Stellen wir uns der Einfachheit halber vor, die österreichische Schule sei eine Patientin und liege im Spital. Der Befund ist eindeutig, das österreichische Bildungswesen leidet hochgradig an zwei Krankheiten: Chancenungerechtigkeit und Bildungsarmut. Ein erklecklicher Teil der Jugendlichen hat mit Ende der Pflichtschule nicht einmal die grundlegenden Grundkompetenzen in Lesen und Rechnen erlangt.
Niemand so richtig zuständig
Schon bevor die Patientin Schule ins Krankenhaus kam, waren etliche Anzeichen der Erkrankungen sichtbar. Diese Symptome wurden dem Krankenhaus aber nicht mitgeteilt und mehrere behandelnde praktische ÄrztInnen haben auf den teilweise bereits bedenklichen Zustand ungeordnet – nach Bundesländerlaune – reagiert. Im Krankenhaus sind irgendwie alle und niemand so richtig für die Patientin zuständig.
Der Primararzt – namens Bundesministerium – weiß wenig darüber, was im Krankenzimmer wirklich los ist. Welche Behandlungen und Medikamente die Patientin bekommt, weiß er nur oberflächlich. Somit meint er zwar festzulegen, welche Behandlungsschritte zu tun sind, kann sich aber nie sicher sein, ob sein Einsatz – vor allem der finanzielle – überhaupt in die gewünschte Richtung geht.
Die ÄrztInnen – die Bundesländer – tragen unter sich einen großen Machtkampf aus. Die meisten sind vor allem am eigenen Image orientiert und weniger am Wohlergehen der Patientin. Wer von ihnen welche Heilmethode anwendet, soll möglichst geheim bleiben. Sie treffen immer wieder auf eine Patientin in höchst unterschiedlichen Zuständen, was mehr Behandlung und mehr Medikamente in manchen Situationen erfordern würde. Gibt’s nicht, weil weder Solidarität noch die Heilung der Patientin gemeinsames Anliegen ist.
Kampf gegen das System
Zwei Krankenschwestern – im anderen System nennen sie sich LehrerInnen –, die sich abwechseln, wissen um den tagtäglichen Zustand der Patientin bestens Bescheid. Die eine ist älter und wird weder ermuntert noch angehalten, sich um bessere und neuere Pflege zu kümmern. Sie macht alles so, wie es immer war, und erwartet sich keine Besserung des Zustands mehr. Die zweite, jüngere, ist sehr bemüht, aber sie kämpft sich allein durchs System – für jedes neue Hilfsmittel muss sie harte bürokratische Hürden überwinden.
Zusätzlich wird die Patientin täglich mittags nach Hause entlassen. Meist ist leider gerade dann, wenn der Zustand der Patientin schlecht ist, niemand Unterstützender da. Dies verschlimmert die Hauptkrankheit – Chancenungerechtigkeit – naturgemäß regelmäßig.
Behandlungsplan für die Patientin Schule
Wie kann die Patientin denn nun geheilt werden? Der Primararzt muss endlich die Oberhoheit über das Geschehen erlangen. Die behandelnden ÄrztInnen müssen sich am Zustand der Patientin orientieren. Ihre eigentümliche Eigenbrötlerei ist scharf zu beschneiden. Ganz wichtig ist die Stärkung der Krankenschwestern.
Übersetzt bedeutet das: Die Frühförderung im Kindergarten muss einen qualitativen Sprung machen – über ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr und Standards bei der Frühförderung. Auf die Transparenz der Verwendung der Mittel muss ein deutlich gezielterer Einsatz folgen. Die Gelder und LehrerInnen müssen dorthin, wo die größten Probleme sind. Jene Schulen, die viele sozial benachteiligte SchülerInnen betreuen, brauchen sozial ausgleichende Unterstützung. Der Ausbau von Ganztagesbetreuung in der Schule muss in höchster Qualität erfolgen. Und: Kein Schulabschluss mehr ohne Erreichung der Grundkompetenzen.
Denn bei den Diskussionen um Bildungsreform bleibt allzu oft auf der Strecke, worum es hier eigentlich geht: um die Kinder und Jugendlichen! Um ihre Bedürfnisse, ihre Fähigkeiten und ihre Freude am Lernen.
Dieser Beitrag stammt aus „Arbeit&Wirtschaft“. Die November-Ausgabe widmet sich dem Schwerpunkt Bildung: „Bis der Kopf raucht“ … www.arbeit-wirtschaft.at