Steuerflucht und Steuervermeidung und der Beitrag von Reichen zur Gesellschaft

29. September 2015

Parteien, die mit dem Kostenargument gegen Flüchtlinge polemisieren, befördern andererseits Steuerflucht von Reichen, etwa durch das Eintreten für das Bankgeheimnis. Reiche zu kritisieren ist weniger opportun, obwohl diese nach wie vor überproportional von Steuerflucht und -vermeidung profitieren. Das ist vor allem ein demokratisches Problem. Eine Koalition langfristig agierender Eliten beeinflusst die Gesetzgebung, so dass Gegenstrategien jenseits von Tagesaktualität verfolgt werden sollten.

 

Reiche profitieren überdurchschnittlich von Steuerflucht und -vermeidung

Der größten Verluste durch Steuerflucht und -vermeidung verursachen multinationale Unternehmen, gefolgt von reichen Privatpersonen. Summen in dreistelliger Milliardenhöhe bis zu einer Bio. Euro werden jährlich in der EU hinterzogen. Vom weltweiten Privatvermögen in Höhe von rund 160 Bio. US-Dollar sind zwischen 21-32 Bio. US-Dollar undeklariert über Steueroasen angelegt. Berechnungen ergaben allein für Deutschland eine Unternehmen zugerechnete Steuerlücke von 90 Mrd. Euro, was 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Reiche halten überdurchschnittlich viele Beteiligungen an Unternehmen: In Österreich handelt es sich um die drei Prozent der Haushalte mit einem durchschnittlichen Nettovermögen von über 330.000 Euro. In den USA besitzt das oberste ein Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung 52 Prozent des Unternehmenseigentums. Damit profitieren Reiche indirekt von Steuerflucht und -vermeidung von Unternehmen. Steueroasen wirken zudem indirekt auf Steuersysteme. Sie setzen Impulse zur Absenkung der Steuersätze auf Unternehmensgewinne und hin zu einer Pauschalsteuer auf Kapitaleinkommen in Höhe von 25 Prozent.

 Steuerprivilegien über Reichtum und die geographische Lage

Tricksereien und Steueroasen kann nutzen, wer Expertise und Dienstleistungen von Fachkräften, Banken, Anwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften kaufen kann. Bis nach der Jahrtausendwende konnte Schwarzgeld über simple Techniken, z.B. ein Konto mit Bankgeheimnis, versteckt werden. Mit der Ausweitung des Informationsaustauschs müssen SteuervermeiderInnen derzeit mehr Expertise aufwenden. Banken oder Anwaltsbüros verlangen für diesen Aufwand Gebühren und/oder Mindestanlagesummen. Die Gebühren sollen ab 500.000 Euro ansetzen; der Aufwand lohnt sich je nach Steuerfluchtmodell bei Anlagen in Höhe von 5 bis 10 Mio. Euro. ExpertInnen gehen davon aus, dass Steuerflucht unter BesitzerInnen hoher Vermögen weiter angestiegen ist.

Steueroasen und Unternehmen der Steuerfluchtbranche befinden sind vor allem im globalen Norden. Laut einer 139 Entwicklungsländer umfassenden Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit sind diese Staaten Gläubiger, wenn Auslandsschulden mit Währungsreserven und dem Abfluss nicht-deklarierter Gelder gegengerechnet werden. Arme Länder haben wenig Mittel, funktionierende Steuerverwaltungen aufzubauen. Multinationale Unternehmen und reiche Eliten nutzen das zur Steuerminimierung aus. Fortschritte bei der Regulierung von Steuerflucht (US-FATCA, Informationsaustausch in der EU) kommen in erster Linie Staaten des Nordens zugute. Internationale Steuerangelegenheiten sind nicht bei der UNO angesiedelt, sondern bei der OECD, dem “Club der Reichen”.

Steuern, Demokratie und die Macht zu SpenderInnen

Steuerflucht und -vermeidung ist vor allem ein Problem für die Demokratie. Öffentliche Leistungen wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Kultur oder Sozialleistungen scheinen vielen BürgerInnen natürlich verfügbar zu sein. Mit Steuereinnahmen verzichtet die Politik auf Gestaltungsspielräume. So kann die Politik langfristige Projekte umsetzen und Innovationen vorangetrieben. Ohne staatliche Investitionsprogramme gäbe es weder das Internet, noch das GPS oder Touchscreens. Gelder können makroökonomische Wirkungen entfalten, etwa als Konjunkturmaßnahmen oder die Ressourcenverteilung unter verschiedenen Bevölkerungsgruppen steuern. Das hat Auswirkung auf die Allokation von Mitteln im Wirtschaftskreislauf, zwischen Realwirtschaft und Finanzvermögen. Steuern verringern in Österreich zudem Ungleichheiten der primären Verteilung von Ressourcen. Sie können eine Lenkungswirkung haben, z.B. als Umweltsteuern.

Wenn Steuern gesenkt werden, würden Reiche und Unternehmen auf freiwilliger Basis spenden – so die Theorie von KritikerInnen der Besteuerung. Die Daten zeigen jedoch das Gegenteil: Spenden liegen weit unter den gesparten Steuergeldern, selbst in Ländern mit hohem Spendenaufkommen wie den USA. Angenommen, in Österreich gehen – nach einem niedrig angesetzten EU-Schnitt – zwei Prozent des BIPs durch Steuervermeidung und -flucht verloren, entspricht dieses einer Summe von rund 5 Mrd. Euro. Der Spendenbericht des österreichischen Fundraising Verbandes verzeichnet 2014 aber nur Spenden in Höhe von 550 Mio. Euro, wovon ein Großteil von SpenderInnen mit niedrigen Einkommen stammt.

Selbst höhere Rückzahlung in Form von Spenden sind ambivalent zu bewerten, weil SpenderInnen gesellschaftlich-politischen Einfluss ausüben. Ein abschreckendes Beispiel ist die Einflussnahme der US-Milliardäre Charles und David Koch. Diese beeinflussen die Politik über Think Tanks, Milliardenausgaben im Wahlkampf, unterstützten die Tea Party und Organisationen zur Leugnung des Klimawandels.

Manipulation der Gesetzgebung durch die Offshore-Koalition

Es liegt das nicht nur an der Komplexität der Steuersysteme oder an Standortkonkurrenz, wenn Steuergesetze nicht eingehalten werden. Eine Koalition von Begünstigten beeinflusst langfristig die Gesetzgebung und wird unterschiedlich intensiv von weiteren gesellschaftlichen Kräften unterstützt. Zu dieser Offshore-Koalition gehören:

  • Steuerflüchtige und -VermeiderInnen, motiviert durch finanzielle Vorteile und Geldwäschemöglichkeiten.
  • AnbieterInnen von Serviceleistungen (Banken, Anwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) mit Interesse an Einkommen und (Arbeits-)Märkten.
  • PolitikerInnen, die potenzielle Unterstützung durch Finanz- und Wirtschaftseliten erwarten, Konflikten ausweichen, ideologisch handeln oder unzureichend informiert sind.
  • Lobbys und Think Tanks, die gegen Bezahlung und Ideologie-getrieben agieren.
  • Bürokratie und Behörden, die in der Ausführung ihrer Tätigkeit behindert sind, mit Regulierten kooperieren und finanzielle Anreize (Stellenwechsel, Korruption) erwarten.
  • JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, die Rechtfertigungen animiert durch Überzeugung, finanzielle Anreizen (Inserate, Honorare, Drittmittel) oder Karrierevorteile.
  • WählerInnen, die aus Opportunismus, Nichtwissen oder anders gelagerter Relevanz die Praktiken dulden.

Eine Änderung der Praktiken setzt einen langen Atem voraus, weil organisierte und finanziell gut ausgestattete Organisationen und Personengruppen starke Interessen an der Bewahrung von Offshore-Dienstleistungen haben. Neben der Bekämpfung von Steuervermeidung und -flucht sollte die primäre Verteilung von Einkommen und Vermögen stärker nivelliert werden, damit Ungleichheiten nicht erst entstehen. Es sollte auf eine Vereinfachung und Harmonisierung von Steuersystemen hingearbeitet werden, ebenso auf Mindeststandards. Die Politik sollte offensiv für öffentliche Mittel eintreten. Diese werden benötigt für eine sozial-ökologische Transformation auf nationaler Ebene, als auch der Nord-Süd Perspektive.