Strukturwandelbarometer – ein Messinstrument für die Veränderungsdynamik in den Betrieben

09. August 2013

Zielsetzung des Strukturwandelbarometers ist es, die Inhalte, die Dynamik und die beobachteten Auswirkungen des betrieblichen Strukturwandels aus einer ArbeitnehmerInnenperspektive regelmäßig zu erheben und zu analysieren. Die Erhebung erfolgt halbjährlich als Online-Befragung in einem Panel von ca. 300 BetriebsrätInnen heimischer Wirtschaftsunternehmen. Es dominieren naturgemäß größere Betriebe, vorwiegend aus dem industriellen und gewerblichen Sektor. Die Messung des betrieblichen Strukturwandels erfolgt auf der Grundlage von 30 Indikatoren (sowie eines Zusatzindikators für Konzernbetriebe), die in enger Kooperation mit den FachexpertInnen der AK sowie mit den betrieblichen InteressenvertreterInnen erarbeitet und festgelegt wurden.

Sie werden zu folgenden fünf Überkategorien zusammengefasst:

1. Arbeitsbedingungen und Arbeitsumfeld

2. Beschäftigtenstruktur

3. Unternehmensstruktur

4. Unternehmensstrategie

5. Mitbestimmung

Es wurden von IFES inzwischen zwei Erhebungen durchgeführt (die Aktuelle und jene aus dem Vorjahr).

Die Dimensionen des betrieblichen Strukturwandels

Aus Sicht der befragten BetriebsrätInnen schlagen sich die Effekte des betrieblichen Strukturwandels insbesondere in der Dimension „Arbeitsbedingungen und Arbeitsumfeld“ nieder. Überwiegende Mehrheiten der BetriebsrätInnen erlebten im letzten halben Jahr, dass die Beschäftigten vor allem mit höheren Anforderungen an Flexibilität, mehr Zeitdruck sowie einer Verschlechterung des Betriebsklimas zu kämpfen hatten. Positiv kann u.a. vermerkt werden kann, dass die Gleichstellung von Frauen offensichtlich stärker thematisiert wurde und Aufwändungen für Weiterbildung leicht zunehmen.

In der Dimension“ Beschäftigtenstruktur“ beobachten die BetriebsrätInnen zunehmende Atypisierung ihrer Beschäftigtenstruktur sowie einen Trend zu größerer Vielfalt unterschiedlicher Beschäftigungsformen und Dienstverhältnisse im Betrieb, wie freie DienstnehmerInnen, PraktikantInnen, Leasingbeschäftigte oder WerkvertragsnehmerInnen usw.

Hinsichtlich der Dimension „Unternehmensstrukturen“ zeigt die Befragung, dass die seit Jahren anhaltende Umstrukturierungswelle nach wie vor voll im Gang ist und damit für erhebliche Unsicherheit bei den Beschäftigten sorgt. Von den vier Indikatoren dieser Dimension nennen die Befragten Outsourcing am häufigsten. Die übrigen Umstrukturierungen wie Verlagerungen ins Ausland oder Eigentümerwechsel sind zwar von ihrem Auftreten her wesentlich seltener, die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind aber vermutlich umso schwerwiegender.

Veränderungen in den Unternehmensstrategien zeigen sich v.a. in einer Erhöhung der Investitionen in Sachanlagen. 30% der Befragten geben an, dass der Ressourceneinsatz für innerbetriebliche Umstrukturierungen in den letzten sechs Monaten zugenommen habe. Für die wirtschaftliche Entwicklung und in geringerem Ausmaß für die Beschäftigten wird dies insgesamt als eher vorteilhaft gesehen. Mit dem Fokus auf die Beschäftigten kehrt sich diese Entwicklung jedoch ins Negative um, wenn sich die Konzernzentrale im Ausland befindet oder die Entscheidungskompetenz außerhalb des Betriebs liegt. Bei rund einem Drittel der Unternehmen wurde auch mehr in „Humankapital“ investiert.

Die Dimension der „betrieblichen Mitbestimmung“ wird von den BetriebsrätInnen durch die Aspekte Einbindung des Betriebsrats, Informationspolitik der Geschäftsführung und tatsächlicher Einfluss des Betriebsratsgremiums repräsentiert: In allen drei Kriterien stellen die Befragten im letzten halben Jahr ein tendenzielles Sinken ihrer Möglichkeiten der Einflusssnahme  fest – mit entsprechend negativen Konsequenzen für die Belegschaft: Zeitdruck und Flexibilitätsanforderungen etwa nehmen dort besonders stark zu, wo die BetriebsrätInnen an Einfluss verlieren.

Umfang und Bewertung des betrieblichen Strukturwandels

Die BetriebsrätInnen haben im letzten Halbjahr Veränderungen in durchschnittlich 8,4 von insgesamt 31 Indikatoren in die eine oder andere Richtung wahrgenommen. Für lediglich 3% ist es in keinem einzigen dieser Aspekte zu einer Veränderung gekommen. Es sind v.a. die größeren Unternehmen, die die stärkste Dynamik zeigen und –damit korrelierend-  jene Unternehmen, die Teil eines Konzerns sind, deren Zentralen im Ausland sind bzw. bei denen die Entscheidungskompetenz überwiegend nicht im eigenen Betrieb liegt.  Der Umfang der Veränderungen weist einen hochsignifikanten statistischen Zusammenhang mit der Beurteilung der Managemententscheidungen sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens als auch in Bezug auf die Situation der Beschäftigten auf: Jene BetriebsrätInnen, die das Management negativ bewerten, registrieren überdurchschnittlich viele Veränderungen (ca.10) im letzten Halbjahr.

Von sämtlichen beobachteten Strukturveränderungen klassifizieren die BetriebsrätInnen 42% als für das Unternehmen positiv, aber immerhin auch in mehr als einem Viertel der Veränderungen (27%)  werden überwiegend Nachteile für die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gesehen. Ziemlich genau spiegelverkehrt fällt die Beurteilung des strukturellen Wandels mit dem Fokus auf die Beschäftigten aus: 28% der Veränderungen werden positiv, 41% jedoch negativ beurteilt.

Mit steigender Anzahl der beobachteten Strukturveränderungen sinkt zugleich der Anteil jener, die für die Beschäftigten als positiv erachtetet werden. Vier von zehn BetriebsrätInnen können keine der beobachteten Veränderungen als für die Belegschaft positiv charakterisieren, lediglich für 13 Prozent der BetriebsrätInnen sind mehr als zwei Drittel der im letzten Jahr beobachteten Strukturveränderungen zum Vorteil für die Belegschaft.

Ein entscheidender Faktor für die Beurteilung des strukturellen Wandels durch die BetriebsrätInnen ist die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, die sich in wirtschaftlichen Kennzahlen und den subjektiven Perspektiven ausdrückt: Je stärker die Kennzahlen nach oben weisen und je mehr Optimismus vorherrscht, desto eher wird auch der Strukturwandel  positiv beurteilt: BetriebsrätInnen mit „positivem“ Strukturwandel rechnen auch überdurchschnittlich häufig mit einem Zuwachs an Personal sowie an Umsatz. Eine erwartete Gewinnsteigerung steigert allerdings den Anteil des im Hinblick auf die Belegschaft positiv bewerteten Strukturwandels nicht maßgeblich.

Vice versa sind Unternehmen mit überwiegend „negativ“ beurteiltem Strukturwandel  jene mit sinkendem Personalstand, Umsatz, aber auch Gewinn.

Als ein zentraler Faktor für die Wahrnehmung des betrieblichen Strukturwandels seitens der BetriebsrätInnen erweisen sich die Entscheidungsstrukturen und – damit verbunden – die Spielräume für betriebsrätliches Handeln:  Es zeigt sich, dass die Bewertung des betrieblichen Strukturwandels sowohl im wirtschaftlicher Hinsicht als auch mit Sicht auf die Kollegenschaft signifikant schlechter ausfällt, wenn die Entscheidungskompetenz nicht im Unternehmen selbst liegt, sondern z.B. bei einer Konzernmutter, wodurch Strukturveränderungen von den InteressenvertreterInnen weniger leicht kontrolliert, gesteuert oder verhindert werden können.

Die zentralen Erkenntnisse

  1. Der Strukturwandel wird von BR grundsätzlich begrüßt und als notwendig erachtet.
  2. Es zeigen sich von der ersten zur zweiten Erhebungsperiode keine Umbrüche bzw. Veränderungstrends. Der halbjährliche Befragungsrhythmus scheint für die Erfassung der Veränderungsdynamik in Zeiten „normaler“ Wirtschaftsentwicklung also eher zu hoch zu sein.
  3. Im Durchschnitt registrieren die BetriebsrätInnen Veränderungen in 8,4 von maximal 31 Einzelaspekten, wobei der Umfang der Veränderungen mit der Betriebsgröße steigt.
  4. Die Auswirkungen des betrieblichen Strukturwandels werden für die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens tendenziell positiv, für die Beschäftigten jedoch eher negativ beurteilt. Als Profiteure des Strukturwandels werden v.a. die Unternehmen bzw. deren Eigentümer erachtet. Die Volkswirtschaft und die Belegschaft sind in Relation die Verlierer des Strukturwandels.
  5. Ein entscheidender Faktor für die Beurteilung des strukturellen Wandels durch die BetriebsrätInnen ist die wirtschaftliche Lage des Unternehmens: Je stärker die Kennzahlen nach oben weisen, desto positiver wird auch der Strukturwandel beurteilt.
  6. Ein weiterer wesentlicher  Faktor für die Beurteilung des Strukturwandels ist das Ausmaß der Einflussmöglichkeiten seitens des Betriebsrates. Wo diese sinken, schlagen die vermuteten Auswirkungen des Strukturwandels tw. massiv ins Negative um.