Frauen stellen über die Hälfte der Weltbevölkerung. Sie arbeiten mehr als Männer, haben jedoch ein niedrigeres Einkommen und geringeres Vermögen. Ihr Beitrag zum Wohlstand ist untererfasst und unterschätzt. Diese Tatsachen wirken auch gesamtgesellschaftlich negativ insbesondere durch geringere Teilhabemöglichkeiten von Frauen. Trotzdem spielt dieses Thema in der Wirtschaftswissenschaft kaum eine Rolle. Ein „Engendern“ der Makroökonomie, daher die systematische Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Effekte in der Wirtschaftswissenschaft, würde nicht nur zu mehr Gleichheit führen, sondern hätte insgesamt einen positiv Effekt auf Wirtschaft und Gesellschaft. Von alleine wird dies allerdings nicht passieren.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) überraschte in jüngster Zeit nicht nur mit seinen kritischen Aussagen zur steigenden Ungleichheit positiv, auch hinsichtlich Geschlechterungleichheiten ist inzwischen das Problembewusstsein gestiegen. So formulierte die Chefin des IWF, Christine Lagarde, dass es ökonomisch gar nicht mehr leistbar wäre, keine Gleichstellungspolitik zu betreiben. Denn eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen führe gesamtwirtschaftlich zu mehr Wachstum und Wohlstand. Hätten Frauen in Frankreich und Deutschland eine gleich hohe Beschäftigungsrate wie Männer, würde die Wirtschaftsleistung bis 2020 um 4% steigen. In Staaten mit bis dato besonders niedrigen weiblichen Beschäftigungsraten beliefe sich der der Effekt sogar auf 34%.
Auch die OECD weist darauf hin, dass ein Abbau von Erwerbshemmnissen für Frauen Familien hilft, Krisen besser zu bewältigen. Männer sind in vielen Staaten stärker in konjunkturabhängigen Branchen tätig. Frauen versuchen in Krisenzeiten oft den Einkommensverlust der Familie durch Mehrarbeit zu kompensieren. Dieses Muster sieht die OECD 2007 bis 2011 bestätigt. Da Frauen im Allgemeinen aber deutlich weniger verdienen als Männer, gelingt diese Kompensation nur zum Teil.
Gleichzeitig kann aber auch ein höheres Wachstum positive Effekte auf den ökonomischen und sozialen Status von Frauen haben. Denn mit steigendem Wohlstandsniveau können Jobs in Dienstleistungsberufen geschaffen werden – Berufe, die traditionell weiblich dominiert sind.
Erwerbstätigkeit notwendige, aber nicht hinreichende Gleichstellungs-Bedingung
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für tatsächliche Gleichstellung ist. Neben der ungleichen Bezahlung für gleichwertige Tätigkeiten und der geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktseggregation gibt es noch viele weitere Faktoren, die ungleich wirken, aber in der ökonomischen Debatte nicht oder kaum angesprochen werden. Dies wurde als „strategisches Schweigen“ (strategic silence) gewertet.
Während bei Konsumentscheidungen oder Risikobereitschaft von und in Haushalten geschlechtsspezifische Unterschiede schon länger thematisiert werden, wurden und werden diese Ergebnisse nur selten auf ihre gesamtwirtschaftlichen Effekte hin überprüft. Wirtschaftspolitische Entscheidungen prägen aber die ökonomische Entwicklung. Geschlechtsspezifische Unterschiede im Konsum- bzw. Risikoverhalten beeinflussen durchaus gesamtwirtschaftliche Größen wie Sparen, Konsum, Investitionen und Verschuldung. Auch wirken sie sich grundlegend auf Vorstellungen hinsichtlich öffentlicher Aufgaben und Ausmaß staatlicher Tätigkeiten und damit auf die Budgetpolitik aus. Diese Befunde feministischer Ökonomie wurden bereits in früheren Arbeiten des IWF aufgegriffen.
Geschlechterblindheit in der Krise besonders relevant
Denn die Geschlechterblindheit in der Wirtschaftspolitik führt gerade in Krisenzeiten dazu, dass die unbezahlte Arbeit als Systemstabilisator dient, ohne sie explizit zu benennen. Mit dem Abbau sozialstaatlicher Leistungen (etwa im Zuge der Konsolidierung krisenbedingt höherer öffentlicher Defizite) steigt der Druck Betreuungs- und Pflegeleistungen wieder verstärkt „privat“ bzw. innerfamiliär zu erbringen. Zudem nimmt durch den Mangel an finanziellen Mittel im Zuge steigender Arbeitslosigkeit bzw. prekärer Beschäftigung die Versorgungsarbeit in den Haushalten weiter zu. Dadurch, dass Frauen nach wie vor den überwiegenden Teil der unbezahlten Arbeit erledigen, übernehmen sie eine „soziale Airbag-Funktion“ in der Gesellschaft und federn soziale Risken ab, wenn die öffentlichen Sicherungsnetze abgebaut werden bzw. versagen.
Diese Befunde, die seit den 1980er Jahren laufend für Entwicklungsländer dokumentiert wurden, fanden zwar Eingang in UN-Papiere, beeinflussten die aktuelle Krisenstrategie für die entwickelten Ökonomien jedoch nicht. Es gibt mittlerweile Arbeiten, die Geschlechteraspekte der Krisen- und speziell der Austeritätspolitik ansprechen. Sie zeigen, dass die Wirtschaftspolitik im Zuge der Krise ihren „Male Bias“ keineswegs verloren hat. Im Gegenteil, männliche Normen und Strukturen haben sich verfestigt. Auch eine Studie der Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission, die zu Frauen und Krisenpolitik gemacht wurde und diese Probleme durchaus benennt, hat zu keinem Richtungswechsel in der Politik geführt.
Verschlechterungen für alle ist keine Lösung
Im Gegenteil: Die zunehmende Prekarisierung männlicher Arbeitsverhältnisse besonders in den Krisenländern führte in den letzten Jahren statistisch gesehen zu einer Verringerung des Einkommensunterschieds (Gender Pay Gap). Die Anpassung nach unten, fälschlicherweise auch als „Feminisierung der Arbeitsverhältnisse“ bezeichnet, bedeutet jedoch bloß eine generelle Verschlechterung der Lebenssituation von Menschen, die mit einer emanzipatorischen Gleichstellungspolitik nichts zu tun hat.
Langfristig wird dieser Effekt, der insbesondere im privaten Sektor zu tragen kommt, auch konterkariert vom Beschäftigungsabbau im öffentlichen Sektor, der von drei Viertel der OECD Staaten betrieben wird. Frauen sind in diesem Bereich überproportional beschäftigt, es gibt dort niedrigere Einkommensunterschiede und auch ist eine hohe Beschäftigungsrate eng verknüpft mit dem Angebot von Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen.
Eine marktkonforme Gleichstellungspolitik („Gleichstellung rechnet sich“), wie sie derzeit von manchen Stellen propagiert wird, würde zwar vielleicht zu mehr Wirtschaftswachstum führen, aber deswegen nicht zwangsläufig zu mehr Gleichberechtigung. Dazu bedarf es mehr.
Wohlstand gerecht verteilen
Eine erfolgreiche Strategie zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern muss bei einer umfassenden Erfassung und Analyse der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen beginnen. Die Wirtschaftspolitik muss sich in Folge daran auch orientieren und sich damit vom „Sachzwang“ der positiven Beurteilung durch die Finanzmärkte als oberste Priorität wegbewegen. Ein Engendern von Wirtschaftswissenschaft und -politik bzw. das Herausfiltern und Benennen ihrer blinden Flecken ist eine Grundvoraussetzung dafür, den tatsächlichen Wohlstand wissenschaftlich zu erfassen und gerecht zu verteilen. Zeit wär’s.