Mitte Jänner geht ein Raunen durch die soziale Szene in Österreich – ein börsennotiertes, französisches Unternehmen namens ORPEA hat den österreichischen Altenheimbetreiber Senecura geschluckt. Damit gehen die etwa 4.000 Betten, das sind 5 % aller Plätze in Österreich, auf das Konto des Konzerns, der knapp 56.000 Betten in ganz Westeuropa betreibt.
Schon länger, aber spätestens seit Übernahme der schweizerischen Senevita und der deutschen Silver Care im Vorjahr, hat man mit einem Einstieg eines großen Pflegeanbieters in Österreich spekuliert. Dass dieser nun mit Anfang April auf den Plan tritt, befeuert die Diskussionen um eine gute Versorgung von Menschen im Alter sowie um die Wahl des richtigen Betreibers – sollen ausschließlich Non-Profit Organisationen zum Zug kommen?
Ein bisschen kitzeln
Immer wieder kommt dabei das Argument, ein bisschen müsse man die alt-eingesessenen Anbieter schon kitzeln, so dass Effizienzpotentiale gehoben werden können. Ein forcierter Wettbewerb bringe da mehr, als er den Menschen schade. Außerdem kann mit einer Vergabe an nicht rein-gemeinnützige Betreiber, so wird gemunkelt, den aufmüpfigen NGOs ohne großes Aufsehen die Rute ins Fenster gestellt werden.
Dass Wettbewerb stimulierend wirken kann, mag für Bereiche der Produktion oder Industrie gelten. Die Erbringung von soziale Dienstleistungen hingegen unterliegt anderen Funktionsmechanismen. Bei solchen so genannten Vertrauensgüter, deren Qualität nur schwer messbar ist, können unter marktwirtschaftlichen Bedingungen Anreize für den Betreiber entstehen, die Qualität zu senken und daraus Gewinn zu erwirtschaften. Dass die KlientInnen die Qualität der Leistung nicht beurteilen können, trägt dazu bei, dass Non-Profit Organisationen überhaupt entstanden sind. Denn hier liegt das Vertrauen in die Leistung höher, weil Gewinne nicht ausgeschüttet sondern re-investiert werden. Und die Empirie bestätigt, dass die Qualität bei NPOs höher liegt als bei For-Profit Anbietern.
Doch hat die Sichtweise, dass aufgrund der demographischen Entwicklung ein voluminöser „Markt“ entsteht, bei dem Gewinne massiv abgeschöpft werden können, nichts an ihrer scheinbaren Faszination verloren. Obwohl eigentlich die anhaltende Sparkur, die öffentlichen Haushalten seit den 1990er Jahren auferlegt wurde, thematisiert werden müsste. Denn die Auswirkung auf soziale Dienstleistungen geht schleichend vor sich, meist in Form von nicht valorisierten Kostenbeiträgen oder ungedeckten Lohnabgeltungen, und birgt so manch Verschlechterung in der Versorgung.
Vorboten…?
Offen bleibt mit dieser Übernahme die Frage, wie die einzelnen Gemeinden, wo die Altenheime stehen, reagieren werden. Auch die Senecura hat, wie gemeinnützige Organisationen, Versorgungsaufträge mit den Bundesländern und Gemeinden für ihre Heime abgeschlossen. Diese garantieren die Kostenübernahme für den Betrieb des Alten– oder Pflegeheimes. Dass nun öffentliche Gelder in ein börsennotiertes Unternehmen gepumpt werden, das wiederum mit seiner schlagartig erreichten Marktgröße Spielregeln zu beeinflussen versuchen wird, wird manchem Bürgermeister Sorgen bereiten.
Und nicht zuletzt ist fraglich, welche Änderungen der Arbeitsbedingungen die hunderten MitarbeiterInnen zu erwarten haben, wenn die Interessen der shareholder stärker berücksichtigt werden als jene der KlientInnen oder öffentlicher Verwaltungen.
Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass diese Übernahme kein Einzelfall bleiben könnte. Mit TiSA, der zur Zeit noch wenig beachteten „Schwester“ von TTIP, wird zur Zeit an einem Regelwerk gebastelt, das genau dies ermöglichen soll: den Markteintritt von großen Konzernen in Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge. Zudem hat die Europäische Union in ihrer neuen Vergaberichtlinie, die in Österreich demnächst umgesetzt werden muss, bereits eine ausschließliche Vergabe von sozialen Dienstleistungen an gemeinnützige Organisationen fast unmöglich gemacht. Hier haben sich BefürworterInnen der Marktorientierung durchgesetzt.
Stärkung der Gemeinnützigkeit
Was dagegen tun? Eine Stärkung der Gemeinnützigkeit. Und hier ist nicht nur die Forcierung neuer Schlagworte und Modelle, wie etwa soziale Innovation oder die Einführung einer gemeinnützigen Stiftung gemeint, sondern das explizite Bekenntnis und der Ausbau der good old Daseinsvorsorge – den sozialen, gemeinnützigen Wohnbau, das non-profit geführte Altenheim oder die gemeinschaftlich über Elternvereine organisierte Kinderbetreuung. Nur so kann verhindert werden, dass gewinn-geleitete Interessen unser aller Lebensqualität bestimmen.
Dieser Beitrag erschien zuvor auf dem BEIGEWUM-Blog.