Die Beschlussfassung über die Gründung eines einheitlichen überparteilichen Gewerkschaftsbundes am 15. April 1945 fand noch vor der „Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs“ der provisorischen österreichischen Staatsregierung unter Staatskanzler Karl Renner am 27. April 1945 statt.
Erste Gespräche
Am 7. April 1945 drangen die sowjetischen Truppen von Süden und Westen in das Stadtgebiet von Wien vor. Am Mariahilfer Gürtel leisteten SS – Verbände erbitterten Widerstand. Wie der Baugewerkschafter Josef Battisti berichtete, traf er sich mit seinen Kollegen der ehemaligen Freien Gewerkschaften in den Vormittagsstunden des 11. April in seiner Wohnung in der Kenyongasse 3. Die Baugewerkschafter Johann Böhm, Anton Vitzthum und der Holzarbeitergewerkschafter Franz Pfeffer sondierten mit Battisti die sich aus dem Vormarsch der sowjetischen Truppen ergebende Lage. Die Befreiung Wiens schien unmittelbar bevorzustehen. Nun galt es, die Pläne für eine Rekonstruktion der Gewerkschaftsbewegung in Angriff zu nehmen. Jedenfalls vereinbarte man für den nächsten Tag ein erneutes Treffen. Wiederum wurde beschlossen sich in einem größeren Kreis über das Vorhaben zu besprechen. Wie Battisti später Adolf Schärf berichtete, erfuhren bei der Weiterleitung der Einladung der kommunistische Lederarbeiter Gottlieb Fiala und der frühere Obmann der christlichen Eisenbahner Franz Haider von dem Treffen und kamen am 13. April ebenfalls in die Kanyongasse. Dies wurde von Johann Böhm zum Anlass genommen, die bereits in den vorangegangenen Gesprächen ventilierte Gründung eines unabhängigen, überparteilichen Gewerkschaftsbundes vorzuschlagen, was denn auch einstimmig beschlossen wurde. Am folgenden Tag wurde der Entwurf eines Statutes des „Österreichischen Gewerkschaftsbundes“ zur Vorbereitung einer für den 15. April angesetzten „Plenartagung der österreichischen Gewerkschaften“ ausgearbeitet.
Versammlung am Westbahnhof
An der Plenarversammlung im Direktionsgebäude des Westbahnhofes am 15. April 1945 nahmen 33 Gewerkschafter teil, davon waren sechs der ÖVP und fünf der KPÖ zuzuordnen. Nach der Eröffnung brachte Lois Weinberger den Anwesenden zur Kenntnis, dass er zum „Führer der christlichen Fraktion“ bestimmt worden war. Nachdem der vereinbarte Statutenentwurf einstimmig angenommen worden war, wurde Johann Böhm als Vorsitzender des ÖGB vorgeschlagen, was sowohl von Lois Weinberger wie auch von Leopold Luhan, der von den Sowjets eingesetzte kommunistische „Bezirksbürgermeister“ von Penzing, zustimmend zur Kenntnis genommen wurde, womit eine Abstimmung entfiel. Nachdem sich am 27. April 1945 die provisorische Regierung Karl Renner, bestehend aus Vertretern der KPÖ, SPÖ, ÖVP sowie Parteilosen, gebildet hatte, und der ÖGB am 30. April von der sowjetischen Militärkommandantur die formale Genehmigung erhalten hatte ging es den Wiener Gewerkschaftern vorerst darum, endlich Kontakt zu den KollegInnen aus den Bundesländern aufzunehmen. Nahezu in jedem Bundesland hatten sich im Laufe des Mai 1945 GewerkschafterInnen zusammengefunden und – vielfach unabhängig von Wien – versucht Grundstrukturen einer einheitlichen überparteilichen Organisation zu schaffen. Allein die notwendige Genehmigung durch die Besatzungsmächte ließ vielerorts auf sich warten und die Verbindungen zwischen den Zonengrenzen konnten erst im Laufe des Frühsommer mühsam hergestellt werden.
Der Wille aller drei „Gründungsfraktionen“
Es war der Wille aller drei „Gründungsfraktionen“, mit dem ÖGB eine einheitliche Organisation zu schaffen, die alle Arbeiter und Angestellten zu umfassen hat. Nach den Erfahrungen der Ersten Republik und in Weitsicht wurde die Gründung von parteigebundenen Richtungsgewerkschaften sowie auch die Etablierung von sich allenfalls bekämpfenden Spartengewerkschaften vermieden. Damals wie heute und in Zukunft gilt, dass nur ein politisch einheitliches Auftreten der ArbeiterInnenschaft die Durchsetzung von ArbeitnehmerInnen-Interessen garantiert.
“70 Jahre Kampf für Gerechtigkeit” lautet der Titel der aktuellen Arbeit & Wirtschaft (3/2015)
Sie widmet sich ausführlich den ersten 70 Jahren des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und zeigt die aktuellen Herausforderungen auf!