Zwei Mal Geringfügig und ein Praktikum bitte … die selbstgemachte Vertrauenskrise

28. Mai 2018

Der arbeits- und sozialrechtliche Status ist von zentraler Bedeutung, da daran wesentliche Fragen der sozialen Absicherung geknüpft sind. In der Pensionsversicherung wirken sich insbesondere im Pensionskonto mit der lebenslangen Durchrechnung geringe Einkünfte negativ auf die künftige Pensionshöhe aus. Daher werden Maßnahmen gegen diese Praktiken des systematischen Sozialdumpings immer wichtiger. Je enger die Koppelung der individuellen Pensionsansprüche an den gesamten Erwerbsverlauf, desto gravierender die Auswirkungen eines späten Eintritts in ein vollversichertes Beschäftigungsverhältnis, unbezahlter oder unterbezahlter Beschäftigungen und lückenhafter Erwerbskarrieren.

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse – das leere Versprechen Praktikum?

„Gesucht wird StudienabsolventIn mit Praxiserfahrung für unbezahltes Vollzeit-Praktikum.“

Inserate wie dieses sind charakteristisch für die Arbeitsbedingungen junger Beschäftigter.

Das Arbeitsrecht kennt den Begriff des Praktikums nicht. Die Bezeichnung dient leider wiederholt dazu, Entgeltansprüche zu schmälern.

Immer wieder kommt es vor, dass echte Arbeitsverhältnisse vorliegen, die fälschlicherweise als Volontariat oder Praktikum bezeichnet werden. In diesen Fällen werden also „Praktika“ dazu verwendet, Personalengpässe weitaus günstiger auszugleichen als durch voll abgesicherte (befristete) Arbeitsverhältnisse. Diese (allenfalls unterbezahlten) Praktika haben auch den Nachteil, dass kaum oder keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet werden. Diese Tendenzen von Lohn- und Sozialdumping, denen junge Menschen am Arbeitsmarkt begegnen, führen nicht nur unmittelbar zu prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen, sondern haben auch langfristige Folgen für die soziale Absicherung im Alter, da keine Versicherungszeiten für die Pension gesammelt werden. Damit verbunden sind Herausforderungen bei der Sicherstellung der Finanzierung des Sozialstaates. Die Ausweitung von prekärer Beschäftigung und die Abnahme durchgängiger Erwerbsbiografien können beitragsfinanzierte Sozialversicherungssysteme langfristig unterlaufen.

Junge Beschäftigte finden sich damit bereits mit Eintritt in das Berufsleben in einer Situation, in der der Wert ihrer Arbeit infrage gestellt wird, in der arbeits- und sozialrechtliche Standards nicht selbstverständlich sind, sondern deren Umgehung zur Bedingung für den Job wird. Die Hoffnung auf die große Chance, auf den Traumjob mit dem Traumgehalt, ersetzt die monetäre Anerkennung. Wo die Fremdausbeutung endet, beginnt die Selbstausbeutung. Was zählt ist das „persönliche Engagement“, länger bleiben als die KollegInnen, alle Tätigkeiten prompt erledigen, mögen sie auch noch so weit vom eigentlichen Aufgabengebiet entfernt sein.

Je unsicherer die (Rechts-)Lage, desto schwerer fällt es den Betroffenen, nicht zuletzt aufgrund des typischerweise vorliegenden Verhandlungsungleichgewichts, sich gegen diese Bedingungen zu wehren. Umso wichtiger ist es, die soziale Absicherung junger Erwerbstätiger durch eine entsprechend konsequente Anwendung bestehender rechtlicher Regelungen zu erhalten und auszubauen. ÖGB und AK bieten Beratung und Rechtsschutz für junge Erwerbstätige.

Mythos Geringfügigkeit

Der zweite „Beschäftigungstrend“ während des Studiums oder zum Berufseinstieg ist die geringfügige Beschäftigung. Für manche sind geringfügige Jobs die einzig verfügbaren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil diese Form der Beschäftigung für ArbeitgeberInnen den Vorteil geringerer Beitragszahlungen zur Sozialversicherung bringt (auf die Dienstnehmerabgabe wird hier nicht näher eingegangen) und für DienstnehmerInnen den vermeintlichen Vorteil eines höheren Nettoeinkommens.

Was mangels Alternativen notwendig oder kurzfristig sogar erstrebenswert erscheinen mag – keine Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, um ein höheres Nettogehalt ausbezahlt zu bekommen –, entpuppt sich in vielen Fällen als ungünstigste Lösung für die Beschäftigten.

Geringfügige Jobs sind weder kranken- noch pensions- oder arbeitslosenversicherungspflichtig. Junge Beschäftigte fallen dadurch um wichtige Pensionsmonate um (eine Möglichkeit bietet allenfalls die Selbstversicherung nach § 19a ASVG). Für eine angemessene soziale Absicherung und Altersvorsorge sind derart geringe Einkommen jedenfalls nicht ausreichend.

Reicht ein Job nicht aus, werden zwei oder mehrere (geringfügige) Beschäftigungsverhältnisse parallel ausgeübt. Die einzelnen DienstgeberInnen trifft keine Beitragspflicht für Kranken- und Pensionsversicherung. Die Beiträge leisten ausschließlich die DienstnehmerInnen, wenn sie in einem Monat die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Arbeitslosenversichert ist man in dieser Zeit überhaupt nicht. Fatal – wenn später die erforderlichen Anwartschaftszeiten für den Anspruch auf Arbeitslosengeld fehlen.

Die selbstgemachte Vertrauenskrise

Die verbreitete Praxis, schon zu Beginn des Erwerbslebens Vertragskonstrukte zu wählen, die die Sozialversicherungspflicht umgehen, ist auch Nährboden für eine zunehmende Unsicherheit über die eigene künftige soziale Absicherung.

Genährt wird diese Unsicherheit nicht zuletzt durch stetige neoliberale Rufe der Unfinanzierbarkeit des Pensionssystems und (bewusste?) Panikmache. Die vermeintliche Alternative der privaten Vorsorge in Form von Verträgen mit privaten Versicherungsunternehmen und Banken gewinnt immer mehr an Bedeutung innerhalb der Kontroversen zur Finanzierbarkeit des Pensionssystems.

Das Bedürfnis nach einem angemessenen Lebensstandard macht damit die privaten Versicherungsanstalten und Banken zu wirtschaftlichen Nutznießern der selbst verursachten Vertrauenskrise.

Eine individuelle private Altersvorsorge kann für prekär Beschäftigte bei derart geringen Einkommen keine ernstgemeinte Lösung sein (vgl. dazu https://privatpensionsrechner.arbeiterkammer.at/).

Daher braucht es ein klares Bekenntnis zum Umlagesystem und Rahmenbedingungen für adäquate Entlohnung und durchgehende soziale Absicherung und eine entsprechend konsequente Anwendung sozial- und arbeitsrechtlicher Regelungen, um der Ausbreitung prekärer Arbeitsformen entgegenzusteuern, sodass junge Erwerbstätige im solidarischen System sozialer Absicherung eine echte Perspektive für eine Pension sehen, die ihren Lebensstandard sichert.