Was es heißt, wenn ein Unternehmen gezielt neue Arbeitsformen wie Cloudworking einsetzt, zeigt eine neue Studie über die Unternehmensstrategie von IBM. Vor 5 Jahren erregte die Ankündigung eines globalen IBM-Managers Aufsehen: Die Anzahl der Festangestellten bei IBM soll von 400.000 auf zirka 100.000 reduziert werden. Die Kernbelegschaft soll nur mehr zur Aufrechterhaltung der Kundenbeziehungen und für Steuerung und Management des Unternehmens zuständig sein, die Mitarbeiterinnen nur mehr für Projekte über Plattformen im Internet weltweit angeheuert werden. Eine neue Studie beleuchtet die Strategie, mit der sich IBM dieser „Vision“ annähert und zeigt welche Fragen sie für die Zukunft der Arbeit aufwirft.
IBM hat von der Open Source Community gelernt
IBM war noch in den 1980er Jahren ein typisches „fordistisches Großunternehmen“. In den 1990er Jahren hat sich IBM zu einem global integrierten Unternehmen entwickelt. Dazu gehören global verteilte Produktionsmodelle mit Standorten etwa in Indien, weltweit vereinheitlichte IT-Systeme, die Zentralisierung von Entscheidungen und die Dezentralisierung der wirtschaftlichen Verantwortung in die operativen Bereiche. Parallel dazu hat IBM durch Kooperationen mit international vernetzten Software-Entwickler-Communities der Open Source-Bewegung gelernt. Wichtig dabei ist das modulare Entwicklungssystem und die Wiederverwertung von Komponenten sowie die Transparenz der Codes in der Open Source-Umgebung, ein hoher Virtualisierungsgrad und geringer hierarchischer Durchgriff.
Das Community-Konzept wurde bei IBM von „oben“ in die Organisation eingepflanzt und ersetzt die internen Organisationseinheiten. Die weltweiten Projektteams, sogenannte „Blue Communities“, arbeiten – allerdings hierarchisch strukturiert – mit operationalen und finanziellen Zielvorgaben.
Standardisierung von Wissensarbeit und totale Transparenz durch Kollaborationsplattformen
Arbeit und Kommunikation erfolgt vollständig elektronisch basiert, Tools für Projektmanagement und Arbeitsplanung werden in der Cloud zur Verfügung gestellt. Eine Kollaborationsplattform nach dem Vorbild von Social Media stellt die Grundlage für Wissensaustausch und kommunikativen Austausch dar und integriert Intra- und Internetforen, Sofortnachrichtendienste, Bibliotheken, Blogs und Wikis. Komplexe Aufgaben – früher dauerte eine Softwareentwicklung zirka 18 Monate – wurden in kleine Teilschritte von maximal 60 Arbeitsstunden zerlegt, wodurch die einzelnen Entwickler detailliert analysierbar und auch ersetzbar wurden. Innerhalb der weltweiten Projektteams herrscht absolute Transparenz über den Status der Arbeitsabläufe für alle Community-Mitglieder. Leistungs- und Verhaltensdaten werden ausgewertet, um Leistungsmuster der Communities zu kartografieren und zu vergleichen. Diese Daten bilden die Grundlage für Verhaltens- und Motivationssteuerung der WissensarbeiterInnen. Die Kollaborationsplattform wird so zum Arbeits-, Kooperations- und Kontrollmittel. Zusätzlich gibt es auch direkte Steuerungsmöglichkeiten, so hat der Projektmanager eine starke Stellung und kann jederzeit in die Arbeitsabläufe eingreifen.
Ein System permanenter Bewährung setzt fix Angestellte und Freelancer in ständige Konkurrenz
Fast alle Beschäftigten haben sogenannte „Blue Cards“, die die aktuellen Leistungsauswertungen über ihre Arbeitsergebnisse enthalten, und die Grundlage für das Rating der MitarbeiterInnen bilden. Diese „Digital Reputation“ ist der Leistungsausweis, der für fix Angestellte genauso wie für Freelancer gilt. Um Freelancer anzuheuern, arbeitet IBM mit Top Coder als strategischem Partner zusammen. Interessierte ExpertInnen können sich über das unternehmenseigene Liquid-Portal bewerben. Voraussetzung für ihre Teilnahme ist, dass sie die Rechte am Arbeitsergebnis an IBM abtreten und die totale Transparenz akzeptieren. Dann können sie an den Ausschreibungen auf der Liquid-Plattform teilnehmen. Die kleinteiligen Aufträge werden im Wettbewerbsmodus bearbeitet, wobei nur das eingereichte Ergebnis bezahlt wird.
Durch die strukturelle Gleichstellung von fix Angestellten und Freelancern im Informationsraum werden zwei unterschiedliche Rechtssysteme zueinander in Konkurrenz gebracht. Die Freelancer stellen ein ständiges Drohpotential für die IBM-Beschäftigten dar, und das Verhältnis von innen und außen verflüssigt sich.
Crowdsourcing und Crowdworking stellen grundlegende Prinzipien unserer Wirtschafts- und Arbeitswelt in Frage
Die Studie will eine Diskussion über die Zukunft der Arbeit anregen. Noch ist das Produktionsmodell von IBM ein Einzelfall. Aber es gibt Hinweise, dass IBM ihr „Erfolgsmodell“ auch an andere Unternehmen weitergeben will. In Deutschland gibt es dazu – angeregt durch Verdi – bereits eine lebhafte Diskussion.
Crowdsourcing und Crowdworking werfen neue Fragen auf: Wird dadurch das Konzept des Betriebs als dominante Form der Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung und das Konzept abhängiger Beschäftigung im Arbeitnehmerstatus als dominante Form der Nutzung von Arbeitskraft in Frage gestellt?
Die sogenannte „New York Bewegung“ macht Stimmung in diese Richtung.