Das Gespenst der Deflation und die EZB

14. Oktober 2014

Das Damoklesschwert der Deflation hängt über Europa. Deflation bedeutet nichts anderes als fallende Preise. Was für die einzelne Konsumentin auf den ersten Blick nach einer guten Nachricht klingt, ist volkswirtschaftlich betrachtet ein gefährliches Warnsignal. In Japan trug Deflation zwischen 1998 und 2003 zu einem dramatischem Wirtschaftseinbruch bei. Um dem vorzubeugen, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im September energische Maßnahmen gegen den Preisverfall beschlossen. Doch sind diese Maßnahmen auch zielführend?

Die Sorge der EZB über den Preisverfall ist berechtigt. Laufende Preissenkungen führen ab einem gewissen Zeitpunkt beim Konsumenten zum Aufschub seiner Konsumentscheidungen. So lohnt es sich, den Kauf von dauerhaften Konsumgütern, beispielsweise von Möbeln, Autos oder technischen Geräten, in Erwartung noch günstigerer Angebote immer wieder aufzuschieben – mit negativen Folgen für die effektive Nachfrage. Eine weitere unangenehme Folge besteht darin, dass Unternehmen Investitionsentscheidungen hintanstellen. Zum einen ist das eine Reaktion auf den Rückgang der Nachfrage an Konsumgütern, zum anderen lohnt es sich auch für Unternehmer zu warten bis Investitionsgüter billiger werden. Verminderte Investitionen schwächen das Wirtschaftswachstum weiter ab, Arbeitsplätze gehen verloren, die Kaufkraft sinkt weiter und die Deflation verfestigt sich – ein gefährlicher Teufelskreis.

Drohender Preisverfall

Folgendes Schaubild zeigt die Entwicklung des harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI, misst den Preis eines durchschnittlichen Warenkorbes an Konsumgüter) im Euroraum seit Anfang 2011 an:

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: EUROSTAT © A&W Blog
Quelle: EUROSTAT

Betrachtet man die monatliche Veränderung des HVPI in Österreich und im Euroraum, zeigt sich für die jüngste Entwicklung ab März 2014 ein noch dramatischeres Bild:

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Quelle: Statistik Austria, EUROSTAT © A&W Blog
Quelle: Statistik Austria, EUROSTAT

Die Erzeugerpreise für Sachgüter, also die Preise aller in der Industrie hergestellten Konsum- und Investitionsgüter, sinken bereits seit Anfang 2013:

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Quelle: Statistik Austria © A&W Blog
Quelle: Statistik Austria

Wie kam es zur Deflationsgefahr?

Wie konnte es trotz der Niedrigzinspolitik der EZB überhaupt zu Deflation kommen? Die Ursache liegt wie bereits zuvor in Japan bei den maroden Banken. Die Banken profitieren zwar von den niedrigen Zinsen der Zentralbank. Sie geben aber die Kredite nicht an Unternehmen weiter. Im Klartext: Obwohl die EZB die Schleusen für billige Kredite öffnet, erhalten Banken die Kreditklemme aufrecht. Vor allem im Bereich der Innovationsfinanzierung, der Finanzierung von Klein- und Mittelbetrieben und von Unternehmensgründungen. Da der Leitzins bereits seit Juni 2014 nahe der Nullmarke liegt (0,15%), lässt ein weiteres Drehen an der Zinsschraube kaum mehr Effekte erwarten.

Aus diesem Grund hat die EZB im September neben einer Senkung des Leitzinssatzes auf 0,03% Punkte zu einem außergewöhnlichen Mittel gegriffen. Sie hat sich entschlossen, ab Oktober im großen Stil ABS Papiere zu kaufen. Laut FAZ könnte die EZB dafür bis zu 500 Mrd. € ausgeben.

ABS – was ist das?

ABS bedeutet in diesem Fall nicht Antiblockiersystem sondern Asset Backed Securities. Dieses Finanzprodukt erlaubte es Banken in der Vergangenheit ihre Risiken zu verbriefen und weiterzuverkaufen, sodass am Ende niemand mehr wusste wer wem wieviel mit welchem Risiko schuldet. Es handelt sich dabei also um die vielfach als toxisch bezeichneten Papiere, die 2007 mit zur größten Finanzkrise seit 1929 geführt haben. Jetzt liegen diese vielfach wertlosen Papiere in den Kellern der Banken und drücken auf deren Profitabilität. Das Kalkül der EZB: Wir steigern durch unsere Nachfrage den Wert dieser Papiere und entlasten damit die Banken. Dadurch könnten die Banken wieder mehr Kredite an die Realwirtschaft weitergeben.

Eine problematische Maßnahme

Diese Maßnahme der EZB ist nicht unproblematisch. Zum einen ist es eine weitere milliardenschwere Subvention des Bankensektors mit öffentlichem Geld. Wiederum müssen die Banken nicht für vergangene Fehlentscheidungen gerade stehen. Statt die toxischen Finanzprodukte zu verbieten, wird eben in diesem Bereich eine neue Blase aufgebaut und staatlich gefördert. Schon melden sich die ersten Banker zu Wort, die ABS-Papiere hätten zu Unrecht einen schlechten Ruf. Zum anderen ist alles andere als klar, ob die Banken jetzt wirklich die Kredite an die Realwirtschaft weitergeben. Es ist im Gegenteil gar nicht unwahrscheinlich, dass sie die neu gewonnene Profitabilität genauso nutzen werden, wie sie die Niedrigzinspolitik seit 2008 genutzt haben: für neue Spekulationen auf den Finanzmärkten. Neue Spekulationsblasen bereiten eine neue Bankenkrise vor – mit unkalkulierbaren ökonomischen und politischen Folgen.

Die bereits im Juni von der EZB beschlossene Anhebung der Strafzinsen für Banken, die ihr Geld bei der Zentralbank parken, an statt sie als Kredite an Unternehmen weiterzugeben, kann demgegenüber als positiver Schritt gesehen werden. Aber auch diese Maßnahme greift in Wirklichkeit zu kurz. Sie setzt zwar einen Anreiz in Richtung erhöhter Kreditvergabe. Ob die Kredite auf den Finanzmärkten weiteren Schaden anrichten oder in der Realwirtschaft ankommen ist aber alles andere als gesichert.

Alternativen?

Das grundsätzliche Dilemma der aktuellen Bankenpolitik ist folgendes: Die öffentliche Hand nimmt den Banken die Risiken ab, belässt aber die Entscheidungsverhältnisse unangetastet. Das widerspricht sogar der neoliberalen Logik, dass der Risikoträger auch der Eigentümer zu sein habe also derjenige, der bestimmt was geschieht. EZB und Bankenaufsicht haben zurzeit kaum Instrumente, um auf die tatsächliche realwirtschaftliche Kreditvergabe der Banken Einfluss zu nehmen und die zur Deflationsbekämpfung notwendige Nachfragebelebung auszulösen.

Das müsste nicht so sein. Grundsätzlich könnte eine Zentralbank in Verbindung mit Bankenaufsicht und Bankenregulierung direkter in die Transmission der von ihr bereit gestellten Geldmenge in die Realwirtschaft eingreifen. Einerseits indem sie den Zugang zu billigem Zentralbankgeld an die Ausweitung der realen Kreditvergabe bindet. Andererseits indem von Banken, die in hohem Ausmaß Kredite für Finanzmarktspekulationen zur Verfügung stellen, oder im Investmentbanking riskante Geschäfte auf eigene Rechnung betreiben, höhere Eigenkapitalquoten verlangt werden. Die amerikanische Bankenaufsicht ist hier weiter. Sie hat im September angekündigt die Kapitalvorschriften für Banken mit hohem Eigenhandelanteil zu erhöhen.

Ein Rückblick lohnt

Zwischen 1945 und den 1980er Jahre erlebten die Finanzsysteme der Industrieländer eine Phase außerordentlicher Stabilität. In den USA basierte diese Stabilität zu einem großen Teil auf dem Banking Akt von 1933. Diese erfolgreiche Maßnahme der Roosevelt-Administration im Kampf gegen Deflation und Bankenkrise stellte unter anderem die Kreditvergabe der Banken für den Handel mit Wertpieren, Immobilien und Waren zum Zweck der Spekulation unter Strafe – ebenso den spekulativen Eigenhandel von Banken mit Kundeneinlagen.

Außerhalb der USA, beispielsweise in Österreich, Japan, England oder Frankreich basierte die Stabilität des Finanzsektors auf öffentlichen Bankensystemen. Diese bieten noch mehr Möglichkeiten der Lenkung von Kreditströmen in Schlüsseltechnologien und strategisch wichtige Sektoren der Realwirtschaft.

Geldpolitik nur mit fiskalpolitischer Unterstützung effektiv

Welchen Weg auch immer Geldpolitik und Bankenregulierung wählen, ohne entsprechende Ergänzung durch eine wachstumsorientierte Fiskalpolitik wird ihre Wirkung alleine nicht ausreichen, um die Deflation zu bekämpfen und die schwächelnde Konjunktur zu beleben.

Die wirksamste und sicherste Methode, Deflation zu bekämpfen, ist es mit gleichzeitiger Erhöhung von Staatsausgaben und Geldmenge die realwirtschaftliche Nachfrage anzuheben und Inflationserwartungen zu wecken. Eine Erhöhung der Staatsausgaben muss dabei aber auf Investitionen beschränkt werden, die in der Zukunft volkswirtschaftliche Erträge einbringen, Wachstum kreieren und die Wettbewerbsfähigkeit ausbauen (Bildung, Forschung & Entwicklung, Innovation und Infrastruktur). Zu diesem Zweck müssten die Regierungen zweckgebundene Staatsanleihen emittieren, die von der EZB am Sekundärmarkt zu kaufen wären.