Die Soziologin Kerstin Jürgens spricht im Interview über die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Arbeit. Sie zeigt, wie wir Arbeit auch in Zukunft so regeln können, dass Menschen ihr Leben absichern können und warum der Mensch aufpassen muss, dass er zwischen selbstlernenden Systemen nicht auf der Strecke bleibt.
Sie sagen, die Zukunft der Arbeit ist ungewiss, weil wir die genauen Effekte des digitalen Wandels nicht exakt abschätzen können. Welche Effekte können das möglicherweise sein?
Der technologische Fortschritt bringt uns in rasantem Tempo immer neue Innovationen ins Haus. Unsere digitalen Endgeräte werden immer leistungsstärker und „schlauer“. Es werden Systeme entwickelt, die nicht mehr von uns genährt werden müssen, sondern selbstständig lernen. Maschinen kommunizieren untereinander. Dies alles führt dazu, dass bisherige Arbeitsabläufe neu strukturiert werden können – und dass sich die Frage stellt, welche Aufgabe noch für den Menschen übrigbleibt.
Was heißt das für unsere Arbeitsplätze?
Sicher bleiben viele Berufe erhalten, aber in manchen Bereichen kann es zu einer deutlichen Rationalisierung kommen, durch die viele ihren Arbeitsplatz verlieren können. Aber gerade weil die technologischen Innovationen noch gar nicht alle umfassend eingesetzt werden, lassen sich auch die Effekte auf den Arbeitsmarkt schlecht ermessen. Bislang schaut man sich an, zu welchem Anteil jemand computerbasiert arbeitet. Damit aber ist nur ein Teil des Wandels in den Blick genommen.
Selbst wenn diese Effekte auf die Zukunft der Arbeit nicht abschätzbar sind – sie sagen, dass sich die zukünftige Arbeitswelt trotzdem gestalten lässt. Wie zum Beispiel?
Grundsätzlich fängt das bei der Frage an, welche Tätigkeiten überhaupt maschinell ersetzt werden sollen. Es ist ja eine innovative Idee, in den ohnehin personell unterbesetzten Stationen in Krankenhäuser oder Pflegeheimen Roboter das Essen ausfahren zu lassen oder Gymnastikkurse anzuleiten. Aber wenn dann der Zeitgewinn nicht dazu führt, dass eine Pflegekraft mehr Zeit für Zuwendung für die Patientin hat, dann bleibt das eine rein ökonomische und technische Innovation, aber eben keine soziale. Nötig wäre also erstmal ein Verständigungsprozess darüber, wie man Arbeitsprozesse gestalten will – und hierfür sind die arbeitspolitischen Akteure, insbesondere Arbeitgeber und Gewerkschaften zuständig, aber ebenso auch der Staat.
Veränderungen in der Arbeitswelt erlebte auch schon die Generation vor uns. Was ist beim nun erlebten Wandel anders?
Die entscheidende Veränderung ist, dass sich Maschinen vernetzen und Systeme selbst lernen. Der Mensch muss insofern aufpassen, da nicht außen vor zu bleiben.
Wie hat sich das Bild der Beschäftigten verändert?
Mit mobilen Endgeräten, digitalen Plattformen und cloud computing können wir von überall aus arbeiten. Es bedeutet aber auch, dass Übersetzer und Softwareentwickler vom anderen Ende der Welt hier in Echtzeit mit Auftraggebern kooperieren können. Dadurch entstehen also neue Chancen, aber auch Konkurrenzen. Diese Crowdworker sind dann aber eben keine Beschäftigten mehr bei einem Unternehmen, sondern als „Freie“ tätig, die sich allein absichern müssen. Wenn sie das aber nicht tun, dann hat möglicherweise die Gesellschaft den Preis für diese neuen Erwerbsmodelle zu zahlen. Achtet jemand nicht auf seine Gesundheit oder zahlt nicht in eine private Vorsorge ein, dann muss die Gesellschaft im Notfall helfen.
Gern erzählen uns PolitikerInnen, wir müssten „fit für die Digitalisierung“ werden: bessere Ausbildungen, neue Fortbildungen, Umschulungen – und immer motiviert bleiben. Welche Rahmenbedingungen brauchen ArbeitnehmerInnen, um das zu bewältigen?
Bildungspolitik hat insofern eine Schlüsselrolle, als mit dem digitalen Wandel tatsächlich vieles gelernt werden muss. Leider wird das meist verkürzt auf Informatik und Umgang mit persönlichen Daten. Nicht minder bedeutsam wird aber sein, dass durch neue Technologien andere Formen der Kooperation entstehen, Informationen anders verbreitet und ausgewertet werden, Vernetzung zu neuen Dynamiken in Abläufen führt. Hier sind Schulen gefordert, die vom Staat entsprechend sehr gut auszustatten sind. Zugleich aber werden auch Berufstätige Weiterbildung benötigen. Hierfür muss Zeit zur Verfügung gestellt werden, sei es bezahlte Arbeitszeit, was vor allem bei Fortbildungen einleuchtet, die im Unternehmensinteresse sind. Oder eben als staatlich geförderte Weiterbildung, wenn die eigene Einkommenssituation hierfür nicht ausreicht.
Manche ArbeitnehmerInnen sehen ihre Jobs bei Unternehmen wie Uber, Foodora & Co nicht als negativ, weil sie sich in einer Lebensphase befinden, die mit dieser Arbeitsform kompatibel ist. Was können Gewerkschaften und Arbeiterkammern hier beitragen?
Erwerbsarbeit muss so organisiert und reguliert werden, dass Menschen hierüber ihre Existenz bestreiten können. Das ist eigentlich weniger eine politische Forderung als eine Lehre aus der Geschichte. Denn wie sollen die Menschen sonst ihr Leben absichern? Ob neue oder alte Erwerbsform ist da erstmal egal.
Das Interview führte Cornelia Breuß. Sie ist Journalistin und arbeitet im Presseclub Concordia.