„Traumberuf“ PilotIn und FlugbegleiterIn?

12. April 2021

Angetrieben durch die technologischen Fortschritte seit dem Beginn der gewerblichen Luftfahrt in den 1920ern und dem massiv gestiegenen Preiswettbewerb der letzten Jahre unter den Fluggesellschaften, hat sich das Berufsbild des fliegenden Personals massiv verändert. Vom ehemaligen Traumberuf, der mit Exklusivität, Weltoffenheit und Status verbunden war, entwickeln sich die Berufsbilder PilotIn und FlugbegleiterIn immer mehr zu äußerst stressbelasteten Tätigkeiten mit vergleichsweise hohen Gesundheitsrisiken, die zudem mit zunehmend prekären Beschäftigungsbedingungen und Gehältern einhergehen, wie eine aktuelle Studie aufzeigt.

Die Auswirkungen des technischen Fortschritts und des Preiswettbewerbs auf die Gesundheit

Die technischen Errungenschaften der Luftfahrtindustrie ermöglichen immer längere Flüge mit immer mehr Menschen auf immer komprimierteren Platzverhältnissen. Anders als die Flugzeuge ist der menschliche Körper aber nicht für das Zurücklegen extrem langer Wegstrecken in so kurzer Zeit angepasst. Aber nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Belastung des fliegenden Personals ist gestiegen. So sind diese mit ständig steigenden Anforderungen unter sich verschlechternden Bedingungen konfrontiert. Nicht nur durch die drastisch gestiegene Fluggastanzahl, die zahlreichen Verspätungen durch das hohe Flugaufkommen, sondern auch durch das Zurückfahren des Bordservices aufgrund von Sparmaßnahmen kommt es immer häufiger zu Konflikten an Bord. Im Unterschied zu vergleichbaren Vorfällen am Boden kann hier aber nicht die Polizei zu Hilfe geholt oder die Flucht ergriffen werden. In Tausenden Metern Flughöhe liegt es allein an der sozialen Kompetenz und Nervenstärke des fliegenden Personals, die Situation zu deeskalieren. Eine hohe Belastung für die Psyche des Personals.

Anders als die Flugzeuge selbst, die als technische Elemente mit erheblichem finanziellem Aufwand sorgsam kontrolliert, gewartet und gepflegt werden, gelten die FlugbegleiterInnen als reine ServiceleisterInnen, wobei ihr wesentlicher Beitrag zu Flugsicherheit und allgemeiner Ablaufstabilität nicht berücksichtigt wird. Zudem berichtet beispielsweise die Gewerkschaft vida von immer unhaltbareren Zuständen durch skrupellose Airlines.

BelegschaftsvertreterInnen der Austrian (AUA) beobachteten in den letzten Jahren eine Zunahme an schweren Erkrankungen beim fliegenden Personal. Diese Wahrnehmungen initiierten die nun vorliegende Studie, da es bisher an einer fundierten arbeits- und umweltmedizinischen Darstellung der Problematik fehlte.

Vielfältige spezifische gesundheitliche Belastungen des fliegenden Personals

Die vorliegende Studie zeigt, dass die Arbeitsbedingungen des fliegenden Personals mit sehr speziellen und unterschiedlichen gesundheitlichen Belastungen verbunden sind.

Dazu zählen vor allem Einflüsse auf die Chronobiologie durch oftmalige Zeitzonenwechsel, die Einwirkung von Höhen- bzw. ionisierender Strahlung, die Lärm- und Innenraumluftbelastung in der Kabine, räumlich beengte sowie körperlich belastende Arbeitsbedingungen und steigender Zeitdruck.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Ergebnisse im Überblick

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden in der Studie exemplarisch jene Gesundheitsfolgen ausführlicher dargestellt, die entweder häufig auftreten oder besonders schwerwiegend sind.

  • Krebserkrankungen

Studien zeigen, dass das Risiko, an irgendeiner Form von Krebs zu erkranken, bei FlugbegleiterInnen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um ca. 10 Prozent erhöht ist. Besonders das Risiko für Brustkrebs der Frau sowie Hautkrebs ist erhöht, nämlich um etwa 40 bis 100 Prozent. Die genauen Ursachen der Risikoerhöhung sind in ihrer Gewichtung noch strittig, da es sich um ein Bündel an Ursachen handeln könnte. Es umfasst unter anderem Auswirkungen des gestörten Tagesrhythmus auf Hormonspiegel, insbesondere bezüglich Melatonin, ionisierende Strahlung und berufsassoziierte Verhaltensweisen wie etwa Sonnenexposition.

  • Fehlgeburten

Die Störung des Tagesrhythmus wird nicht nur im Zusammenhang mit dem Krebsrisiko thematisiert, sondern spielt wahrscheinlich auch eine Rolle bei einem deutlich erhöhten Risiko für Fehlgeburten.

  • Schlafstörungen, Stress, Erschöpfung

Die Störung des Tagesrhythmus bewirkt auch Schlafstörungen, die sich ihrerseits negativ auf Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden auswirken und den Stress verstärken, der sich bereits aus dem sozial anspruchsvollen Aufgabenbereich ergibt. Die fordernde bzw. emotional schwierige Interaktion mit PassagierInnen, kombiniert mit einem hohen Maß an erforderlicher Selbstkontrolle, führt zu einer psychischen Belastung.

  • Infektionsrisiko

Auch hier zeigen Studien ein erhöhtes Risiko für FlugbegleiterInnen, die etwa durch den direkten Kontakt mit zahlreichen Personen gefährdet sind.

  • Beschwerden des Bewegungsapparates

Zahlreiche Studien zeigen zudem eine allgemein hohe Prävalenz für Beschwerden des Bewegungsapparates. Probleme der Füße und Fußgelenke, des Lendenbereichs, des Nackens und der Schulter sind als häufigste genannte Beschwerden zu finden. Die Betroffenen führten diese Beschwerden hauptsächlich auf das lange Stehen mit wenigen Pausen zurück, aber auch auf die berufliche Notwendigkeit, Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen, wie auch auf erhöhten mentalen Stress. Ein weiterer Faktor für Beschwerden im Muskel- und Skelettbereich ist zweifelsohne das wiederholte Heben schwerer Koffer etc., oft verbunden mit dafür ungeeigneten Körperhaltungen oder Drehbewegungen.

  • Weitere Belastungsfaktoren und ihre Folgen

Auch die Lärmexposition stellt einen weiteren ernst zu nehmenden Belastungsfaktor

dar. Generell ist Lärm am Arbeitsplatz ein Problem und kann u. a. zu physiologischem

Stress, erhöhtem Blutdruck und verminderter Leistungsfähigkeit führen. Dauerlärm ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden, aber auch mit immunologischen Effekten und Stoffwechselproblemen.

Seit etlichen Jahren diskutiert werden auch „Fume and Smell Events“ und das sogenannte aerotoxische Syndrom, das zum Teil auf Chemikalien in Triebwerksölen zurückgeführt wird.

Wie aus der Abbildung ersichtlich, wirken unterschiedliche Einflussfaktoren auf physiologische und psychologische Weise ein. Zum Teil handelt es sich um sehr spezielle Belastungsfaktoren, die praktisch kaum in einem anderen Beruf eine Entsprechung finden.

Nötige Präventionsmaßnahmen im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzes

Vor allem ist es die Summe der in der Studie aufgezeigten Belastungen, die als dringender Auftrag für mehr Präventionsmaßnahmen im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzes anzusehen ist.

Auch wenn einzelne Einwirkungen (bspw. kosmische Strahlung, Zeitzonenübertritte und deren chronobiologische Folgen) nicht verändert werden können – so kann dennoch eine Minimierung der Belastungen und somit auch der gesundheitlichen Auswirkungen erzielt werden. Den meisten der aufgezeigten Einwirkungen stehen verschiedenste Verbesserungsmöglichkeiten und Ansatzpunkte auf technischer und organisatorischer Ebene gegenüber.

Ansatzpunkte für Verbesserungen – Startpunkt Arbeitsplatzevaluierung

Um das Gesundheitsrisiko einzudämmen, könnten beispielsweise folgende Maßnahmen getroffen werden:

  • organisatorische Maßnahmen zur Dosisreduktion insbesondere betreffend Flugdauer und -frequenz, aber auch Flughöhe und -route. Das Ausmaß der zusätzlichen Strahlenbelastung beim Fliegen hängt vor allem von der Flugdauer, der Route, Flughöhe und der Sonnenaktivität ab
  • organisatorische Maßnahmen bei der Dienstplanerstellung zur Eindämmung der chronobiologischen Folgen
  • strenge Einhaltung von Sicherheitsvorschriften hinsichtlich der Kabinenluftqualität
  • Berücksichtigung der beengten Raumverhältnisse bei der ergonomischen Gestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsmittel
  • Sichtbarmachen der Berufsgruppe  der FlugbegleiterInnen als besonders schutzbedürftige Personengruppe aufgrund der besonderen Gegebenheiten
  • regelmäßiges Angebot von Supervision als wichtiger Faktor zur Bewältigung herausfordernder Arbeitssituationen und Arbeitsbedingungen

Anerkennung der gesundheitlichen Folgen als Berufskrankheit und Schwerarbeitsverordnung

Bis dato wurden die besonderen gesundheitlichen Erkrankungen des fliegenden Personals gesetzlich nicht berücksichtigt. So haben die spezifischen Erkrankungen des fliegenden Personals weder in die Liste der Berufskrankheiten Aufnahme gefunden, noch haben die besonderen Belastungen Eingang in die Schwerarbeitsverordnung gefunden.

Dies wäre aber erforderlich, da erst dann die besonderen Folgen des Arbeitens an Bord auch berücksichtigt werden können. Mit der Anerkennung als Berufskrankheit stehen den Versicherten nicht nur umfangreichere Heilbehandlungen (Rehabilitation, Therapien etc.) durch die Unfallversicherung zu, sondern bei länger andauernden gravierenden gesundheitlichen Einschränkungen auch monatliche Geldleistungen (Versehrtenrente) oder im schlimmsten Fall Renten für Hinterbliebene und ein Teilersatz der Bestattungskosten.

Der Gesetzgeber ist aufgrund der in der Studie aufgezeigten Evidenz dringend aufgefordert, die rechtlichen Bestimmungen beim Zugang zur Anerkennung als Berufskrankheit, beispielsweise durch Aufnahme in die Berufskrankheitenliste bzw. Schwerstarbeitsverordnung, anzupassen.

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