Sozialstaat und Umverteilung gewinnen an Bedeutung

31. August 2021

Welche Rolle spielt der Sozialstaat in der Corona-Krise? Hat sich die Einstellung der Menschen zum Sozialstaat im Verlauf der Pandemie geändert? Eine aktuelle Studie zeigt, dass der Sozialstaat in der Wahrnehmung vieler Menschen an Bedeutung gewonnen hat. Ein Großteil der Bevölkerung befürwortet die staatliche Einkommensumverteilung und eine Krisenfinanzierung durch Maßnahmen mit umverteilender Wirkung – wie zum Beispiel höhere Steuern auf große Unternehmen und Spitzeneinkommen.

Zustimmung zum Sozialstaat wird im Verlauf der Corona-Krise stärker

Im Juni 2020 und Jänner 2021 wurde im Rahmen der AKCOVID-Studie erhoben, ob sich die Bedeutung des Sozialstaats für die österreichische Bevölkerung seit Beginn der COVID-19-Pandemie verändert hat. Zu beiden Befragungszeitpunkten waren beinahe zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass der Sozialstaat seit Beginn der Corona-Krise „wichtiger“ geworden sei. Der Anteil der Befragten, die befanden, der Sozialstaat sei mit Beginn der Krise „viel wichtiger“ geworden, stieg im Verlauf der COVID-19-Pandemie von rund einem Drittel im Juni 2020 auf 40 Prozent im Jänner 2021. Diese Einschätzung deckt sich mit der Meinung von ExpertInnen, die dem Sozialstaat mit Andauern der Krise eine zunehmende Bedeutung für die Armutsbekämpfung zuschreiben.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Einkommensumverteilung in der Corona-Krise

Viele Menschen gehen davon aus, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich im Zuge der Corona-Krise größer werden. Dementsprechend sprechen sich auch viele für staatliche Maßnahmen aus, die das Ausmaß der Einkommensungleichheit reduzieren bzw. Armut bekämpfen. In Österreich wird die staatliche Einkommensumverteilung im internationalen Vergleich stark befürwortet. Das war bereits vor Beginn der Krise der Fall. Wie schlägt sich nun die Corona-Krise auf die öffentliche Meinung zur staatlichen Einkommensumverteilung nieder?

Ein Vergleich der AKCOVID-Daten mit Daten aus dem European Social Survey aus den Jahren 2018/19 zeigt, dass sich der Grad der Zustimmung zu staatlicher Umverteilung im Zuge der COVID-19-Pandemie weiter erhöht hat. Zwar stand sowohl vor als auch während der Corona-Krise die überwiegende Mehrheit staatlicher Einkommensumverteilung positiv gegenüber. Eine Veränderung zeigt sich jedoch in der Stärke der Zustimmung: Zwischen 2018/19 und Juni 2020 ist der Anteil der Personen, die staatliche Einkommensumverteilung „voll und ganz“ befürworten, von knapp 30 Prozent auf über 40 Prozent angewachsen.

Dieser Einstellungswandel vollzog sich dabei vor allem innerhalb der Bevölkerung mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, was durch ihre stärkere direkte Betroffenheit von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise (z. B. Kurzarbeit) erklärt werden kann: Der Anteil der „voll und ganz“ Zustimmenden erhöhte sich bei Personen ohne Matura um 16 Prozentpunkte auf rund 44 Prozent (signifikanter Anstieg), während sich dieser Anteil bei jenen mit höheren Bildungsabschlüssen nicht signifikant erhöhte.

Finanzierung der Krise

Obgleich teils argumentiert wird, dass die Krisenschulden durch ein Post-COVID-Wachstum „finanziert“ werden können, stellt sich die Frage, wie die Bevölkerung zu alternativen Finanzierungsoptionen mit umverteilender Wirkung steht. Die AKCOVID-Studie zeigt, dass höhere Steuern auf hohe Einkommen, große Unternehmen und Vermögen von der Bevölkerung grundsätzlich positiv gesehen werden. Etwa die Hälfte der Befragten war im Jänner 2021 für die stärkere Besteuerung hoher Einkommen und für Vermögenssteuern, um die Krisenfolgen zu finanzieren; mehr als zwei Drittel favorisierten eine höhere Besteuerung großer Unternehmen als Finanzierungsoption. Demgegenüber befürworten weniger als 10 Prozent der Befragten eine Kürzung von Sozialleistungen.

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Fazit: Sozialstaat soll für Umverteilung sorgen

Seit Beginn der Corona-Krise hat sich für viele Menschen in Österreich die Bedeutung des Sozialstaates erhöht. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht es als Aufgabe des Staates, soziale Ungleichheit zu verringern bzw. die Schere zwischen Arm und Reich im Zuge der Krise nicht noch weiter aufgehen zu lassen. Wie in den Befragungsdaten erkennbar ist, würde nur ein kleiner Teil der österreichischen Bevölkerung bekannte Konzepte – wie eine Erhöhung der Lohnsteuer auf besonders hohe Einkommen oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer – als staatliche Maßnahmen zur Reduktion sozialer Ungleichheit ablehnen. Große Teile der Bevölkerung würden hinter derartigen Maßnahmen stehen, wenn damit soziale Ungleichheit verringert werden kann und Verteilungsgerechtigkeit forciert wird.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um zentrale Ergebnisse der Studie: Bernd Liedl und Nadia Steiber: Einstellungen zum Sozialstaat im Verlauf der COVID-19-Pandemie. Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 223, 2021.

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