TTIP – Wachstumschancen für kleine und mittlere Unternehmen?

14. Juli 2015

Der politische Kampf um TTIP, dem geplanten Handelsabkommen zwischen EU & USA, zieht sich in die Länge. Nun haben die  TTIP-BefürworterInnen ihre Kommunikationsstrategie angepasst: Lange Zeit lag der Fokus der PR-Strategien vor allem auf der Betonung von gesamtwirtschaftlichen Effekten: der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Wirtschaftswachstum. Als Reaktion auf die erfolgreiche Entmystifizierung dieser Darstellung und um der lauter werdenden Kritik entgegen zu treten, versuchen die BefürworterInnen nun neue Bündnisse zu schließen. In diesem Zusammenhang lässt sich die Fokusverschiebung der Diskussion auf die Vorteile von TTIP für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verstehen. Die Botschaft von Europäischer Kommission und Co. ist klar: TTIP sei nicht nur eine Veranstaltung für Großunternehmen, sondern bringe vor allem den europäischen KMU wirtschaftliche Chancen. Eine neue Studie im Auftrag von ATTAC zeigt jedoch, dass sich diese Behauptung empirisch nicht halten lässt.

 Die Bedeutung von KMU

KMU, also Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, spielen in Europa allgemein und in Österreich im speziellen eine bedeutende ökonomische Rolle. Im Jahr 2012 beschäftigten die 313.000 österreichischen KMU über 66 Prozent der ArbeitnehmerInnen und trugen mehr als 60 Prozent zur Wertschöpfung bei. Damit liegt Österreich sehr nahe an dem EU-Durchschnitt. KMU spielen im EU-Außenhandel jedoch nur eine untergeordnete Rolle, da dieser von Großunternehmen dominiert wird.

Die Daten für Europa zeigen, dass es sich bei 88 Prozent der europäischen Exportunternehmen um KMU handelt. Diese erwirtschaften im Exportbereich jedoch nur 28 Prozent der gesamten Wertschöpfung. Des Weiteren lässt es sich beobachten, dass mit steigender Unternehmensgröße (nach Beschäftigten) auch die Erfolge im außereuropäischen Export stark ansteigen.

Für Österreich ergibt sich ein ähnliches Bild: Es lässt sich festhalten, dass im Jahr 2011 große Unternehmen als Nettoexporteure auftraten, während KMU zu den Nettoimporteuren zählten. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass für KMU der österreichische Binnenmarkt von besonderer Bedeutung ist. Auch der Blick auf den Exporthandel zeigt, dass bei der Debatte um TTIP die Bedeutung des innereuropäischen Handels systematisch ausgeblendet wird. Während mehr als 80 Prozent der österreichischen Exporte auf dem europäischen Kontinent stattfinden, fallen lediglich 5,6 Prozent auf den Handel mit den USA.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Die Analyse der unterschiedlichen Produktionssektoren in Österreich zeigt, dass auch hier KMU tendenziell weniger vom Handel profitieren als große Unternehmen. Im Industriesektor, welcher im Jahr 2012 knapp 73 Prozent des österreichischen Außenhandels ausmachte, waren große Unternehmen mit 44,7 Prozent besonders stark vertreten, während KMU nur 9,25 Prozent ausmachten. Und schließlich spielen vor allem die USA als Handelspartner für KMU eine absolut vernachlässigbare Rolle. Sowohl für Österreich als auch für die gesamte EU gilt: weniger als 1 Prozent der KMU exportieren in die USA.

Die Behauptung, TTIP würde besonders KMU zugutekommen, ist daher als politische Strategie zu verstehen. Um stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung zu finden werden Partikularinteressen systematisch als Allgemeininteressen dargestellt. Diese Vermutung verhärtet sich, wenn man sich die „Wettbewerbsvorteile“ von Großunternehmen im Exportsektor vor Augen führt.

Neben höheren Skalenerträgen haben Großunternehmen relativ bessere Finanzierungsbedingungen, leichtere Markteintrittsmöglichkeiten sowie Kapazitäten einen Niedrigpreiskampf zu führen. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich KMU durch TTIP plötzlich in kaum zu gewinnenden asymmetrischen Preiskämpfen wiederfinden könnten. Und nicht zuletzt profitieren große Unternehmen von der Möglichkeit des Lohndumpings. So zeigt beispielsweise eine Studie der Deutschen Bank und des Verbands der Automobilindustrie, dass Importzölle sowie nichttarifäre Handelshemmnisse im Vergleich zu Lohnstückkosten für die Wahl der Produktionsstätte weitaus weniger wichtig sind.

Von NAFTA nichts gelernt?

Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Kanada und Mexiko trat 1994 in Kraft. Nach den herrschenden ökonomischen Theorien sind prognostizierte positive Effekte von Freihandelsabkommen langfristiger Natur, deshalb sollten diese innerhalb des NAFTA-Wirtschaftsraums bereits eingetreten sein. In der kontroversen Diskussion um NAFTA wurden – wie gegenwärtig im Kontext des politischen Kampfes um TTIP – ähnlich optimistische Prognosen ins Feld geführt, um die Bevölkerung für den „Freihandel“ zu gewinnen.

Im Lauf der Jahre wurden die ökonomischen Effekte von NAFTA durch eine Vielzahl von empirischen Studien überprüft. Zwar postulieren nicht alle im Nachhinein getätigten Untersuchungen negative Effekte, allerdings sind die Ergebnisse durchwegs ernüchternd. Für die USA und Kanada sind Wachstumseffekte im Promillebereich feststellbar und für Mexiko sind sogar negative Wachstumseffekte wahrscheinlich. Ferner zeigen die NAFTA-Erfahrungen, dass die negativen und positiven Folgen von Freihandelsabkommen spezifische gesellschaftliche Gruppen sehr unterschiedlich betreffen. Während vor allem KMU, die kleinteilige Landwirtschaft sowie ArbeitnehmerInnen die negativen Effekte der Freihandelsabkommen zu tragen haben, können Großunternehmen und deren EigentümerInnen – also vor allem die einkommens- und vermögensstärksten Haushalte – von der zunehmenden Internationalisierung stärker profitieren. Auch die Exportchancen sind eher kritisch zu sehen: Der Exportanteil von US-amerikanischen KMU in die NAFTA-Staaten reduzierte sich zwischen 1996 und 2012 von 15 Prozent auf 12 Prozent.

Gebrochene Versprechen und  fahrlässige Behauptungen

Die großen Versprechen und Vorhersagen von NAFTA, die PolitikerInnen Anfang der 1990er Jahre den Menschen gemacht haben, sind nicht eingetroffen. Zudem haben sich die Kosten und Nutzen von NAFTA auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen sehr ungleich verteilt. Vor allem ArbeitnehmerInnen sowie KMU (besonders im landwirtschaftlichen Bereich) zählen zu den VerliererInnen von NAFTA. Ein Blick auf die aktuellen Wirtschaftsdaten lässt kaum vermuten, dass es sich bei TTIP anders verhalten könnte. Die Behauptung TTIP käme besonders KMU zugute, sollte deshalb als das benannt werden was sie ist: Eine fahrlässige Behauptung um die öffentliche Zustimmung zu fragwürdigen politischen Maßnahmen zu erlangen, welche voraussichtlich einer kleinen privilegierten Gruppe auf Kosten des Großteils der Bevölkerung zugutekommen.

Die vollständige Studie  “Was bedeutet TTIP für kleinere und mittlere Unternehmen?” findet sich hier.