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(zum vergrößern Grafik bitte anklicken)Obwohl das duale Ausbildungssystem eine breite gesellschaftliche Anerkennung genießt und auch von Arbeitgeberverbänden gerne als Vorzeigemodell beworben wird, ist der Lehrstellenmarkt seit Langem durch einen deutlichen Rückgang der betrieblichen Ausbildungsbereitschaft gekennzeichnet. Selbst am Höhepunkt der Krise 2008 haben die österreichischen Betriebe um über 7.000 Lehrstellen mehr angeboten als heute. Während es im Juni 2008 noch 39.431 Lehrlinge im 1.Lehrjahr gab, so lag ihre Zahl im Juni 2013 bei nur mehr rund 32.500. Gleichzeitig klagt die Wirtschaft chronisch über Fachkräftemangel. Diese Widersprüche machen stutzig – Grund genug, einen genaueren Blick auf die Situation der Lehrlinge in Österreich zu werfen.
Das Gros der medialen Diskurse meint, die Hintergründe erkannt zu haben: Die meisten jungen Menschen seien aufgrund ihrer mangelhaften kognitiven und sozialen Fähigkeiten für den Arbeits- bzw. Lehrstellenmarkt ungeeignet. Das Bildungssystem trage – neben den Familien – die alleinige Verantwortung und habe sich folglich als heillos reformbedürftig erwiesen.
Abgesehen davon, dass die permanente despektierliche Pauschalverurteilung einer ganzen Bevölkerungsgruppe maßgeblich zur Bildung von Klischees und Vorurteilen beiträgt: Das ist nur die halbe Wahrheit.
Wer übernimmt Verantwortung?
Natürlich ist die Kritik an den reformmüden Bereichen der heimischen Bildungslandschaft (weit über den gegenständlichen Themenkomplex hinaus) nicht aus der Luft gegriffen. Weitreichende Reformen in Feldern wie der frühkindlichen Förderung sind – sowohl im Interesse des Individuums als auch der Gesamtgesellschaft – zweifelsohne dringend notwendig. Auch die Diagnose, dass sich familiäre Sozialgefüge unter dem Druck eines stark beschleunigten gesellschaftlichen Wandels teilweise nicht optimal adaptieren können, mag (zumindest in Teilen) nachvollziehbar sein – wobei sich über die Ursachen dieser mangelnden Adaptionsfähigkeit freilich vortrefflich streiten ließe.
Aber nichts desto trotz: Auch die Wirtschaft muss sich angesichts der Herausforderungen, die sich dem dualen Ausbildungssystem stellen, die Frage gefallen lassen, welche konkreten Maßnahmen sie zu setzen bereit ist. Die öffentliche Hand trägt bereits in unterschiedlichen Dimensionen zur Berufsausbildung bei (Ausbildungsgarantie/Überbetriebliche Ausbildung, Förderwesen,…) und schafft damit Fachkräfte von morgen. Welche Anreize setzt die Wirtschaft, um das Image der Lehre zu verbessern und damit diesen Ausbildungsweg für junge Menschen wieder attraktiver zu machen? Welche Verantwortung übernimmt sie in der Ausbildung ihrer eigenen künftigen FacharbeiterInnen?
Ausbildungsqualität = Ausbildungsattraktivität
Studien wie jene zur „Motivation von Jugendlichen in der betrieblichen Lehrausbildung“ dokumentieren anhand von Fallbeispielen aus dem betrieblichen Alltag die vielfältigen positiven Effekte einer motivationssteigernden und qualitätsvollen Ausbildungspraxis – für Jugendliche und Betrieb. Sie zeigen auf, dass der Faktor Motivation nicht nur großen Einfluss auf individuelle Lernerfolge und die Persönlichkeitsentwicklung nimmt, sondern gleichermaßen positive Auswirkungen auf die betriebliche Arbeitsleistung hat.
Auch die Wiener Lehrlingsbefragung „Was tut sich bei dir im Job“ belegt: Ein hohes Maß an Ausbildungsqualität, wozu zweifelsohne der respektvolle Umgang mit den jungen MitarbeiterInnen zählt, ist der motivierende Faktor schlechthin. Unternehmen, die das erkannt haben, sind bei der Lehrlingsakquise klar im Vorteil.
Wie kann aber eine flächendeckend hohe Ausbildungsqualität bereitgestellt werden? In Ermangelung bindender Qualitätskriterien bildet die (logischerweise am Ende der Ausbildung stehende) Lehrabschlussprüfung gegenwärtig den wichtigsten Indikator für betriebliche bzw. branchenbezogene Ausbildungsqualität. Das ist denkbar problematisch, da mögliche Ausbildungsdefizite somit erst an einem Punkt offenkundig werden, wo es eigentlich bereits zu spät ist. Im System hingegen kaum verankert sind Evaluierungskriterien, die sich unmittelbar am Ausbildungsprozess selbst orientieren. Ihr Zweck wäre es, unter Berücksichtigung pädagogisch – didaktischer Grundsätze Defizite rechtzeitig aufzuzeigen und so gegebenenfalls eine rasche Kurskorrektur zu ermöglichen. Um den Qualitätsgrad des Ausbildungsprozesses verlässlich evaluieren zu können, wäre es grundsätzlich notwendig, systematische Überprüfungen vorzunehmen. In besonderem Maße würde sich hierzu die Einrichtung einer unabhängigen spezialisierten Qualitätsagentur anbieten, welche Ausbildungsbetriebe (ähnlich wie bei der DIN- oder ISO-Zertifizierung) nach transparenten Kriterien darauf prüft, ob sie klar definierte Qualitätsstandards in der Ausbildungspraxis konkret erfüllen. Wirklich gewährleisten könnte all das jedoch nur die Implementierung eines verpflichtenden und flächendeckenden Qualitätsmanagements, das die Ausbildung an objektiv messbaren Qualitätskriterien orientiert.
Abschließend lässt sich festhalten: Jede Anstrengung für ein effektives Berufsausbildungssystem, das möglichst keinen Jugendlichen zurück lässt, ist letztlich weit mehr als eine sozialpolitische Maßnahme zur persönlichen Stabilisierung der Betroffenen – vielmehr handelt es sich dabei um grundlegende Präventivarbeit zur Verringerung bzw. Vorbeugung systemischer Problematiken wie der verfestigten Jugendarbeitslosigkeit und all ihrer unerwünschten Folgen.