Demokratische westliche Staaten werden häufig als Meritokratien bezeichnet, also als Gesellschaften, in denen Ungleichheit durch unterschiedliche Leistungen – zum Beispiel im Hinblick auf Bildung – und nicht durch die Vererbung von Reichtümern und Machtstellungen entsteht. Empirisch zeigt sich jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit, einen formal hohen Bildungsabschluss zu erreichen, unter anderem vom familiären Hintergrund abhängt. Internationale Studien belegen, dass die soziale Herkunft ein zentrales Merkmal für unterschiedliche Bildungskarrieren ist. Das gilt auch für Österreich.
In einem kürzlich erschienen Artikel untersuchen wir die Bedeutung des familiären Hintergrundes für den Bildungs- und Einkommenserfolg von Geschwistern in Österreich. Im Gegensatz zu früheren Studien, die den Bildungsstand oder das Einkommen der Eltern mit dem ihrer Kinder vergleicht („intergenerationale Mobilität“), berechneten wir erstmals für Österreich diese Korrelationen für Geschwister.
Eine Geschwisterkorrelation beschreibt, wieviel vom Unterschied zwischen Geschwistern einem gemeinsamen Faktor, in diesem Fall dem familiären Hintergrund, zugerechnet werden kann. Diese Bildungs- und Einkommenskorrelationen sind eine Methode, um die Chancengleichheit eines Landes zu beschreiben. Je höher eine Geschwisterkorrelation, desto geringer die Chancengleichheit: Der Bildungserfolg oder das erzielte Einkommen ist dann weniger ein individueller Erfolg, sondern eher der Herkunft geschuldet. Das theoretische Modell stammt bereits aus den 1990er Jahren und wurde in den vergangenen Jahren in mehreren internationalen Studien verwendet. Im Gegensatz zum bisher üblichen Vergleich zweier Generationen hat diese Methode den Vorteil, dass lediglich Daten für Geschwisterpaare notwendig sind.
Ergebnisse beruhen auf über 900.000 Beobachtungen
Für die Berechnung konnten neue, bisher in dieser Form nicht verfügbare Daten der Statistik Austria verwendet werden. Die Daten stammen aus administrativen Registerdaten (Melderegister, Familienbeihilfenregister usw.) der Jahre 2004 bis 2011, wobei die Daten der Jahre 2004 bis 2007 hauptsächlich zur Konstruktion von Familienbeziehungen aus den administrativen Daten dienen. Für Personen unter 25 Jahren konnten Geschwisterbeziehungen fast zur Gänze im Datensatz abgebildet werden, für 25- bis 29-Jährige zu etwa 75%. Für die Untersuchung stand uns damit ein einzigartiger, großer administrativer Datensatz mit über 900.000 Beobachtungen zu Geschwistern im Alter zwischen 15 und 39 Jahren zur Verfügung.
Die Bildungskorrelationen wurden für formale Bildungsabschlüsse, wie sie im Jahr 2011 in den Daten dokumentiert wurden, berechnet; die Einkommenskorrelationen basieren auf den Bruttoeinkommen der Jahre 2007 bis 2012. Da von den jüngeren Personen im Datensatz viele ihren höchsten formalen Schulabschluss vermutlich noch nicht erreicht haben, und typischerweise noch über kein eigenes Einkommen verfügen, berechneten wir die Geschwisterkorrelation für verschiedene Stichproben, um eine vorsichtige Einschätzung zu geben, wie die Ergebnisse durch unsichere Daten verfälscht werden könnten.
Bildungsabschlüsse von Geschwistern gleichen sich stark
Abbildung 1 zeigt einen deskriptiven Überblick über den Zusammenhang der Bildungsabschlüsse von Geschwistern, die im Jahr 2011 bereits erwerbstätig waren. Für diese Darstellung wurde der höchste formale Bildungsabschluss auf vier Kategorien zusammengefasst und die Größe der Rechtecke gibt die Wichtigkeit dieser Kategorien wider. Das Rechteck mit der größten Fläche gibt an, dass der Bruder oder die Schwester einer Person, die im Jahre 2011 als höchsten Bildungsabschluss einen Lehrabschluss hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls einen Lehrabschluss hat.