Globalisierung und EU machen es transnational tätigen Unternehmen immer leichter, ihre Steuerzahlungen zu reduzieren – oft mit Hilfe nationaler Finanzbehörden. Diesen legalen Steuervermeidungspraktiken hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach dem Lux Leaks-Skandal den Kampf angesagt. Der aktuelle Gesetzesvorschlag geht vielen nicht weit genug – selbst Steuerkommissar Moscovici spricht von einem „ersten Schritt“.
„Doppelter Ire“ hilft bei Herabsetzung der Bemessungsgrundlage
Die Körperschaftsteuer besteuert die Gewinne von Unternehmen. In Österreich liegt der Steuersatz zurzeit bei nominellen 25%, in Irland z.B. bei 12,5%. Multinationale Konzerne umgehen vergleichsweise hohe Körperschaftsteuersätze wie in Österreich mithilfe von Firmenkonstrukten in Niedrigsteuerländern. Um die Bemessungsgrundlage, also die zu besteuernde Gewinne, in „teuren“ Ländern zu reduzieren, verrechnen die Firmenkonstrukte den Unternehmen, die tatsächlich wirtschaftlich tätig sind, überteuerte Lizenzgebühren, Kreditzinsen oder sogar Güter. Die Gewinne werden so aus „Hoch-“ in „Niedrigsteuerländer“, z.B. nach Irland, verschoben („profit shifting“). Um sie steuerschonend über „Steueroasen“ weiter zu den AktionärInnen zu transportieren, kann bzw. konnte – um beim Beispiel Irland zu bleiben – ein zweites irisches Unternehmen genutzt werden, das seinen steuerlichen Wohnsitz z.B. auf den Bermudas hat. Dieses Schema nennt man „double Irish“, es kann durch einen zusätzlichen Geldverschiebungsschritt mit einer niederländischen Briefkastenfirma weiter optimiert werden, da es dort keine Steuern auf Profite aus geistigem Eigentum gibt („Dutch sandwich“). Der „doppelte Ire“ wurde in diesem Jahr – vermutlich auch auf Druck der anderen EU-Staaten, die für die „Rettung“ des Inselstaates viel Geld zur Verfügung stellten – abgeschafft. Bereits bestehende steuerschonende Konstruktionen dürfen aber bis 2020 weiter bestehen bleiben.
Steuervermeidung und hohe Abgabenquote belasten ArbeitnehmerInnen
Legale Praktiken wie der „doppelte Ire“ machten die Grüne Insel bei Firmen wie Apple oder Starbucks als „Standort“ sehr beliebt. Aber auch andere EU-Länder, insbesondere in Osteuropa, leisten sich niedrige Körperschaftsteuern, um Unternehmen anzulocken. Steuerwettbewerb an sich wird von der EU nicht in Frage gestellt, wie Jean-Claude Juncker in seinem Wahlkampf betonte. Durch staatliche Egoismen führt ein solches race to the bottom aber dazu, dass langfristig alle verlieren: Wenn einige Länder ihre Steuern senken, um ihre Standortattraktivität zu erhöhen, werden andere nachziehen. Die sinkenden Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung müssen durch andere Quellen ersetzt werden, um die Staatshaushalte stabil zu halten.
Kommission sieht Transparenz als Problemlösung
Während die EU im Bereich der sogenannten „indirekten Steuern“ schon seit den 1960ern gewisse Harmonisierungen vornimmt (z.B. bei der Mehrwertsteuer), die auch vertraglich explizit vorgesehen sind (Art. 113 AEUV), hinkt die gemeinsame Gesetzgebung bei „direkten Steuern“ wie der Körperschaftsteuer oder der Einkommensteuer nach. Das zähe Ringen um eine gemeinsame Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer (CCCTB) seit 2011 zeigt deutlich, wie sensibel die Materie nach wie vor ist und dass die Mitgliedstaaten nicht gewillt sind, Kompetenzen in diesem Bereich zu vergemeinschaften.
Auf die beschriebenen Steuervermeidungspraktiken mancher Konzerne will die Kommission jetzt reagieren. Der mediale Druck, der im Zuge der Lux Leaks-Affäre auf Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lastet, wird dabei keine unwesentliche Rolle spielen. Whistleblower hatten Dokumente veröffentlicht, die zeigen, dass die luxemburgischen Finanzbehörden Steuervermeidung durch großzügige Vorbescheide („tax rulings“) gezielt förderten. Dabei handelt es sich in der Regel um verbindliche Auskünfte, welche Steuerleistung ein Unternehmen zu zahlen haben wird. In Österreich spielten „rulings“ bis jetzt einer eher geringe Rolle. Im EU-Parlament wurde aufgrund der „geleakten“ Dokumente ein Sonderausschuss eingerichtet, der die Praktiken rund um die Vorbescheide näher beleuchten soll.
Der Ansatz der EU-Behörde ist es, mehr Transparenz bezüglich derartiger „rulings“ zu schaffen. Der Gesetzesentwurf sieht vor, ab 2016 alle verbindlichen Auskünfte der Steuerbehörden mit grenzüberschreitender Wirkung alle drei Monate automatisch zwischen den Mitgliedstaaten (untereinander) und der Kommission auszutauschen. Eine ähnliche Richtlinie, die bereits seit 1977 den Steuerbehörden vorschrieb, „spontan“ Bescheide an jene Länder zu versenden, die von einer „Steuerverkürzung“ betroffen sein könnten, wurde von den Finanzbehörden bisher weitgehend ignoriert. Wenn Mitgliedstaaten wüssten, welche Steuereinnahmen durch aggressive (aber erlaubte) Steuerplanung in andere Länder abfließen, könnten sie adäquat darauf reagieren, so die Argumentation von Pierre Moscovici (EU-Kommissar für Steuer- und Wirtschaftsangelegenheiten, Sozialistische Partei Frankeichs). Der Haken bei dem Vorhaben ist jedoch die vertragliche Grundlage. Da Steuerpolitik nicht zu den vergemeinschafteten Kompetenzen zählt, muss der Entwurf einstimmig im Ministerrat beschlossen werden, das Parlament hat kein Mitspracherecht. Ob das Gesetz am 1.1.2016 tatsächlich in Kraft treten wird, bleibt also abzuwarten.
Wie Reaktionen auf die Kenntnisse unlauterer Steuerpraktiken, aussehen können, zeigen derzeit die britische und die griechische Regierung vor. Trotz ihrer unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen verfolgen beide ähnliche Ideen in dieser Hinsicht: Westminster führte ab 1. April 2015 die „Gewinnverlagerungssteuer“ („diverted profits tax“, auch „Google-Steuer“ genannt) von 25% ein, die für künstlich ins Ausland verschobene Gewinne anfällt. Athen beschloss, Transaktionen griechischer Tochterfirmen aus bestimmten Ländern („Steuerparadiese“) zu besteuern.
Aktueller Stand der Dinge: Maßnahmenpaket bis zum Sommer
Darüber, dass etwas gegen die gängige Praxis der Steuerflucht getan werden muss, scheint überparteilich weitgehende Einigkeit zu bestehen. Auch die G20 und die OECD beschäftigen sich im Rahmen des BEPS-Programms („base erosion and profit shifiting“) mit der effektiven Unternehmensbesteuerung. Der Teufel liegt allerdings, wie so oft, im Konkreten: So wird von der G20/OECD eben nur der freiwillige Ansatz beim Austausch von Steuervorbescheiden vorgeschlagen, der in der EU schon seit 1977 nicht funktioniert hat.
Laut Heinz Zourek, Generaldirektor der Steuersektion der Kommission, wird derzeit an einer länderspezifischen Berichtsflicht gearbeitet, die multinationale Unternehmen dazu verpflichten soll, ihre Steuerleistungen und eventuell andere Unternehmensdaten wie die Anzahl an Beschäftigen offenzulegen. Weiters könnten in Zukunft Unternehmen (und ihre SteuerberaterInnen) dazu gezwungen werden, ihre Steuerkonstrukte der Kommission bekannt zu geben. Auch die gemeinsame Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer (CCCTB) sei weiterhin auf der Agenda. Fiskalpolitisch würde sie eine faire Aufteilung der zu besteuernden Gewinne auf jene Mitgliedstaaten ermöglichen, in denen sie tatsächlich „verdient“ wurden. Der Steuerwettbewerb würde damit „sichtbar“ nur noch über die Steuersätze, und nicht über komplizierte Aspekte der Bemessungsgrundlage, ausgetragen. Eine europaweite Steuerharmonisierung sei dagegen weiter unrealistisch, lediglich im Bereich der Mindeststeuersätze konstatierte Zourek ein gewisses politisches Interesse der Mitgliedstaaten. Ein Maßnahmenpaket der Kommission ist für den Sommer dieses Jahres geplant.
Ein weiteres wichtiges Werkzeug gegen den unlauteren Steuerwettbewerb findet sich übrigens im europäischen Beihilfenrecht. Steuerabkommen von Firmen mit Finanzbehörden können als unerlaubte Staatsbeihilfen gewertet werden, die von der EU-Kommission üblicherweise streng verfolgt werden. Derzeit laufen (unter Beteiligung der AK) Untersuchungen gegen Irland, Luxemburg, die Niederlande und Belgien (in Bezug auf „Steuerdeals“ mit Starbucks, Apple und Fiat).
Freier Kapitalverkehr braucht Kontrolle
Die Frage nach der Besteuerung von Unternehmen gehört sicherlich zu den komplexeren und sehr technischen politischen Materien. Die Europäische Kommission befindet sich dabei in einer unangenehmen Lage: Einerseits verfügt sie in Steuerfragen über wenig Kompetenzen, andererseits wird die gerechtfertigte Forderung an sie gestellt, Fehlentwicklungen, die durch den EU-Binnenmarkt und die Kapitalverkehrsfreiheit hervorgerufen wurden, zu korrigieren.
Ähnlich wie bei der Personenfreizügigkeit, wo die EU negative Folgen wie grenzüberschreitende Kriminalität durch polizeiliche Kooperation ausgleicht, müsste die Union auch beim freien Kapitalverkehr tätig werden. Substantielle behördliche Zusammenarbeit, Datenaustausch, gemeinsame Standards (wie die Bemessungsgrundlage oder Mindeststeuersätze wie sie schon bei der Mehrwertsteuer existieren) und effektiver Druck auf unsolidarische Mitgliedstaaten wären notwendig. Ob die derzeitige Initiativen weitere konkrete Früchte tragen werden, ist nicht absehbar. Deshalb bleibt zu hoffen, dass der öffentliche Druck nicht nachlässt, damit sich die europäischen Marktfreiheiten nicht auch in der Steuerpolitik zu Lasten der ArbeitnehmerInnen auswirken.