Steueroasen bedrohen die Stabilität des Finanzmarktes

03. Dezember 2013

Die als „Offshore-Leaks“ bekannt gewordene Auswertung und Veröffentlichung bislang geheimer Dateien aus bekannten Steueroasen durch Journalist/-innen hat in den Medien weltweit für Aufsehen gesorgt. Ein wichtiger Aspekt wurde jedoch medial nicht thematisiert: Steueroasen ermöglichen nicht nur Steuerausfälle, Kapitalflucht und Geldwäsche, sondern waren auch eine wesentliche Ursache für die Finanzkrise 2007/2008 und gefährden weiterhin die Stabilität des Finanzmarkts. Sie haben den Boden bereitet für das Aufkommen nicht regulierter Finanzinstitutionen, sogenannter Schattenbanken, sie ermöglichen Finanzmarktakteuren eine Umgehung von Regulierungs- und Aufsichtsvorschriften und heizen den Wettbewerb um niedrige Regulierungsvorschriften maßgeblich an. Jeder Schritt zu einer Re-Regulierung von Steueroasen und Schattenbanken ist ein aktiver Schritt zur Krisenvorbeugung und zum Schutz der Arbeitnehmer/-innen vor den gewaltigen volkswirtschaftlichen Kosten von Finanzkrisen.

 

Umstrittene Bezeichnung, problematische Assoziationen

Schon der Begriff „Steueroase“ ist problematisch, auch wenn er in der Öffentlichkeit mittlerweile fest verankert ist. Einerseits ruft die positive Besetzung des Begriffs „Oase“ bejahende Assoziationen in den Menschen wach und suggeriert neben Palmen, türkisfarbenen Meer und weißem Sandstrand vor allem, dass es sich um einen Zufluchtsort handelt, den man/frau erreichen sollte, um nicht in der Wüste zu verenden. Andererseits ist der Begriff „Steueroase“ auch deshalb problematisch, weil dadurch einseitig steuerliche Aspekte in den Vordergrund gerückt werden und die Möglichkeit zur fortlaufenden Umgehung von Regulierungsvorschriften durch Finanzinstitutionen, die in „Oasen“ ermöglicht und gefördert wird, nicht thematisiert wird. Während sich Steueroasen durch sehr niedrige oder sogar Nullsteuersätze sowie ein striktes Bank- und Steuergeheimnis auszeichnen, von Nichtansässigen zur Steuervermeidung, -hinterziehung und Geldwäsche verwendet werden und ein Informationsaustausch mit anderen Staaten über ebendiese Nichtansässige verweigert oder nur restriktiv gewährt wird, sind Regulierungsoasen durch eine laxe Finanzregulierung gekennzeichnet. Das beinhaltet die Geheimhaltung der Eigentümerstrukturen, das Desinteresse der Aufsichtsbehörden an ausländischen Firmen und die Möglichkeit zur Umgehung von Eigenkapitalvorschriften. Die angesiedelten Finanzinstitutionen stehen typischerweise unter der Kontrolle von Nichtansässigen und der Finanzsektor in Regulierungsoasen ist größer, als er zur Finanzierung der heimischen Volkswirtschaft sein müsste.

Die Verwendung des Begriffs Regulierungsoase in Abgrenzung zu Steueroase mag aus geografischen Gesichtspunkten irrelevant erscheinen (und löst natürlich auch nicht das beschriebene Problem der positiven Assoziationen zum Begriff „Oase“ an sich), da Staaten und Territorien häufig gleichzeitig Steuer- und Regulierungsoasen sind. Eine Trennung der Begriffe ist aber sowohl aus analytischer Sicht als auch in Bezug auf mögliche politische Handlungen notwendig: zur Bekämpfung von Regulierungsoasen braucht es Maßnahmen, die sich explizit des Problems der Umgehung von Regulierungs- und Aufsichtsvorschriften annehmen – diese Maßnahmen können sich von jenen, die zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -vermeidung notwendig sind, unterscheiden. Die mangelnde Regulierung von Finanzmarktakteuren und Steuerflucht und -vermeidung sind „zwei Seiten derselben Medaille“ (Troost) und müssen auch als solche wahrgenommen werden, um sie effektiv zu bekämpfen.

Steuer- und Regulierungsoasen in Europa

Das Tax Justice Network hat eine Liste der unübersichtlichsten Finanzplätze (Steuer- und Regulierungsoasen) erstellt (TJN).Die Liste wird angeführt von der Schweiz, vor Luxemburg, Hongkong, den Caymaninseln, Luxemburg, Hongkong, Singapur und den Vereinigten Staaten. Österreich nimmt den unrühmlichen 18. Platz ein. Hier zeigt sich deutlich, dass Steuer- und Regulierungsoasen weder auf palmenbestückte, exotische Inseln noch auf ganze Staaten beschränkt sind. Immerhin bei zwei dieser Finanzplätze handelt es sich um europäische Staaten, die Caymaninseln sind ein britisches Überseegebiet. Auch die Vereinigten Staaten finden sich unter den Top 6, weil einzelne Territorien (z.B. Delaware) innerhalb der Vereinigten Staaten als Steuer- und Regulierungsoasen einzustufen sind. Einige Regulierungsoasen in Europa haben auch in jüngerer Zeit – also nach dem Ausbruch der Finanzkrise – Regulierungsvorschriften abgebaut, um Finanzakteure anzuziehen bzw. diese aus anderen Oasen abzuwerben. So hat die Finanzkrise in Irland kein Umdenken bewirkt: Der Financial Act (2010) erleichtert den Transfer von Fonds nach Dublin. Fonds werden in Irland bis zum nächsten Arbeitstag zugelassen, wenn die Unterlagen bis 15 Uhr eingereicht werden. Es ist auf Grund des Umfangs und der Komplexität dieser Unterlagen faktisch ausgeschlossen, dass diese Unterlagen bis Geschäftsschluss genauestens kontrolliert werden. Zudem hat die irische Aufsicht klargestellt, dass sie sich nur für Finanzinstitute mit Hauptsitz in Irland zuständig fühlt. Fonds werden demnach weder vor deren Zulassung von der Regulierungsbehörde noch danach von der Aufsichtsbehörde überprüft (Quelle).  In Luxemburg, dem größten und wichtigsten Standort für Investmentfonds in Europa besagt ein neues Gesetz, dass, solange die Regulierungsbehörde innerhalb eines Monats nach Gründung eines Fonds unterrichtet wird, eine Vorabgenehmigung gewährt wird. Die Kanalinsel Jersey erlaubt seit 2006 die Gründung von Stiftungen, die von einem Treuhänder verwaltet werden, aber vollständig im Eigentum des Gründers bleiben. Im September 2007 gab Jersey bekannt, dass Hedge Fonds, die über mehr als 1 Million Dollar Einlagen verfügen, künftig keine Genehmigung zur Registrierung, keine externe Bilanzprüfung und keine Veröffentlichung ihrer Daten zu befürchten haben (Quelle).

 Schattenbanken: Akteure in Steuer- und Regulierungsoasen

Das Schattenbanksystem und Regulierungsoasen sind unterschiedliche Phänomene, die allerdings in einem engen Zusammenhang stehen. Finanzakteure nutzen sogenannte Schattenbanken, um heimische Regulierungen zu umgehen. Auch wenn Schattenbanken grundsätzlich auch außerhalb von Regulierungsoasen eingerichtet werden können, befindet sich die Mehrzahl von ihnen in Steuer- und Regulierungsoasen (Quelle). Troost und Liebert (Troost) argumentieren, dass das Entstehen des Schattenbankensystems und die daraus entstehenden Risiken für die Finanzmarktstabilität vor der Finanzkrise unter anderem deshalb nicht wahrgenommen wurden, weil diese fast ausschließlich in Steuer- und Regulierungsoasen angesiedelt sind. Vereinfacht gesagt werden unter Schattenbanken jene Finanzinstitutionen verstanden, die bankenähnliche Tätigkeiten durchführen, ohne dabei wie eine Bank reguliert zu sein. Auch wenn eine einheitliche Definition zu Schattenbanken nicht existiert, werden in den meisten Fällen Zweckgesellschaften, kreditfinanzierte Hedge Fonds und Geldmarktfonds zu den Schattenbanken gerechnet. Das Schattenbankensystem wird als eine wesentliche Ursache für die Finanzkrise gesehen und in vielen Fällen zeigten sich Verbindungen zu Regulierungsoasen. So wurde der Zusammenbruch der Bank Northern Rock durch die Zweckgesellschaft Granite ausgelöst, die in Jersey notierte und offiziell einer Wohltätigkeitsstiftung von Northern Rock gehörte. Auch die deutschen Landesbanken haben einen Großteil ihrer nicht bilanzierungspflichtigen Zweckgesellschaften in Regulierungsoasen gegründet, was den deutschen Behörden eine effektive Aufsicht verunmöglichte – die sächsische Landesbank in Dublin, die IKB in Delaware. Auch die WestLB verfügte über Zweigstellen in Irland. Die irischen Gesellschaften der Sachsen LB beschäftigten 2006 nur 45 MitarbeiterInnen, erwirtschaften aber beinahe den gesamten Konzerngewinn. In den USA entfiel beinahe das gesamte Volumen des 700 Mrd. Dollar schweren Hilfspakets auf den Schattenbanksektor (Quelle).

 Bedrohung für die Finanzmarktstabilität

Durch die Finanzkrise erhält die Frage nach den Auswirkungen von Steuer- und Regulierungsoasen auf die Stabilität des Finanzsystems vermehrt Aufmerksamkeit. Internationale Organisationen, Regulierungs- und Aufsichtsbehörden und die Europäische Kommission haben die Risiken, die das Schattenbankensystem für die Finanzmarktstabilität darstellt, detailliert untersucht und als eine der Hauptursachen der Finanzkrise identifiziert (EU-KOM). Dass die Schattenbanken überwiegend in Steuer- und Regulierungsoasen angesiedelt sind, wird allerdings nicht erwähnt. Dennoch zeigt sich, dass die angeführten Risiken, die das Schattenbanksystem für die Finanzmarktstabilität darstellt, auch für Steuer- und Regulierungsoasen gelten und durch diese zumindest verstärkt werden. Erstens erhöht das signifikante Wachstum von Vermögen und Verbindlichkeiten in Steuer- und Regulierungsoasen das Risiko von Ansteckungseffekten. Steuerliche Aspekte und Finanzmarktaspekte greifen hier ineinander: einerseits können in „Hochsteuerländern“ Fremdkapitalzinsen steuerlich abgezogen werden, während die damit erwirtschafteten Gewinne in Steueroasen steuergünstig angesammelt und ausgeschüttet werden. Andererseits ermöglichen Regulierungsoasen und Schattenbanken die Umgehung von Fremdkapitallimits und verstärken das Wachstum des Fremdmittelanteils. Zweitens begünstigen Steuer- und Regulierungsoasen das – mangels Daten vermutete –Wachstum von Off-balance-Sheet Aktivitäten der Finanzinstitutionen. Das bedeutet, dass Geschäfte in rechtlich voneinander unabhängige, aber weiterhin miteinander in Beziehung stehende Unternehmen außerhalb des Konsolidierungskreises verlagert werden. So werden Risikopositionen verdeckt und nicht mit ausreichend Eigenkapital hinterlegt. Steuer- und Regulierungsoasen und Schattenbanken behindern drittens die globale Überwachung des Finanzmarkts, da nationale Aufsichtsbehörden für die Kontrolle rechtlich eigenständiger Tochtergesellschaften in Regulierungsoasen auf die Kooperationsbereitschaft der dortigen Aufsichtsbehörden angewiesen sind. Viertens begünstigen Regulierungsoasen auch einen Wettbewerb um niedrigere Aufsichts- und Regulierungsstandards, eine „regulatorische Abwärtsspirale“. Die Existenz von Steuer- und Regulierungsoasen erleichtert es wirtschaftlichen Interessensgruppen und Finanzmarktakteuren, den Abbau von Regulierungsvorschriften zu fordern mit dem Argument, die heimische Wettbewerbsfähigkeit dadurch zu sichern oder zu steigern. Schlussendlich erhöht sich auch die Gefahr von Bank-Runs, weil die bewusst hergestellte Intransparenz insbesondere über Eigentümerstrukturen bei krisenhaften Entwicklungen im Finanzsystem das Vertrauen in einzelne Schattenbankakteure und in das Finanzsystem als Ganzes noch weiter schwächt.

 Politische Implikationen und Maßnahmen

Steuer- und Regulierungsoasen sind nicht alleine verantwortlich für die Finanzkrise. Die Deregulierung der Finanzmärkte hat nicht nur in Regulierungsoasen stattgefunden. Sie erleichtern aber Interessensgruppen, PolitikerInnen und Finanzmarktakteuren, einen Abbau der heimischen Regulierungsstandards zu fordern und mit dem Argument der Wettbewerbsfähigkeit zu junktimieren. Dazu kommt, dass eine in Folge der Finanzkrise stärkere globale Regulierung – so sie nicht nur Lippenbekenntnis bleibt – den Anreiz für Finanzmarktakteure, in Steuer- und Regulierungsoasen auszuweichen, weiter erhöht. Da Steuer- und Regulierungsoasen zwei Seiten derselben Medaille sind und es Wechselwirkungen zwischen steuerlichen Aspekten und Finanzmarktaspekten gibt, wird jede Maßnahme zur Schließung von Steueroasen (wie die Aufhebung des Bankgeheimnisses in Österreich und Luxemburg), auch die Stabilität des Finanzsystems verbessern. Darüber hinaus braucht es aber Maßnahmen, die explizit auf die Risiken, die Steuer- und Regulierungsoasen für die Stabilität des Finanzmarkts darstellen, zugeschnitten sind. Eine Möglichkeit ist die Berücksichtigung von Regulierungsoasen in einer. Von Finanzinstitutionen, die Verbindungen in Regulierungsoasen halten, könnte dann beispielsweise eine höhere Eigenkapitalquote verlangt werden, um dem erhöhten Risiko gerecht zu werden. Alternativ könnten Finanzinstitutionen auch Geschäfte in Ländern mit ungenügender Regulierung schlichtweg untersagt werden. Jedenfalls sollte es keinem Finanzakteur, der sich im staatlichen Eigentum befindet oder Staatshilfen bezieht, erlaubt sein, weiterhin in Steuer- und Regulierungsoasen zu operieren. In Bezug auf Schattenbanken wird von der Europäischen Kommission an einem Regulierungsvorschlag gearbeitet, der sich derzeit noch in der Entwurfsphase befindet. Für eine genaue Bewertung der Regulierungsvorschläge ist es noch zu früh – vor allem bleibt abzuwarten, welche Regulierungsvorschläge nach der Konsultation durch Interessensgruppen tatsächlich gesetzlich vorgeschrieben werden.

Die Öffentlichkeit muss jedenfalls darüber informiert werden, welche Gefahr die Existenz von Steuer- und Regulierungsoasen für die Finanzmarktstabilität darstellen und dass jeder Schritt zu einer finanzpolitischen Re-Regulierung ein aktiver Schritt zur Krisenvorbeugung ist. Denn dass die gewaltigen volkswirtschaftlichen Kosten von Finanzkrisen in erster Linie von ArbeitnehmerInnen getragen werden, haben die letzten Jahre leider eindrucksvoll bewiesen.

Der Beitrag ist eine Kurzfassung des Beitrags: Michaela Schmidt (2012): Steueroasen und Regulierungsoasen – Auswirkungen auf die Stabilität des Finanzkmarkts und politische Implikationen. Erschienen in der Zeitschrift momentum Quarterly. Zeitschrift für sozialen Fortschritt, 1 (4), 204-205 und im April 2013 in Gegenblende erschienen.