Aufgrund der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit verbunden mit der wirtschaftlichen Lage Europas rückt Österreich, aufgrund seiner dualen Ausbildung und einer vergleichsweise niedrigen Jugendarbeitlosigkeit, immer mehr ins Zentrum des Interesses. Wie die Lehrausbildung in Österreich aufgebaut ist und was die Ausbildungsgarantie ist, wollen immer mehr Länder Europas genauer wissen.
Um einen Überblick über die Ausbildungsgarantie für Jugendliche in Österreich zu geben, scheint es sinnvoll, zu Beginn das österreichische Modell der betrieblichen dualen Berufsausbildung kurz zu skizzieren.
Die Ausbildung in einem Lehrberuf steht grundsätzlich allen Jugendlichen offen, die die neunjährige Schulpflicht abgeschlossen haben. Die duale Ausbildung setzt sich aus folgenden zwei Bereichen zusammen:
- Ausbildung im Betrieb
- Berufsschule
Ungefähr 80 Prozent der Lehrzeit verbringt der auszubildende Jugendliche im Betrieb. Diese Zeit dient zur Vermittlung von berufsspezifischen Kenntnissen und Fertigkeiten. Weiterhin verbringt der Jugendliche ungefähr 20 Prozent seiner Lehrzeit in einer Berufsschule, die die Aufgabe hat, fachtheoretisches Grundwissen zu vermitteln und die Allgemeinbildung zu erweitern.
Etwa 40 Prozent der Mädchen und Jungen eines Jahrgangs beginnen nach dem Pflichtschulabschluss eine Lehre. Jugendliche haben die Möglichkeit, aus über 200 gewerblichen, industriellen und dienstleistungsorientierten Lehrberufen zu wählen. Die Dauer der Ausbildung beträgt je nach Lehrberuf zwei, zweieinhalb, dreieinhalb oder vier Jahre.
Lehrlingszahlen in Österreich
Mit Stichtag 31. Dezember 2013 weist die Lehrlingsstatistik der Wirtschaftskammer Österreich eine Gesamtzahl von 120.579 Lehrlingen aus, die in 33.595 Lehrbetrieben ihre Ausbildung absolvieren. Der Anteil der Lehrlinge nach Sparten betrachtet ergibt folgendes Bild: Die meisten Lehrlinge (55,6 Prozent) wurden im Jahr 2013 in der Sparte Gewerbe und Handwerk ausgebildet. 4,1 Prozent der Lehrlinge absolvierten ihre Lehre in der Industrie und 14,9 Prozent im Handel. Vergleicht man die Lehrlingsstatistik von 2013 mit dem Jahr 1980 (194.069 Lehrlinge), dann ist festzustellen, dass seit 1980 mehr als 70.000 Lehrstellen weniger in Österreich zur Verfügung stehen.
Lehre mit Matura
Mit der Berufsmatura oder Berufsreifeprüfung bietet die Lehre auch für den tertiären Bildungsweg ein gutes Fundament. Seit Herbst 2008 besteht in Österreich für alle Lehrlinge die Möglichkeit, die Berufsmatura kostenfrei und parallel zur Lehre zu absolvieren. Die Berufsreifeprüfung (BRP), wie sie im Gesetzestext genannt wird, vermittelt die allgemeine Hochschulreife und berechtigt den/die AbsolventIn damit in Österreich zum Besuch von Universitäten, Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen, Kollegs sowie anderen Ausbildungen auf Postsekundarebene, die eine Reifeprüfung voraussetzen. Im Rahmen der Berufsreifeprüfung müssen vier Teilprüfungen, je eine in Deutsch, Mathematik, einer lebenden Fremdsprache sowie eine Prüfung aus dem Fachbereich entsprechend dem Berufsfeld des Lehrlings absolviert werden.
Die Integrative Berufsausbildung
Im Jahr 2003 wurde in Österreich zudem die gesetzliche Grundlage für eine integrative Berufsausbildung für „benachteiligte Personen mit persönlichen Vermittlungshindernissen“ geschaffen. Dabei handelt es sich insbesondere um Personen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, mit Behinderungen oder anderen sozialen Benachteiligungen, die nicht in eine betriebliche Lehrstelle vermittelt werden können. Diese Ausbildung ist entweder als Lehrausbildung mit verlängerter Lehrzeit gestaltet, oder es werden Teilqualifikationen vermittelt, die den Eintritt in den Arbeitsmarkt ermöglichen, wenn die Erreichung eines Lehrabschlusses nicht möglich ist.
Die Integrative Berufsausbildung wird von einer Berufsausbildungsassistenz begleitet, deren Aufgabe die Begleitung und Unterstützung der Jugendlichen während der Ausbildung beziehungsweise der Schule ist. Ende Dezember 2013 befanden sich 6.152 Lehrlinge in einer integrativen Berufsausbildung. Der überwiegende Teil der Jugendlichen befand sich dabei 2013 zwar in einer Ausbildung im Unternehmen (61 Prozent). Grundsätzlich aber kann eine Integrative Berufsausbildung auch in einer Überbetrieblichen Ausbildungseinrichtung absolviert werden. Rund 76 Prozent der IBA-Lehrlinge absolvierten 2013 die Integrative Berufsausbildung in Form einer Verlängerung der Lehrzeit, 24 Prozent in Form einer Teilqualifizierung.
Die österreichische Ausbildungsgarantie im Rahmen der Überbetrieblichen Berufsausbildung (ÜBA)
Überbetrieblich organisierte Ausbildungsplätze wurden, nachdem die Lehrstellenkrise ihren Höhepunkt erreicht hatte, im Zuge der Implementierung des Auffangnetzes für erfolglos Lehrstellen-Suchende Jugendliche erstmals 1998 auf bundesweit einheitlicher Rechtsbasis zur Verfügung gestellt: Im Zuge des Nationalen Aktionsplans für Beschäftigung (NAP) waren zunächst das Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz (JASG) beschlossen und eine überbetriebliche Form der dualen Ausbildung eingerichtet worden.
Mit der Novelle des Berufsausbildungsgesetzes (BAG) 2008 wurde dann die aktuelle, neue gesetzliche Grundlage für die Lehrausbildung außerhalb von Betrieben geschaffen: Per 1.1.2009 gelten die spezifischen Maßnahmen des so genannten Arbeitsmarktservice im Rahmen der überbetrieblichen Lehrausbildung (§30b BAG). Ergänzend zum weiterhin prioritären betrieblichen Lehrstellenangebot wurde nunmehr die überbetriebliche Berufsausbildung als regulärer Bestandteil der dualen Berufsausbildung etabliert und als Element der Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis 18 Jahre ausgebaut.
Aktuell ist grundsätzlich zwischen zwei Modellen der ÜBA zu unterscheiden. Beiden Modellen gemeinsam ist die Zielsetzung, Jugendliche in ein betriebliches Lehrverhältnis zu vermitteln. Allerdings stellt das eine Modell (ÜBA 1) ein Lehrgangsmodell dar, das die Absolvierung der gesamten Lehrausbildung in einer überbetrieblichen Ausbildungseinrichtung mit Praxisphasen in Betrieben und ggf. in Kooperation mit einer betrieblichen Lehrwerkstätte ermöglicht. Die Ausbildung in der ÜBA 2 erfolgt dagegen in Kooperation mit Praxisbetrieben und auf Basis von Ausbildungsverträgen, die nicht die gesamte Lehrzeit umfassen müssen.
Der reguläre Abschluss einer Maßnahme erfolgt mit der Vermittlung auf eine betriebliche Lehrstelle oder mit einer regulären Lehrabschlussprüfung. Der begleitende Besuch der Berufsschule ist verpflichtend. TeilnehmerInnen erhalten eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe der Deckung des Lebensunterhalts. Diese beträgt für Jugendliche im ersten und zweiten Lehrjahr 294 Euro sowie ab dem dritten Lehrjahr 679,5 Euro. Die TeilnehmerInnen gelten als Lehrlinge im Sinne des ASVG (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung).
Das Lehrgangs-Modell ÜBA 1 (Ausbildungsvertrag über die gesamte Lehrzeit)
Bei den meisten ÜBA 1 Lehrgängen sind gewisse Vorschaltmaßnahmen integrierter Bestandteil der Maßnahme. Diese dauern, abhängig vom jeweiligen Bundesland, zwischen einer Woche und zwei Monaten. So wurde in Wien die Berufsorientierungs- und Coachingmaßnahme (kurz BOCO-Maßnahme) in der Dauer von acht Wochen installiert. Aufgabe der BOCO-Maßnahme ist es, im Hinblick auf die geplante Berufsausbildung die Berufswünsche der TeilnehmerInnen zu eruieren und die persönlichen und intellektuellen Voraussetzungen für die Berufsausbildung zu schaffen. Die Inhalte der Maßnahme werden in vier Gruppen aufgeteilt (Einführung und Clearing, Berufsorientierung und Zielfindung, Vorbereitungsphase auf die Lehrausbildung und Zusatzmodule).
Grundsätzlich besteht die Aufgabe der vier Phasen darin, dass Jugendliche über den Ablauf der Maßnahme informiert werden und dass mit ihnen ein realistischer Berufswunsch anhand ihrer Fähigkeiten erarbeitet wird. Neben einem intensiven Bewerbungstraining werden die Jugendlichen auch über mögliche Ausbildungswege informiert. Begleitet wird die BOCO-Maßnahme im Besonderen von mädchenspezifischen Unterstützungsmaßnahmen.
Betriebliches Praktikum
Prinzipiell haben Praktika die primäre Aufgabe, Jugendliche in betriebliche Arbeitsabläufe zu bringen und sie regulären Arbeitsbedingungen auszusetzen, beziehungsweise sie an den jeweiligen Praktikumsbetrieb weiterzuvermitteln. Die Dauer der Praktika wird abhängig von der Leistungsbeschreibung der jeweiligen Berufsgruppen des Arbeitsmarkservice festgelegt und variiert von Bundesland zu Bundesland.
Als Beispiel sei hier die Leistungsbeschreibung der Lehrausbildung in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen für die Berufsgruppen Metalltechnik und Maschinenbau angeführt, die ein facheinschlägiges betriebliches Praktikum vorsieht. Dieses muss im Ausmaß von mindestens vier bis maximal zwölf Wochen im ersten Lehrjahr und zwölf bis maximal 16 Wochen sowohl im zweiten als auch im dritten Lehrjahr in einem oder mehreren Betrieben, in dem die Lehrlingsausbildung nicht von den sonstigen betrieblichen Abläufen getrennt ist, absolviert werden.
Das Praxisbetriebs-Modell ÜBA 2 (Ausbildungsvertrag kürzer als die Lehrzeit)
Ziel des Modells ÜBA 2 ist es, Jugendliche bis zu zwölf Monate lang in einem Lehrberuf in Kooperation mit Praxisbetrieben auszubilden und anschließend unter Anrechnung der Ausbildungszeit auf die Lehrzeit in einen Betrieb weiterzuvermitteln. Prinzipiell ist die ÜBA 2 in drei Bausteine aufgeteilt, wovon die Ausbildung im Praktikumsbetrieb den zentralen Baustein darstellt. Die Jugendlichen werden speziell auf das Vorstellungsgespräch im Praxisbetrieb vorbereitet und erhalten ein spezielles Bewerbungstraining.
Ein weiterer Baustein ist die Vorbereitung des Besuchs der Berufsschule, der unter anderem mit dem Praktikumsbetrieb koordiniert wird. Als dritter Bereich ist die Ausbildung beim Bildungsträger vorgesehen, der mindestens 20 Prozent der gesamten Ausbildungszeit umfassen soll. Dieses Element dient zur Begleitung des Jugendlichen und hat eine wichtige stabilisierende Funktion für den Jugendlichen. Hier werden eine Reihe von Aktivitäten angeboten, die Jugendlichen unter anderem Förderunterricht bei Defiziten in der Berufsschule sowie fachliche Nachschulungen zur Verfügung stellen.
Die Überbetriebliche Ausbildung in Zahlen
Die Zahl der TeilnehmerInnen an überbetrieblichen Ausbildungsmaßnahmen im Ausbildungsjahr 2013/2014 betrug insgesamt 11.329 Personen. Darunter waren 9.183 TeilnehmerInnen in einer überbetrieblichen Lehrausbildung in einem der genannten Modelle (ÜBA1+ÜBA2) sowie 2.332 TeilnehmerInnen in einer integrativen Berufsausbildung in einer Ausbildungseinrichtung. Betrachtet man die TeilnehmerInnen in überbetrieblichen Ausbildungen nach dem Geschlecht und der Staatsbürgerschaft stellt sich heraus, dass sowohl der Frauenanteil (41,7 Prozent) als auch der Anteil nichtösterreichischer StaatsbürgerInnen (20,3 Prozent) höher als in der Lehrausbildung ist (34,2 Prozent Frauenanteil und 8,7 Prozent nichtösterreichische StaatsbürgerInnen).
Besonders stark wird die Überbetriebliche Lehrausbildung in den Bundesländern Wien und Niederösterreich angeboten. Im Ausbildungsjahr 2013/14 waren rund 29 Prozent der österreichweiten TeilnehmerInnen aus Wien und rund 28 Prozent aus Niederösterreich. Seitens des Arbeitsmarktservice werden pro Ausbildungsjahr circa 150 Millionen Euro für die Überbetriebliche Ausbildung zur Verfügung gestellt.
Einschätzung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
Die Umsetzung der Überbetrieblichen Lehrausbildung war und ist ein wichtiger Schritt für Jugendliche, die nicht am ersten Lehrstellenmarkt eine Lehrstelle finden, trotzdem eine Ausbildung absolvieren zu können. Der Österreichische Gewerkschaftsbund war an der Entwicklung dieses Modells beteiligt und ist davon überzeugt, dass diese Maßnahme mitunter ein Grund für die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Österreich ist.
Oberste Priorität muss aber aus Sicht des Österreichischen Gewerkschaftsbundes sein, Jugendliche nicht in eine überbetriebliche Maßnahme zu vermitteln, sondern den Jugendlichen eine Ausbildung in einem Betrieb zu ermöglichen. Daher darf die überbetriebliche Ausbildung nicht als Ersatz oder Konkurrenz zur betrieblichen Ausbildung angesehen werden, sondern lediglich als „Alternative“ für Jugendliche, die keine Lehrstelle finden.
Problematisch ist, wenn die Ausbildungsbereitschaft von Firmen sinkt, da die Jugendlichen in der Überbetrieblichen Ausbildung eine komplette, qualitativ hochwertige Lehrausbildung absolvieren können und dann erst später vom Betrieb angeworben werden. Die Kosten der Lehrausbildung werden somit auf den Staat umgewälzt. Der Österreichische Gewerkschaftsbund bevorzugt das Lehrgangs-Modell (ÜBA 1) aufgrund der Möglichkeit, die Jugendlichen durchgehend bis hin zur Lehrabschlussprüfung zu begleiten, gegenüber dem Praxisbetriebs-Modell (ÜBA 2).
Unverständlich ist es aus Sicht des ÖGB, dass in Österreich von einem Fachkräftemangel gesprochen wird, sich aber ungefähr 10.000 Jugendliche, die sofort bereit wären, eine betriebliche Lehrstelle anzunehmen, in einer überbetrieblichen Ausbildung befinden.
Die Forderung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes nach einer „Fachkräftemilliarde“, die sich mit der Förderung von Aus- und Weiterbildung von Jugendlichen auseinandersetzt, besagt, dass die Kosten der überbetrieblichen Ausbildung in der Höhe von circa 150 Millionen Euro aus einem eigenen Topf bezahlt werden soll, in den die Unternehmer ein Prozent der Bruttolohnsumme einzahlen. Dies würde der Gefahr der Senkung der Ausbildungsbereitschaft sowie der Verlagerung der Ausbildungskosten von den Unternehmen zum Staat entgegenwirken.