Durch Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Bildung blicken wir mit einer speziellen Brille auf den schulischen Ökonomieunterricht. Bei der ArbeiterInnenbewegung spielte der Bildungsauftrag historisch eine wesentliche Rolle – sie entstand vorwiegend aus Arbeiterbildungsvereinen. Heute soll gewerkschaftliche Bildungsarbeit ein Bewusstsein schaffen: Problemlagen mit denen BetriebsrätInnen bei ihrer täglichen Arbeit in den Unternehmen konfrontiert sind, sollen als Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Gegensätze verstanden werden. Gewerkschaftliche Erwachsenenbildung soll Verbindungen zwischen beruflicher Fachbildung und Allgemeinbildung herstellen. Gleichzeitig soll eine unabhängige Position gegenüber bürgerlichen Bildungseinrichtungen eingenommen werden. Klarerweise muss die ökonomische Bildungsarbeit in der Schule andere Anforderungen erfüllen. Einige Aspekte und Erfahrungen aus der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung können aber auch auf den Schulunterricht angewandt werden.
Denn das kritische Beurteilen von sozialen, politischen und eben ökonomischen Zusammenhängen sowie die Auseinandersetzung mit künftigen Entwicklungen und Herausforderungen sind aus unserer Sicht zentrale Aufgaben (schulischer) Ausbildung in demokratischen politischen Systemen:
1. Interdisziplinarität und sozialwissenschaftlicher Zugang
Eine der Aufgaben ökonomischer Bildungsarbeit ist die Vermittlung der Komplexität bei gleichzeitiger Gestaltbarkeit der Welt. Dies ist ein heikles und zugleich schwieriges Unterfangen: Komplexe Zusammenhänge sollen leicht begreifbar gemacht werden. Auch muss gezeigt werden, dass Volkswirtschaftslehre mehr darstellt, als eine für sich selbst stehende und von anderen Einflüssen unabhängige Disziplin.
In den vergangenen Jahrzehnten prägten ökonomische Denkweisen immer mehr Lebensbereiche, die effizienter gemacht werden sollten. Dies gaukelt vor, dass Ökonomie ein Selbstzweck ist, an deren Ziele sich Gesellschaft und Politik anzupassen haben. Tatsächlich ist Ökonomie nur ein Mittel zum Zweck für die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse. Diese Änderung des Blickwinkels soll begreifbar machen, dass auch aktuell Wirtschaft keine „objektive Expertokratie“ darstellt, sondern ein demokratisches Spielfeld unterschiedlicher Akteure, Interessen und Handlungsoptionen ist. Daher sind Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten von großer Bedeutung.
Das neoliberale und neoklassische Verständnis hingegen orientiert sich an einem quasi-naturwissenschaftlichen Weltbild, das den Einfluss der Sozialwissenschaft nicht anerkennt. Um gegen ein solches neoliberales Verständnis der Wirtschaftslehre vorzugehen, braucht es einen problembasierten und multiperspektivischen Blick auf die gesellschaftlichen Phänomene. Wirtschaftliche Zusammenhänge müssen interdisziplinär diskutiert werden.
2. Anknüpfung an Alltagswelt und Lebensrealität der SchülerInnen
Eine wichtige Aufgabe ökonomischer Bildung muss das Anknüpfen an das Alltagswissen der SchülerInnen sein. Die Auswahl der Themenfelder soll sich an aktuellen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Phänomenen und Krisendimensionen orientieren. So kann gezeigt werden, dass Volkswirtschaftslehre das Alltagsleben der SchülerInnen stark beeinflusst: Sie kann und soll Antworten auf drängende gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen wie Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit oder Flüchtlingskrisen liefern. SchülerInnen können so an ihren Vorerfahrungen anknüpfen, sich als kompetent wahrnehmen und neues Wissen im Alltag verankern. Ein gelungenes Beispiel aus der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit sind simulierte ökonomische Planspiele. So führt etwa die Arbeiterkammer bereits seit 1998 Workshops mit Schülern und Schülerinnen sowie BetriebsrätInnen durch.
Die Komplexität der Probleme führt tendenziell zu einer Überforderung, sowohl von „normalen Menschen“ als auch von politischen und ökonomischen Eliten. Umso wichtiger ist es den SchülerInnen das geeignete Handwerkszeug mitzugeben, die Ursachen und Zusammenhänge dieser Probleme zu verstehen und in der Folge Lösungsansätze „denken zu können“. Eine Orientierung an Alltags- und Lebensrealitäten der SchülerInnen ist auch aus einem anderen Blickwinkel notwendig: Es besteht sonst die Gefahr, dass AkteurInnen mit Eigeninteresse sich um die Schüler und Schülerinnen „kümmern“. So haben in der Vergangenheit etwa immer wieder Banken und Versicherungen Einfluss auf die finanzielle Bildung in den Schulen genommen.
3. Die Volkswirtschaftslehre als vielfältige Disziplin
Die Produktions- und Lebensverhältnisse sind von Menschen gemacht und je nach Macht- und Interessenslage gestaltbar. Um dafür ein Verständnis zu entwickeln, braucht es einen umfassenden und vielfältigen Zugang zur Volkswirtschaftslehre. In der Wissenschaft gibt es nicht nur ein einziges Paradigma – verstanden als grundsätzlicher Zugang zur Welt. In vielen Wissenschaften wird es als normal erachtet, dass mehrere Paradigmen gleichzeitig als Zugang verwendet werden. Gerade in der Ökonomie kann nicht ein einziges Paradigma der Komplexität gerecht werden und alle Fragen ausreichend und bestmöglich erklären. Soziale und ökonomische Phänomene haben meist mehrere Ursachen und vielfältige Folgen. Wie in anderen Wissenschaften üblich, sollten daher je nach Fragestellung passende und alternative Erklärungsmodelle verwendet werden.
So können bei Themen wie Arbeitslosigkeit, Einkommens- und Vermögensungleichheit, Inflation, Finanzmärkte, Freihandel usw. jeweils die unterschiedlichen ökonomischen Erklärungsansätze einander gegenübergestellt werden. Dabei sollten die verschiedenen Theorien und Ursachen für Arbeitslosigkeit herausgearbeitet werden: Zu hohe Löhne durch zu hohe Verhandlungsmacht der Beschäftigten (Neoklassik) oder zu geringe Nachfrage nach Gütern (Keynesianismus). Folgerichtig werden von den genannten Theorien dann auch ganz unterschiedliche politische Maßnahmen gefordert: Lohnsenkung (Neoklassik) oder Nachfragesteigerung (Keynesianismus).
Die Forderung nach alternativen ökonomischen Zugängen soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese vom neoliberalen Mainstream weitgehenst ignoriert werden. Gerade seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wird Kritik an dieser Vorherrschaft geübt: Die Neoklassik hat die Krise nicht vorhergesagt, sondern ihr mit Vertrauen auf die Selbstregulierungskräfte von (Finanz-)Märkten sogar den Weg bereitet. Das derzeit vorherrschende Paradigma muss daher in einen vielfältigen Diskurs integriert werden ohne zugleich dessen dominante Stellung zu festigen. Sowohl die geforderte Interdisziplinarität als auch die Anknüpfung am Alltagswissen der SchülerInnen sind dabei essentielle Schritte.
Dieser Beitrag ist eine Kurzfassung des Papers: Hinterseer, T./Preisig, F./Schmidt, M. (2016). Eckpunkte für die ökonomische Bildung im schulischen Kontext – Gemeinsamkeiten zwischen schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit im Bereich der ökonomischen Bildung, GW-Unterricht, 142/143, S. 192-196