwerfverhalten beeinflusst. Bezieht man diese und weitere Faktoren in die Forschung über die Beweggründe für das Wegwerfen mit ein, ergibt sich ein deutlich komplexeres und vor allem weniger individualistisches Bild. Aus der einseitigen Verantwortung der KonsumentInnen wird eine Teilung der Verantwortung unter den verschiedenen gesellschaftlichen AkteurInnen.
Produktbezogene, marktbezogene und sozial-kulturelle Faktoren
Um also zu erfahren warum so viel weggeworfen wird und wie die Müllmenge reduziert werden kann, ist es notwendig, alle Faktoren zu berücksichtigen – individuelle, produktbezogene, marktbezogene und sozial-kulturelle. Dazu gilt es das Bild einer Wegwerfgesellschaft abzulegen und herauszufinden, welche Rolle das Wegwerfen für das soziale Zusammenleben spielt. Insbesondere bedeutet das neben dem Kauf auch die anderen zwei Phasen des Konsums – die Nutzung und das Loswerden oder Entsorgen – miteinzubeziehen. In einer vor kurzem initiierten Studie der AK (Abteilung KonsumentInnenpolitik) und der Alpen-Adria Universität Klagenfurt sollen diese Faktoren berücksichtigt werden. Ziel der Studie ist es, ein tiefgreifenderes Verständnis über den alltäglichen Umgang mit Dingen und die Nutzungsdauer von Dingen zu schaffen und damit dem fehlgeleiteten Diskurs einer Wegwerfgesellschaft entgegen zu wirken.