Letzte Woche wurde ein Manifest für mehr Vielfalt in der Wirtschaftswissenschaft von einem Zusammenschluss aus über 40 Studierendengruppierungen aus 19 Ländern veröffentlicht, um sich gegen die neoklassische Vorherrschaft an den Unis zu wehren. Die Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien ist Teil dieser Initiative. Auch Peter Mooslechner, Direktor der Österreichischen Nationalbank, unterstützt die Initiative: „Viele Aspekte der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise haben gezeigt, dass es neuer, innovativer und methodisch breiterer Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften bedarf, um eine relevante Wirtschaftspolitik entsprechend zu fundieren. Dafür ist es entscheidend, dass Volkswirtschaftslehre fundamental als multiparadigmatische Wissenschaft verstanden, gelehrt und ‘gelebt’ wird“.
Die vergangenen 30 Jahre waren geprägt vom Siegeszug sogenannter standard- oder mainstreamökonomischer Ansätze. Damit sind die Schulen der Neoklassik und des von ihr vereinnahmten Keynesianismus, des sogenannten Neu- oder Neokeynesianismus, gemeint. Die Keynes-Schülerin und Cambridge-Ökonomin Joan Robinson bezeichnete diese Umdeutung der keynes’schen Lehren zu einem Sonderfall neoklassischer Gleichgewichtszustände auch plakativ als “Bastard-Keynesianismus”. Dabei hatte Keynes einen grundlegenden Umsturz in der Art und Weise, Ökonomie zu denken, vor Augen. Dieses Umdenken setzte jedoch nie ein. Das sich selbst einstellende Gleichgewicht als zentrales Konzept ökonomischen Denkens blieb erhalten.
Ökonomischer Mainstream stellt sich nicht mehr der Debatte
In den 1960er Jahren konnte es aber noch zu Debatten auf Augenhöhe kommen. So debattierten z.B. KeynesianerInnen in Cambridge (UK) und NeoklassikerInnen in Cambridge (USA) über die Definition des Kapitalbegriffs. Bereits damals zeichnete sich ein Machtungleichgewicht ab: Der neoklassische Kapitalbegriff gilt als Resultat der Auseinandersetzung allgemein als widerlegt, Konsequenzen wurden im ökonomischen Mainstream jedoch nie gezogen. Mittlerweile ist eine ähnlich offene Debatte zwischen den verschiedenen Schulen jedoch gänzlich undenkbar geworden.
Der Standardökonomie gelang es, eine Monopolstellung zu erringen, die es ihr ermöglicht, sich gegen die Kritik alternativer Ansätze zu immunisieren. So ist es für heterodoxe WissenschaftlerInnen nicht mehr möglich, in den prestigeträchtigsten Journalen zu publizieren. In diesen Journalen vorzukommen ist aber die Währung im Wissenschaftsbetrieb bzw. die Vorrausetzung für den Aufstieg. Insbesondere jungen ForscherInnen mit Ansätzen außerhalb des Mainstreams haben so kaum mehr Möglichkeit auf den Universitäten Fuß zu fassen. Alternative Ansätze, welche die blinden Flecken des Mainstream-Ansatzes ergänzen könnten, werden folglich nicht mehr gelehrt und damit auch nicht mehr gehört.
Die Standardökonomie stützt sich auf Konzepte, die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Methodisch bedient sie sich hauptsächlich der sogenannten komparativen Statik, des Vergleichs von statischen Gleichgewichtszuständen. Die Realität besteht aber nie aus Gleichgewichtszuständen, diese sind hypothetische Theoriegebilde. Die Welt ist von ständigem Wandel und Verwerfungen geprägt. Als Grundlage für kurzfristige wirtschaftspolitische Entscheidungen sind derart gewonnene Erkenntnisse daher denkbar ungeeignet. Trotzdem werden die Politikempfehlungen standardökonomischer Arbeiten regelmäßig als unumstößlich, ja sogar alternativlos dargestellt.
Neoliberale Vorherrschaft in der EU-Krisenpolitik
Die vermeintlich alternativlose Politikempfehlung, ist aktuell in der EU-Krisenpolitik zu beobachten. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, und die zugrundeliegende neoklassische Theorie, verfolgen den Kurs der Austeritätspolitik und des Sparens. Gespart wird vor allem an sozialstaatlichen Leistungen, wie Gesundheitsvorsorge, Bildung und Arbeitslosenunterstützung. Die Krisenlasten werden vor allem auf die südeuropäischen EU-Mitgliedstaaten und auf Lohnabhängige und ärmere Bevölkerungsschichten abgewälzt. Mit den gesparten Staatsgeldern werden Banken gerettet und private Unternehmen entlastet. Im Sinne der Neoklassik wird der Einflussbereich des Staates gekürzt und die freie Marktwirtschaft gestärkt. Institutionalisiert ist diese Ideologie beispielsweise in der Troika oder dem IWF, die den so bezeichneten Krisenländern Strukturanpassungsprogramme auferlegen. Dabei zeichnete es sich sehr früh ab, dass diese Politikmaßnahmen keineswegs einen Weg aus der Krise darstellen. Ganz im Gegenteil, Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit und mangelnde gesundheitliche Versorgung verschärften sich nur noch, vor allem in Griechenland und Spanien. Die ökonomische und damit einhergehende soziale Krise stellt in vielen Ländern den Ausgangspunkt neuer Protestbewegungen dar. Die sozialen Konflikte verschärfen sich und der Ruf nach einem Kurswechsel wird immer lauter.
Pluralismus ist deshalb nicht nur für die Wirtschaftstheorie sondern auch für deren Anwendung anhand von wirtschaftspolitischen Maßnahmen unumgänglich. Auch hier müssen unterschiedliche Perspektiven und Ansätze berücksichtigt werden. Das Versagen des Neoliberalismus in der Krisenpolitik, gibt Anlass auch in der politischen Anwendung die Diskussion zuzulassen und die Ökonomie wieder in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.
Neoklassischer Arbeitsmarkt oder wie sich die Realität der Theorie anzupassen hat
Reale Phänomene, die mit dem Instrumentarium des Mainstreams nicht erklärt werden können, dürfen nicht sein. In dem Fall fordert die Mainstreamökonomie die Anpassung der Realität an ihre Modelle. So ist zum Beispiel in ihrem Modell der Faktor Arbeit flexibel, in der Folge muss er auch in der Realität flexibler werden. Die Konsequenzen der Arbeitsmarktflexibilisierung auf die Betroffenen sind irrelevant. Diese absurde Logik aufzuhalten, ist eine Aufgabe von plural ausgerichteter Lehre in den Wirtschaftswissenschaften.
Die Realität ist komplex. Wir leben in einer komplexen, von sozialen Beziehungen geprägten Welt. Menschen verhalten sich nicht nur aufgrund von Nutzenüberlegungen, sondern treffen ihre Entscheidungen auf Grundlage von Gefühlen, aus Gewohnheit, aus Loyalität et cetera und darüber hinaus aus vielen bislang unerforschten Gründen. Der Versuch, die Ökonomie mit neoklassischen Mitteln als mechanistische Naturwissenschaft zu konstruieren, ist gescheitert. Um diese Welt zu verstehen, bedarf es vielfältiger Ansätze: Einerseits sozialwissenschaftlicher Methoden, andererseits muss man sich trauen, je nach Fragestellung eine passende Perspektive einzunehmen. Nicht die Beschränkung auf einen Ansatz ist die Lösung, sondern das Nebeneinander vieler verschiedener Ansätze, die einander ergänzen und korrigieren.
So betrachtet beispielsweise die institutionelle Ökonomik die Rolle gesellschaftlicher Normen und Regeln für wirtschaftliches Handeln, die ökologische Ökonomik die Einbettung von Ökonomie und Gesellschaft in natürliche Kreisläufe und die feministische Ökonomik Aspekte von Gender. Sie bilden gemeinsam mit anderen Strömungen, die sich vom Mainstream-Ansatz abgrenzen, die sogenannten “heterodoxen Strömungen”, die oft nicht viel mehr gemeinsam haben, als dass sie vom dominanten Mainstream an den Rand gedrängt und marginalisiert wurden. Ihre stärkere Berücksichtigung in den Universitäten – egal ob nun in den Studienplänen oder bei der Finanzierung von Forschungsprogrammen – ist unsere zentrale Forderung.
Geistiges Gefängnis?
Als Ökonomiestudierende haben wir häufig das Gefühl InsassInnen eines geistigen Gefängnisses zu sein, in dem gewisse Gedanken nicht erlaubt sind. Max Planck brachte mit seinem berühmten Zitat das Dilemma auf den Punkt: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“
Lasst uns dieses Mal nicht so lange warten!