Weniger arbeiten – mehr „gutes Leben“

23. Dezember 2015

Alljährlich – so gegen Jahresende – erscheint der von Statistik Austria (STAT) erarbeitete Bericht „Wie geht’s Österreich?, in diesem Jahr mit dem Schwerpunkt Konsum, dessen Wachstum grundsätzlich positiv gesehen wird. Ob es sich beim Konsum um eine Wohlfahrtssteigerung handelt, hängt jedoch nicht zuletzt von der Produktionsweise der Konsumgüter und -dienstleistungen ab. Leider gehen diese qualitativen Momente derzeit (noch) ebenso wenig in die Wohlfahrtsmessung ein wie der „Konsum“ von (Frei-)Zeit. Die Frage von Ludwig Erhard aus dem Jahr 1957, „ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtsleistung auf diesen ‘Fortschritt‘ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen“, ist verstärkt zu diskutieren.

Auch heuer wieder ist dem Bericht der Statistik Austria zur Wohlstands- und Fortschrittsmessung in Österreich ein Sonderkapitel angeschlossen. In diesem Jahr wurde verstärktes Augenmerk auf den „Konsum“ gelegt. Demnach wuchs der reale Konsum – also der in Güter- und Dienstleistungsmengeneinheiten gemessene Konsum – in den letzten 19 Jahren mit 1,1 % jährlich etwas schwächer als das reale BIP mit +1,4 %. Verglichen mit dem Beginn des Beobachtungszeitraums 1995 ist er um ca. 25 % angestiegen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Datenquelle: Statistik Austria. © A&W Blog
Datenquelle: Statistik Austria.

Leider ist Konsum nicht gleich Konsum. Denn ob es sich beim Konsum um eine Wohlfahrtssteigerung handelt, hängt nicht zuletzt von der Produktionsweise der Konsumgüter und Dienstleistungen ab. Man braucht nicht viel Phantasie, um es unsinnig zu finden, wenn ProduzentInnen ihre an und für sich „langlebigen“ Produkte durch geplante Obsoleszenz verkürzen. Diese Art von Wirtschaftswachstum kann wohl niemand wollen. Die Verantwortlichkeit liegt somit nicht nur bei der KonsumentInnensouveränität, sondern auch auf Seite der ProduzentInnen.

Leider gehen derzeit diese qualitativen Momente (noch) nicht in die Wohlfahrtsmessung ein. Weitere diesbezügliche konsumbezogene Betrachtungen, die „gutes Leben“ ausmachen, finden sich – wie bereits erwähnt – im STAT-Bericht Wie geht’s Österreich 2015 im Schlusskapitel „Der Konsum der privaten Haushalte –Entwicklung, Provenienz und Nachhaltigkeit“.

Weniger arbeiten … mehr gutes Leben

Sieht man sich den Stiglitz-Sen-Fitoussi Report – jenes vom damaligen französischen Präsidenten Sarkozy initiierte Papier zur Wohlfahrtsmessung – an, so ergeben sich neben der Konsumthematik jedoch noch einige weitere „Baustellen“. Die Arbeitszeit ist so eine Baustelle. Ein allseits beherzteres Vorgehen im öffentlichen Diskurs wäre hier durchaus angebracht. Einerseits wissen wir um die derzeitige Problematik der Disparität von Arbeitsangebot und -nachfrage und der damit verbundenen hohen Arbeitslosenquote, andererseits wird man auf Seiten der ArbeitgeberInnen nicht müde zu betonen, dass eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit das Gebot der Stunde sei. Es bleibt dabei einfach unklar, wie das derzeit zusammen gehen soll: längere Arbeitszeiten, laufender Anstieg der Produktivität und gleichzeitiges Streben nach Vollbeschäftigung bei einem Arbeitskräfteüberangebot.

Aber neben diesen wirtschaftspolitischen Betrachtungen gibt es noch individuelle und die betreffen unmittelbar die Lebensverhältnisse. Wie immer sie letztlich auch aussieht, sie ist für die Mehrheit integraler Bestandteil eines guten Lebens.

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Datenquelle: EU-Agentur Eurofound. © A&W Blog
Datenquelle: EU-Agentur Eurofound.

Glaubt man jedoch den Ergebnissen einer beim market-Institut von der WKÖ in Auftrag gegebenen Umfrage, so befürchten 47 % der Befragten (n = 489), dass sich eine Arbeitszeitverkürzung negativ für sie auswirke. Der Grund liegt im angenommen durch den Sparzwang auf UnternehmerInnenseite nicht mehr Personen eingestellt würden, sondern die Arbeit dann in weniger Zeit unter mehr Stress für die Belegschaft bewältigt werden müsse.

Ganz anders dazu die Ergebnisse eines schwedischen Pilotprojektes zu einem Sechs-Stunden-Arbeitstag. Der Sukkus lautet: …kürzere Arbeitszeit, weniger gestresst, glücklicher. Allgemein wird von Ingrid Kurz-Scherf, emeritierte Professorin an der Universität Marburg, festgehalten, dass es bei der Arbeitszeitverkürzung nicht um eine „technokratische Fragestellung“, sondern um eine gesellschaftliche Weichenstellung ginge.

Hierbei stelle sich die Frage, ob das Konzept der Arbeitszeitverkürzung nicht schon längst von einer von der Wirtschaft diktierten reinen Diskussion über „Flexibilisierung“ abgelöst wurde, auch wenn der Zusammenhang nur konstruiert ist. Auf der einen Seite ist zu entscheiden, wie lange im Durchschnitt gearbeitet werden soll und auf der anderen Seite, wie viel Flexibilität bei der Verteilung dieses Stundenausmaßes ermöglicht werden soll. Ebenso wie eine sinnvolle Gestaltung von Flexibilität der Arbeitszeiten befürwortet wird, wird aber auch eine Verringerung der Arbeitszeit insgesamt gewünscht. So zeigt eine deutsche Studie des Meinungsforschungsinstitutes Statista (n = 4.000), dass für etwa 70 % der Befragten eine Verringerung der Arbeitszeit wünschenswert wäre.

Gerechte Verteilung der Arbeit …

Und ein zusätzlicher Arbeitsmarktaspekt ist folgender: Laut letzter Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung von STAT stiegt die Anzahl der mindestens 10 Über- und Mehrstunden pro Woche Leistenden zuletzt wieder leicht auf 206.100 Personen an; in diesem Volumen liegt wohl – mit Verlaub – genügend Potenzial, um gemeinsam mit einer Arbeitszeitverkürzung die derzeit triste Arbeitsmarktsituation durch Aufteilung der Arbeit zu entlasten.

Eine gerechtere Verteilung der Arbeit führt zu verstärktem kollektivem Zusammenhalt, auch das ist ein Aspekt für individuelles Wohlbefinden. Derzeit gibt es keine Indikatoren, die Beschäftigung nach Qualitätskriterien messen. Das heißt, dass die nationalen Institution aufgerufen sind, ihre Messinstrumentarien zu schärfen bzw. auszubauen. Andererseits kann man wohl mit Fug und Recht davon ausgehen, dass die in einem WISO-Beitrag angeführte Punktation (sie reicht von der „Arbeitslosigkeit bekämpfen, Arbeit verteilen“ über „Lange Arbeitszeiten machen krank – Gesundheit erhalten“ bis hin zu „Schritte zu Nachhaltigkeit und Ökologie“) genügend Argumente enthält, um Arbeitszeitverkürzung für sinnvoll zu halten. Demnach geht mit der Arbeitszeitverkürzung ein „besseres Leben“ einher.

Mit Erhard ist heute deshalb lauter als 1957 die Frage zu stellen, ob „mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung“ nicht mehr Beitrag zum gesellschaftlichen Fortschritt zu leisten vermag als eine reine quantitative Ausweitung der Gütermenge. Und darüber hinaus wie es uns gelangt, hierfür auch ein passendes Messinstrumentarium zu finden, das dementsprechend über das BIP hinausgehen muss.