Der in Wirtschaftskreisen vorherrschende isolierte Blick auf die Höhe der Arbeitskosten führt zu kurzsichtigen Lohnsenkungsfantasien. Nicht die Höhe der Löhne sondern das Ausmaß der Löhne an der geschaffenen realen Wertschöpfung ist für internationale Vergleiche relevant (= Lohnstückosten). Und nicht die gesamte Wirtschaft mit jeder einzelnen Pore muss sich international messen, sondern insbesondere die Produktion. Aktuelle internationale Werte zur “preislichen” Wettbewerbsfähigkeit können da Klarheit bieten.
Krokodilstränen der Wirtschaft
Von Wirtschaftsseite werden gern die Höhe und der Anstieg der Löhne und Gehälter als Indiz für schwindende Wettbewerbsfähigkeit beklagt. Dabei fällt der Blick isoliert auf die Arbeitskosten (Löhne und Gehälter inklusive Sozialabgaben). Ausgeblendet bleibt stets, dass die lohnabhängig Beschäftigten für den erhaltenen Lohn ja auch – darüberhinausgehende – Werte schaffen (siehe Mythos Wettbewerbsfähigkeit).
Zur Untermauerung einer einseitigen Argumentation kommt die aktuell veröffentlichte EU-Arbeitskostenstatistik manchen gerade recht. Dabei wird sogar versucht, den Beschäftigten einzureden, sie wären die Leidtragenden: „Vor allem durch die hohen Lohnnebenkosten bleibt den Mitarbeitern netto immer weniger im Geldbörsel“ und „trotz beachtlicher Lohnerhöhungen durch KVs bzw. Betriebe fressen Inflation, Steuern und die kalte Progression fast alles weg“, vergießt die Wirtschaftskammer als Interessenvertreterin der österreichischen Betriebe Krokodilstränen.
Arbeitskosten – welche und in welcher Währung?
Die Ergebnisse der alle vier Jahre erneuerten Eurostat-Arbeitskostenstatistik sind nicht unbedingt für bare Münze zu nehmen, denn sie beruhen auf der Basiserhebung des Jahres 2008 und werden mit vierteljährlich verfügbaren Daten fortgeschrieben. Mit der nächsten grundlegenden Erhebung für das Jahr 2012 (Veröffentlichung Herbst 2014) sind daher rückwirkende Datenkorrekturen zu erwarten. Im Vergleich der letzten beiden Erhebungen 2004 und 2008 mussten etwa für Deutschland die gewerblichen Arbeitskosten jährlich durchschnittlich um 0,8% revidiert werden.
Was sind nun die aktuellen Ergebnisse: Österreich liegt nach Bulgarien und Schweden bei der Höhe des prozentuellen Arbeitskostenzuwachses (2008 bis 2013) an EU-weit dritter Stelle – in Euro gerechnet. Auf Nationalwährungsbasis gerechnet wird Österreich neben Bulgarien noch von Rumänien und Polen überholt, Schweden weist einen geringeren Anstieg aus. Das bedeutet also, dass Wechselkursänderungen eine Rolle spielen. Andere Statistiken analysieren die Entwicklungen nicht für die gesamte Wirtschaft, sondern für den – für internationale Vergleichszwecke relevanteren – Produktionsbereich: demnach weisen laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW-Trends 4/2013) für den 5-Jahres-Zeitraum 2007 bis 2012 sechs Länder höhere Zuwächse als Österreich auf: Lettland, Polen, Slowenien, Litauen, Slowakei und die UK. Das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO wiederum zählt für den gleichen Zeitraum neun EU-Länder, die gleich hohe (drei Länder) oder höhere (sechs) Zuwächse als Österreich hatten.
Nur eine Seite der Medaille
Dass der Blick auf die Arbeitskosten alleine gar nichts über die preisliche, lohnbezogene Wettbewerbsfähigkeit aussagt, ist allgemein bekannt. Denn, je nachdem, ob sich die Produktivität gleich stark, höher oder geringer entwickelt, bleibt eine Produktions- bzw. Wertschöpfungseinheit im internationalen Vergleich „preislich“ gleich bzw. wird sie günstiger oder teurer. Messen lässt sich dies mit den Lohn-Stückkosten. Das sind die pro Kopf (oder Stunde) bezahlten Löhne im Verhältnis zu den pro Kopf (oder Stunde) neu geschaffenen Werten – vereinfacht gesagt ist das der Lohnanteil je Wertschöpfungseinheit.
Bei den Lohn-Stückkosten im Produktionsbereich auf Basis eines gemeinsamen Wechselkurses – dem eigentlichen Maß der preislichen, „lohnbezogenen“ Wettbewerbsfähigkeit – rangiert Deutschland an 9. Stelle im internationalen Vergleich und überschreitet das Lohn-Stückkosten-Niveau Österreichs (Platz 11) sogar um neun Prozent. Hintergrund dafür ist, dass Deutschlands industrielles Produktivitätsniveau nur wenig höher als das österreichische ist (nämlich um rund 5 Prozent), hingegen die Arbeitskosten in der deutschen Produktion jene Österreichs um 15 Prozent überschreiten.