Wozu braucht die Eurozone ein europäisches Finanzministerium?

02. Januar 2018

Die EU-Kommission bleibt mit ihrem Vorschlag zur Reform der Eurozone hinter den Erwartungen und Vorschlägen des französischen Präsidenten Macron zurück. Der unsägliche Eurorettungsschirm ESM soll ausgebaut werden, anstatt dass der Euro endlich normalisiert wird. Dabei könnte ein europäisches Finanzministerium der Eurozone zu Stabilität und Wachstum verhelfen, die dem gleichnamigen Pakt abgehen.

Der neue Vorschlag der EU-Kommission, den Euro zu komplettieren und damit die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden, ist kein großer Wurf geworden. Immerhin: Auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussieht, hat die EU zehn Jahre nach der „subprime crisis“ in den USA nun endlich einen Weg eingeschlagen, der nicht auf Privatisierungen, Steuererleichterungen, Lohnsenkungen und Rückbau des Wohlfahrtsstaates basiert. Die neoliberale Phase der EU scheint sich dem Ende zuzuneigen, wie auch schon einige Personalentscheidungen der jüngeren Vergangenheit andeuteten. So wurde Wolfgang Schäuble direkt nach der Bundestagswahl 2017 und ohne jede große Not aus dem deutschen Finanzministerium entfernt und der scheidende Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem der niederländischen 5%-Partei der Arbeiter durch den Finanzminister der Linksregierung Portugals ersetzt, die mit einem Anti-Austeritätskurs die Wahlen gewann und das Land wieder auf Wachstumskurs brachte.

In diesem kurzen Artikel möchte ich erläutern, warum neben der Rückkehr zu nationalen Währungen ein europäisches Finanzministerium die einzige Option für ein wirtschaftspolitisches Modell ist, welches nicht mit steigender Ungleichheit einhergehen muss. Die folgenden Ausführungen basieren weitestgehend auf meinem Buch „Geld und Kredit: eine €-päische Perspektive“, welches letztes Jahr in einer zweiten Auflage erschienen ist (hier und hier). Eine kurze Zusammenfassung ist zuletzt bei der Berliner Debatte erschienen. Zentrales Thema dabei ist die Rolle der Staatsausgaben.

Sparpolitik führt tiefer in die Krise

Wenn wir die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 in Europa kurz skizzieren wollen, dann handelt es sich im Wesentlichen um zwei Immobilienblasen in Irland und Spanien, die infolge des Platzens der US-Immobilienblase ebenfalls geplatzt sind. Das durch sinkende Hauspreise ausgelöste Einbrechen der Bauinvestitionen schlug auf den Rest der Wirtschaft durch, da die in großen Teilen arbeitslos gewordenen Bauarbeiter nicht mehr konsumierten und auch ihre Kredite teilweise nicht mehr tilgen konnten. Als Nebeneffekt brachen die Steuereinnahmen weg, was zu höheren Defiziten führte. Nach dem fiskalischen Impuls – also eine Erhöhung der Staatsausgaben – von 2009 kam dann aber die wirtschaftspolitische Wende von 2010, als mit den aufkommenden Problemen in Griechenland auf Austeritätspolitik umgestellt wurde. EU-Kommission, EZB und IWF haben die Austeritätspolitik recht autoritär aufgezwungen und dabei viel europäisches Porzellan zerbrochen. Dies und die unnötige Zinserhöhung der EZB, noch unter J.-C. Trichet, führte die Eurozone zurück in die Rezession von 2012/13. Erst die Zinssenkungen und Versprechen von Mario Draghi, dem Nachfolger von Trichet, zusammen mit der Abkehr von der Austeritätspolitik führten die Eurozone wieder zu mehr Wachstum. Da der Konjunkturzyklus mit seinen Rezessionen aber auch in Zukunft eine Bedrohung für die gesamtwirtschaftliche Stabilität darstellt, ist damit zu rechnen, dass bei Anbruch der nächsten Rezession in vielen Ländern Europas die Arbeitslosigkeit immer noch relativ hoch sein wird. Dies ist keine angenehme Aussicht für die EuropäerInnen.

Wenn also die Arbeitslosigkeit in der Eurozone strukturell zu hoch ist, wie können wir sie reduzieren? Die Antwort auf diese Frage ist einfach, wenn man sich an die Zeit vor dem Euro zurückerinnert. Entweder kurbelt die Zentralbank die privaten Investitionen durch Zinssenkungen an oder die Regierung erhöht die Staatsausgaben. Die EZB hat aber schon einen Nullzins und die nationalen Regierungen sind durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt beschränkt, sofern nicht schon die Schuldenbremsen greifen. Woher kommen dann die staatlichen Ausgaben für die Beschäftigungsprogramme der Eurozone? Das Budget der EU ist zu klein, mit 134,5 Mrd. Euro liegt es bei etwa einem Prozent des BIPs der EU. Bill Mitchell hat in seinem Buch kenntnisreich beschrieben, dass der Euro über lange Zeit auch ein Finanzministerium haben sollte und nicht nur eine Zentralbank. Der Vorschlag eines europäischen Finanzministeriums für die gemeinsame Währungszone ist also nicht neu.

Wie werden Staatsausgaben finanziert?

Woher soll das Geld dafür kommen?“, fragt sich nun die SZ. Die Antwort ist sehr einfach. Der Staat ist der Schöpfer des Geldes, daher wird er das benötigte Geld einfach erzeugen. Dies macht er bereits in der Eurozone, wo die nationalen Regierungen im Zusammenspiel mit den Banken Einlagen bei der EZB erzeugen, damit die Staatsausgaben getätigt werden können. Auch auf europäischer Ebene ist so etwas möglich, wobei der genaue Mechanismus noch diskutiert werden sollte. Der Umweg über private Banken und die Gefahr von insolventen nationalen Regierungen haben uns Europäern und Europäerinnen in der Krise nicht unbedingt weitergeholfen. Ein kurzes Gedankenexperiment soll etwas Intuition vermitteln, warum der Staat keine schwäbische Hausfrau ist und deshalb nicht sparen muss, um später (mehr) Geld ausgeben zu können.

Angenommen, wir haben eine Familie mit zwei schon etwas älteren Kindern. Die Eltern möchten gerne, dass die Kinder etwas Hausarbeit machen und die Kinder sehen das ein, wollen aber eher weniger als mehr leisten. Also muss ein Kompromiss gefunden werden. Die Eltern kommen auf folgende Idee. Sie zwingen die Kinder, am Ende jedes Monats vier Taler an Steuern zu bezahlen. Die Taler basteln sie aus Holz selber, mit etwas Handarbeit sind die Unikate leicht als „Originale“ zu erkennen. Gleichzeitig eröffnen sie den Kindern das Angebot, für Arbeiten im Haushalt, die bei Bedarf angeboten werden, jeweils einen Taler zu verdienen. Die Kinder wissen nun, dass sie durchschnittlich einmal die Woche etwas Hausarbeit zu verrichten haben, damit sie die Steuern bezahlen können. Zahlen sie die Steuern nicht, werden die Eltern ihnen keine Mahlzeiten mehr anbieten.

Stellen wir nun im Kontext dieses Beispiels die Frage der SZ erneut: „Woher soll das Geld dafür kommen?“ Die Frage verwundert nun – natürlich schöpfen die Eltern das Geld selbst! Da sie die Währung bestimmen, in der die Steuern gezahlt werden, ist die Frage an sich eigentlich schon fast unsinnig. In einem Theater, in dem ich für die Abgabe meines Mantels ein Messingplättchen bekomme, frage ich ja auch nicht, woher denn dieses kommt. Das Theater bestimmt selbst, was für Marker es ausgibt und es werden ihm die Marker schon nicht ausgehen. Laut Georg Friedrich Knapp, dem Autor von „Die staatliche Theorie des Geldes“ von 1905, ist es so auch mit staatlichem Geld: Der Staat schöpft Geld und zwingt Haushalte und Unternehmen, Steuerzahlungen in diesem Geld zu leisten. Damit ist gewährleistet, dass immer eine Nachfrage nach dem staatlichen Geld besteht. Geld ist also ein rechtliches Konstrukt und basiert auf Institutionen. Die Frage, was man für sein Geld an Waren und Dienstleistungen bekommt, ist eine weitere Frage, deren Beantwortung wohl mindestens den Umfang eines Buches erreichen würde.

Zuerst Staatsausgaben, dann Steuern

Kommen wir noch einmal zurück zu unserer Familie, dann erkennen wir, dass einige Dinge sich ganz anders verhalten, als wir das gemeinhin annehmen. Erst einmal kommen die Staatsausgaben vor den Steuern. Das ist logisch zwingend, denn wenn die Eltern die Steuern ihrer Kinder eintreiben, dann müssen diese ja zeitlich vorher an Währung gelangt sein. Diese wird aber nur ausgegeben, wenn die Kinder für die Eltern arbeiten. Steuerzahlungen vernichten also Währung, die vom elterlichen Staat vorher „aus dem Nichts“ erzeugt worden ist. Erstaunlicherweise finanzieren also Steuern keine nationalen Staatsausgaben. Wenn die Eltern gerne Holz bearbeiten und viele neue Geldstücke auf Vorrat herstellen, dann können sie die Steuereinnahmen getrost im Kamin verheizen. Wie gesagt, diese werden ja nicht zur Finanzierung von Staatsausgaben benötigt! Die Eltern können ja selber festlegen, was als Geld zählt, insofern sind sie nicht darauf angewiesen, Steuereinnahmen wieder auszugeben.

Wenn wir uns jetzt ein europäisches Finanzministerium vorstellen, dann sollten wir gedanklich das Beispiel dieser Familie im Hinterkopf behalten. Es wäre wohl ganz sinnvoll, wenn das europäische Finanzministerium einfach Geld von der Europäischen Zentralbank (EZB) bekommt. Auch hier würde dann gelten: Es sind nicht die Steuerzahler, die Staatsausgaben finanzieren, sondern es ist der Staat selbst, der das Geld zur Verfügung stellt. Wir für uns. Es sind auch keine Staatsanleihen, die die Staatsausgaben finanzieren, selbst wenn das europäische Finanzministerium diese an die EZB weiterreichen sollte. Sowohl EZB als auch europäisches Finanzministerium sind staatliche Organe und wenn diese im Zusammenspiel Geld erzeugen, dann ist es aus funktionaler Sicht irrelevant, welche Papiere oder Formulare oder Weisungen noch ausgetauscht werden. Wichtig ist: Der Staat gibt Geld aus, das er selbst geschaffen hat – durch seine Zentralbank. Steuern kommen später.

Wenn der Staat also sein Geld selbst schafft, dann ist die obige Frage – „Woher soll das Geld kommen?“ – unsinnig. Der Staat ist, mit seiner Zentralbank, der Geldschöpfer. Das Problem ist wohl eher, wie man das viele Geld, welches der Staat schöpft und ausgibt, wieder aus dem Wirtschaftskreislauf zieht. Diese Frage ist aber schon geklärt. Die Funktion der Steuern ist es, staatliches Geld wieder aus der Wirtschaft zu ziehen und so die Ausgaben und damit die Inflationsrate zu senken. Zusätzlich kann die EZB auch über den Zins versuchen, die private Geldschöpfung über Kredite an Haushalte und Unternehmen zu senken. Niedrigere Zinsen mögen zwar die Kreditnachfrage nicht ankurbeln, aber höhere Zinsen werden sie sicherlich abwürgen und so die Inflationsrate nach unten korrigieren. Andernfalls müssten wir vermuten, dass Länder mit hoher Staatsquote relativ hohe Inflationsraten haben. Ein Blick nach Skandinavien zeigt uns, dass dies nicht der Fall ist.

Eine demokratische Reform der EU ist notwendig

Für die Zukunft Europas lässt sich somit festhalten, dass eine fehlende fiskalische Komponente des Euros ein wesentlicher Grund war, warum die Krise stärker wirkte als in anderen Regionen. Es gab keine Institution, die sich der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit annahm. Im Gegensatz dazu wurden die Banken und das Finanzsystem von der EZB gerettet. Diese Schieflage in der Wirtschaftspolitik hat die EU an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Die nächste Rezession wird die EuropäerInnen zwingen, die Fiskalpolitik mit den expansiven Staatsausgaben wieder ins Zentrum der Wirtschaftspolitik zu rücken. Wenn es auf der europäischen Ebene nicht funktioniert, dann halt auf nationaler. Sofern die Zeit es zulässt, wäre es wünschenswert, eine öffentliche Diskussion darüber zu führen, ob die BürgerInnen mit einem europäischen Finanzministerium überhaupt einverstanden sind und in welcher Form die demokratische Ausgestaltung dahingehend verändert werden soll, damit die steigenden Ausgaben der EU auch demokratisch legitimiert sind.

Auf nationaler Ebene wird der Haushalt ja von der Regierung beschlossen, aber die Kommission mit dem europäischen Parlament, dem Ministerrat und dem Europäischen Rat bekommt seit Jahrzehnten ein „demokratisches Defizit“ bescheinigt. Ein Umbau des Euros sollte also mit einem Umbau der EU einhergehen, vielleicht in Richtung einer noch zu definierenden Europäischen Republik. Eine solche Diskussion wird es aber nicht geben können, wenn die KommentatorInnen nur darüber diskutieren, „wo denn das Geld herkommt“, wenn „Europa“ mehr ausgeben möchte. Denn dann landet man sofort in der Diskussion der Steuern und der nationalen Beiträge zur EU. Insofern ist es unabdinglich, die BürgerInnen zuallererst über die Funktionsweise eines modernen Geldsystems aufzuklären. Erst dann können die zukunftsweisenden Debatten in der Öffentlichkeit geführt werden, und nur so können sich die BürgerInnen für das europäische Projekt wieder begeistern lassen. Die Alternative wäre eine Reform von oben in der nächsten Krise, dann halt durch Technokraten und ohne öffentliche Diskussion. Genau das hat aber schon letztes Mal nicht gut funktioniert – insofern sollte der öffentliche Diskurs jetzt wiederbelebt werden.