„Erwachsenen PISA“ (PIAAC):Erschreckende Einsichten in die Alltags-Kompetenzen von Erwachsenen

10. Oktober 2013

Aus ökonomischer Sicht kann Europa langfristig nur als “Hoch-Lohn/Hoch-Produktivitäts”-Standort überleben. Grundvoraussetzung dafür sind Arbeitskräfte die im Stande sind, den Herausforderungen moderner Volkswirtschaften und Gesellschaften zu entsprechen. Dies scheint für einen großen Anteil nicht zutreffend zu sein, wie die gerade veröffentlichte internationale OECD-Studie zu den Adult Skills (PIAAC)“ zeigt. Hat doch ein großer Teil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schon bei vergleichsweise einfachen Aufgabenstellungen des Alltags erhebliche Probleme.

 I. Wer und was wurden getestet?

Österreich hat sich am “Programme for the International Assessment of Adult Competencies” (PIAAC) der OECD beteiligt. Die PIAAC-Erhebung 2011/12 ist die bis dato umfangreichste internationale Studie über Schlüsselkompetenzen 16- bis 65-Jähriger und wurde in 24 Ländern durchgeführt. Erstmals gibt es somit valide Daten über die Lesekompetenz, die alltagsmathematische Kompetenz und die Problemlösekompetenz im Kontext neuer Technologien.These skills are ´key information processing competencies´ that are relevant to adults in many social contexts and work situations, and necessary for fully integrating and participating in the labour market, education and training, and social and civic life”. Es wurden ca. 166.000 Erwachsene im Alter von 16-65 Jahren in den teilnehmenden Ländern befragt und getestet. Für die Interpretation der PIAAC-Ergebnisse ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die TeilnehmerInnen im Zeitraum 1947 bis 1996 geboren wurden, d.h. für die Gruppe der Älteren im Sample begann der Schulbesuch in den 1950er Jahren, für die Jüngeren in den 2000er Jahren: Damit fiel der Schulbesuch aber in sehr unterschiedliche Zeiträume, die sich hinsichtlich Niveau und Qualität doch deutlich unterschieden. In jedem Kompetenzbereich können zwischen 0 und 500 Punkte erreicht werden. Es gibt 5 Kompetenzlevels für Lesen und Alltagsmathematik (3 für Problemlösen), die vom niedrigsten Niveau „Unter 1, Bereich von 0-176 Punkte“, über “Level 1, 176-225 Punkte”, “Level 2, 226-275 Punkte”, “Level 3, 276-325 Punkte”, “Level 4, 326-375 Punkte”, und schließlich zum höchsten Kompetenzniveau “Level 5, höher als 376 Punkte” reichen.

Eine Person mit einer Kompetenz von 240  Punkten kann diese Aufgabe des Niveaus 2 mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% richtig lösen. Es gibt 5 Kompetenzlevels für Lesen und Alltagsmathematik (3 für Problemlösen), die vom niedrigsten Niveau „Unter 1, Bereich von 0-176 Punkte“, über “Level 1, 176-225 Punkte”, “Level 2, 226-275 Punkte”, “Level 3, 276-325 Punkte”, “Level 4, 326-375 Punkte”, und schließlich zum höchsten Kompetenzniveau “Level 5, höher als 376 Punkte” reichen. Eine Person mit der Punkteanzahl 240 kann eine Aufgabe des Niveaus 2 also mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% richtig lösen.

II. Beispiele für Lesefähigkeit (Level 2) und Alltagsmathematik (Level 3)

Im Testteil der Befragung müssen die TeilnehmerInnen Beispiele in den Bereichen Lesefähigkeit, Alltagsmathematik und Problemlösen (in digitaler Umgebung) bearbeiten. Um einen Eindruck zum Schwierigkeitsgrad der Aufgabenstellungen zu geben, werden nachfolgend zwei Beispiele zur Veranschaulichung angeführt: Im Lesebeispiel muss die Testperson auf einer Web-Site eine Telefonnummer finden um den Organisator einer Laufveranstaltung zu kontaktieren; diese Nummer findet sich unter dem  „Kontakt“-Punkt. Im Beispiel zur Alltagsmathematik (siehe Abbildung unten) muss die TeilnehmerIn in einer Grafik jene Zeiträume identifizieren, in denen die Anzahl der Geburten in den USA sank.

 Alltagsmathematik (Level 3-Beispiel)

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III. Zentrale Ergebnisse

A)   Ein großer Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter hat erhebliche Problem bei vergleichsweise einfachen Aufgabenstellungen

Wie aus der nachfolgenden Abbildung und Tabelle hervorgeht, ist in vielen Ländern der Anteil der Personen mit einem niedrigen Kompetenzniveau (auf den Niveaus unter 1, 1 und 2) größer als jener auf einem hohen Niveau (auf den Levels 3, 4 und 5). Beide Gruppen werden durch die Linie in der Mitte der Grafik geteilt. Im Bereich der Lesefähigkeit beispielsweise umfasst die weiter gefasste Problemgruppe einen Bereich von 67,9% der Wohnbevölkerung in Italien bis 27,6% in Japan. Der harte Kern der Problemgruppe mit einem Kompetenzniveau von unter 1 und 1 reicht von 27.7% bis 4.9%. Diese Personengruppe hat wirklich fundamentale Probleme mit Lesen, Rechnen und digitalen Anwendungen. In absoluten Größen erscheinen die Problemlagen tatsächlich als besorgniserregend: 27,8 Millionen Personen in Deutschland, 104,6 Millionen in den USA und 23,4 Millionen in Frankreich bleiben unterhalb des Kompetenzlevels von 3.

In Bezug auf das Beispiel zur Alltagsmathematik (Level 3) sind die Ergebnisse am Beispiel Deutschland wie folgt zu interpretieren: 16,7 Millionen Personen auf einem Kompetenzniveau von 2, die nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 27% die Grafik richtig interpretieren können; 9,9 Millionen lösen das Beispiel überhaupt nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 6% oder weniger. Dies sind äußerst besorgniserregende Ergebnisse, wenn in Betracht gezogen wird, dass die gewählten Beispiele aus dem Alltag extrem einfach sind. Um die Ergebnisse zusammen zu fassen: Im Falle von Deutschland sind es etwa 20 Millionen Personen (von 54 Millionen), die große Probleme mit derart einfachen Beispielen, wie sie sich auf dem Niveau 3 finden, haben. In den USA beläuft sich die entsprechende Zahl auf 90 Millionen Erwachsene. Und im Bereich „Problemlösen in digitaler Umgebung“ ist die Problemgruppe sogar noch größer, nämlich zwischen 80,8% in Polen und 55,9% in Schweden.

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B)   Kleine Unterschiede zwischen den Mittelwerten, aber große Streuungen

Ein auffallendes Ergebnis von PIAAC, das sich durch die gesamte Untersuchung zieht, ist der Umstand, dass die Mittelwerte, etwa im Vergleich zwischen den Ländern oder nach abgeschlossener Ausbildung, relativ nahe beisammen liegen, aber die Streuung innerhalb der Länder oder der Abschlüsse sehr hoch ist. In der Domaine der Alltagsmathematik reichen die Länderdurchschnitte von 288 Punkten im Falle von Japan bis zum niedrigsten Wert von 246 Punkten in Spanien, die Spanne zwischen Maximum und Minimum beträgt also nur 42 Punkte. Aber der Abstand zwischen dem 5ten und dem 95ten Perzentil der Verteilung beträgt im Durchschnitt der Länder 171 Punkte, ist also 4 mal so groß als der Abstand der Ländermittelwerte. In den USA beträgt der Unterschied zwischen dem untersten Kompetenzniveau und dem obersten 188 Punkte, in Japan jedoch nur 142 Punkte. Wie diese Ergebnisse zu interpretieren sind ist eine Frage, die sich nicht einfach beantworten lässt. Darüber hinaus gibt es keine einfache Korrelation zwischen Durchschnitt und Varianz. Finnland und Japan beispielsweise haben beide einen hohen Mittelwert, aber in Finnland ist dieser Umstand verbunden mit einer hohen Streuung, in Japan mit einer niedrigen!

 C)   Abgeschlossene Ausbildungsniveaus haben hohe Bedeutung für erreichte Kompetenzniveaus

Im Durchschnitt liegen die gemessenen Unterschiede in den Kompetenzniveaus beim Lesen zwischen Personen mit einem Schulabschluss unterhalb der oberen Sekundarstufe (Pflichtschule) und einer tertiären Ausbildung bei 51,2 Punkten (297,0  weniger 245,8 Punkte), wobei die Unterschiede von 31,8 Punkten in Zypern bis zu 67,4 Punkten in den USA reichen. Die erreichten Ausbildungsniveaus sind daher von großer Relevanz für die PIAAC-Ergebnisse. Aber wiederum sind die Unterschiede innerhalb der Ausbildungsstufen größer als zwischen den Stufen. Das führt u. a. zu dem beeindruckenden Ergebnis, dass beispielsweise viele Personen mit nur niedrigen Bildungsabschlüssen eine höherer Lesekompetenz haben als Personen mit akademischen Abschlüssen.

 D)   Migrationshintergrund ebenfalls von erheblicher Bedeutung

In Ländern wie Schweden, Finnland und den Niederlanden bewegt sich die Differenz zwischen Personen, die im Inland geboren wurden im Vergleich zu im Ausland geborenen, im Bereich von 40 bis 50 Punkten; im deutlichen Gegensatz dazu sind die Unterschiede in Ländern wie Australien mit nur 13 Punkten auffallend klein. Wiederum ein extrem interessantes Ergebnis von PIAAC.

 IV. Schlussfolgerungen

Zieht man den Umstand in Betracht, dass die Testaufgaben bis zum Niveau von 3 relativ einfach sind, so erscheint es doch äußerst beunruhigend, dass eine derart große Zahl an TeilnehmerInnen diese Fragestellungen nicht korrekt beantworten kann. Und zieht man zudem in Betracht, dass die Kenntnisse und Fertigkeiten, die zur richtigen Beantwortung notwendig sind, hoch relevant für alltägliche Aufgabenstellungen im Arbeitskontext aber in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ebenfalls sind, dann müssen die PIAAC-Ergebnisse für alle AkteurInnen – Beschäftigte, UnternehmerInnen, Politik, BürgerInnen ganz allgemein – ein Weckruf sein.

Literaturhinweise

OECD (2013a), OECD Skills Outlook 2013, First Results from the Survey of Adult Skills, Paris/Brussels, 8 October 2013, http://www.oecd.org/site/piaac/OECD (2013b), The Survey of Adult Skills. Reader´s Companion, Paris, 8 October 2013Statistik Austria (2013), Schlüsselkompetenzen von Erwachsenen. Erste Ergebnisse der PIAAC-Erhebung 2011/2012, Wien 8. Oktober 2013, www.piaac.statistik.at