Good old Daseinsvorsorge

13. Februar 2015

Mitte Jän­ner geht ein Rau­nen durch die soziale Szene in Öster­reich – ein bör­sen­no­tier­tes, fran­zö­si­sches Unter­neh­men namens ORPEA hat den öster­rei­chi­schen Alten­heim­be­trei­ber Sen­e­cura geschluckt. Damit gehen die etwa 4.000 Bet­ten, das sind 5 % aller Plätze in Öster­reich, auf das Konto des Kon­zerns, der knapp 56.000 Bet­ten in ganz West­eu­ropa betreibt.

Schon län­ger, aber spä­tes­tens seit Über­nahme der schwei­ze­ri­schen Sene­vita und der deut­schen Sil­ver Care im Vor­jahr, hat man mit einem Ein­stieg eines gro­ßen Pfle­ge­an­bie­ters in Öster­reich spe­ku­liert. Dass die­ser nun mit Anfang April auf den Plan tritt, befeu­ert die Dis­kus­sio­nen um eine gute Ver­sor­gung von Men­schen im Alter sowie um die Wahl des rich­ti­gen Betrei­bers – sol­len aus­schließ­lich Non-​​Profit Orga­ni­sa­tio­nen zum Zug kommen?

Ein biss­chen kitzeln

Immer wie­der kommt dabei das Argu­ment, ein biss­chen müsse man die alt-​​eingesessenen Anbie­ter schon kit­zeln, so dass Effi­zi­enz­po­ten­tiale geho­ben wer­den kön­nen. Ein for­cier­ter Wett­be­werb bringe da mehr, als er den Men­schen schade. Außer­dem kann mit einer Ver­gabe an nicht rein-​​gemeinnützige Betrei­ber, so wird gemun­kelt, den auf­müp­fi­gen NGOs ohne gro­ßes Auf­se­hen die Rute ins Fens­ter gestellt werden.

Dass Wett­be­werb sti­mu­lie­rend wir­ken kann, mag für Berei­che der Pro­duk­tion oder Indus­trie gel­ten. Die Erbrin­gung von soziale Dienst­leis­tun­gen hin­ge­gen unter­liegt ande­ren Funk­ti­ons­me­cha­nis­men. Bei sol­chen so genann­ten Ver­trau­ens­gü­ter, deren Qua­li­tät nur schwer mess­bar ist, kön­nen unter markt­wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen Anreize für den Betrei­ber ent­ste­hen, die Qua­li­tät zu sen­ken und dar­aus Gewinn zu erwirt­schaf­ten. Dass die Kli­en­tIn­nen die Qua­li­tät der Leis­tung nicht beur­tei­len kön­nen, trägt dazu bei, dass Non-​​Profit Orga­ni­sa­tio­nen über­haupt ent­stan­den sind. Denn hier liegt das Ver­trauen in die Leis­tung höher, weil Gewinne nicht aus­ge­schüt­tet son­dern re-​​investiert wer­den. Und die Empi­rie bestä­tigt, dass die Qua­li­tät bei NPOs höher liegt als bei For-​​Profit Anbietern.

Doch hat die Sicht­weise, dass auf­grund der demo­gra­phi­schen Ent­wick­lung ein volu­mi­nö­ser „Markt“ ent­steht, bei dem Gewinne mas­siv abge­schöpft wer­den kön­nen, nichts an ihrer schein­ba­ren Fas­zi­na­tion ver­lo­ren. Obwohl eigent­lich die anhal­tende Spar­kur, die öffent­li­chen Haus­hal­ten seit den 1990er Jah­ren auf­er­legt wurde, the­ma­ti­siert wer­den müsste. Denn die Aus­wir­kung auf soziale Dienst­leis­tun­gen geht schlei­chend vor sich, meist in Form von nicht valo­ri­sier­ten Kos­ten­bei­trä­gen oder unge­deck­ten Lohn­ab­gel­tun­gen, und birgt so manch Ver­schlech­te­rung in der Versorgung.

Vor­bo­ten…?

Offen bleibt mit die­ser Über­nahme die Frage, wie die ein­zel­nen Gemein­den, wo die Alten­heime ste­hen, rea­gie­ren wer­den. Auch die Sen­e­cura hat, wie gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen, Ver­sor­gungs­auf­träge mit den Bun­des­län­dern und Gemein­den für ihre Heime abge­schlos­sen. Diese garan­tie­ren die Kos­ten­über­nahme für den Betrieb des Alten– oder Pfle­ge­hei­mes. Dass nun öffent­li­che Gel­der in ein bör­sen­no­tier­tes Unter­neh­men gepumpt wer­den, das wie­derum mit sei­ner schlag­ar­tig erreich­ten Markt­größe Spiel­re­geln zu beein­flus­sen ver­su­chen wird, wird man­chem Bür­ger­meis­ter Sor­gen bereiten.

Und nicht zuletzt ist frag­lich, wel­che Ände­run­gen der Arbeits­be­din­gun­gen die hun­der­ten Mit­ar­bei­te­rIn­nen zu erwar­ten haben, wenn die Inter­es­sen der share­hol­der stär­ker berück­sich­tigt wer­den als jene der Kli­en­tIn­nen oder öffent­li­cher Verwaltungen.

Ein Blick in die Zukunft zeigt, dass diese Über­nahme kein Ein­zel­fall blei­ben könnte. Mit TiSA, der zur Zeit noch wenig beach­te­ten „Schwes­ter“ von TTIP, wird zur Zeit an einem Regel­werk gebas­telt, das genau dies ermög­li­chen soll: den Markt­ein­tritt von gro­ßen Kon­zer­nen in Berei­che der öffent­li­chen Daseins­vor­sorge. Zudem hat die Euro­päi­sche Union in ihrer neuen Ver­ga­be­richt­li­nie, die in Öster­reich dem­nächst umge­setzt wer­den muss, bereits eine aus­schließ­li­che Ver­gabe von sozia­len Dienst­leis­tun­gen an gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen fast unmög­lich gemacht. Hier haben sich Befür­wor­te­rIn­nen der Markt­ori­en­tie­rung durchgesetzt.

Stär­kung der Gemeinnützigkeit

Was dage­gen tun? Eine Stär­kung der Gemein­nüt­zig­keit. Und hier ist nicht nur die For­cie­rung neuer Schlag­worte und Modelle, wie etwa soziale Inno­va­tion oder die Ein­füh­rung einer gemein­nüt­zi­gen Stif­tung gemeint, son­dern das expli­zite Bekennt­nis und der Aus­bau der good old Daseins­vor­sorge – den sozia­len, gemein­nüt­zi­gen Wohn­bau, das non-​​profit geführte Alten­heim oder die gemein­schaft­lich über Eltern­ver­eine orga­ni­sierte Kin­der­be­treu­ung. Nur so kann ver­hin­dert wer­den, dass gewinn-​​geleitete Inter­es­sen unser aller Lebens­qua­li­tät bestimmen.

Dieser Beitrag erschien zuvor auf dem BEIGEWUM-Blog.