Sozialhilfe für MigrantInnen aus den neuen Mitgliedsländern? – eine Klarstellung

14. Januar 2014

In den letzten Tagen konnte man regelmäßig Meldungen aus Großbritannien und Bayern lesen, wo eindringlich vor einem Sozialtourismus gewarnt wird bzw wonach EU-Ausländer Anspruch auf Sozialhilfe oder Hartz IV hätten. Die Aufregung ist groß und es zeigt sich wieder einmal, dass derartige Themen in der Öffentlichkeit kaum emotionslos und sachlich diskutiert werden können. Das Folgende soll ein kleiner Beitrag zur Versachlichung sein.

Ein gutes Beispiel für die Meldungen, die in letzter Zeit zur Aufregung in der Öffentlichkeit über die Gefahr des Sozialtourismus beigetragen haben ist der Bericht, wonach ein deutsches Höchstgericht entschieden hätte, dass alle EU-Ausländer in Deutschland Anspruch auf Hartz IV hätten. Hartz IV ist die Leistung, die in Österreich am ehesten der Mindestsicherung entspricht. Können also EU-Bürger aus Rumänien, Bulgarien oder anderen Mitgliedsländern nach Österreich kommen und hier Mindestsicherung beziehen? Wie meist sind derartige Fragen nicht mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, sondern mit „Es kommt darauf an“.

Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Unionsbürgerschaft

Anknüpfungspunkte sind die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU und die Unionsbürgerschaft. Gemäß Art 21 Abs 1 AEUV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Es gibt also Beschränkungen und Bedingungen. Diese findet man vor allem in der Unionsbürger-Richtlinie, welche zwischen einem Aufenthaltsrecht bis zu drei Monaten und einem Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate unterscheidet. Während die Voraussetzungen für einen Aufenthalt bis zu drei Monate eher formeller Natur sind (Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses) ist für einen darüber hinausgehenden Aufenthalt Voraussetzung, dass man als ArbeitnehmerIn oder als Selbstständige/r tätig ist oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Diese Voraussetzungen bewirken im Allgemeinen, dass sich das Aufenthaltsrecht als EU-Ausländer und die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht „verträgt“. Habe ich nämlich ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz so werden die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht gegeben sein.

Sozialtourismus und EuGH-Rechtsprechung

Ein genereller Ausschluss von der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen für Unionsbürger kann aber unter Umständen unverhältnismäßig sein. Der EuGH hat daher in einigen Urteilen entschieden, dass Unionsbürgern in bestimmten Fällen existenzsichernde Leistungen nicht verweigert werden darf. Ein recht anschauliches Beispiel dafür war der Fall Grzelczyk. Herr Grzelczyk, ein französischer Staatsbürger hat in Belgien Sport studiert. In den ersten drei Studienjahren kam er für seinen Unterhalt, seine Unterbringung und das Studium selbst auf. Zu Beginn des letzten Schuljahres beantragte er dann die Gewährung eines Existenzminimums, welches jedoch von den belgischen Behörden abgelehnt wurde, da er nicht belgischer Staatsbürger und sich als Student nicht auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer berufen könne. In diesem Fall – und daher auch die für Herrn Grzelczyk positive Entscheidung des EuGH – war die Verweigerung der Sozialhilfe jedoch unverhältnismäßig. Die Behörde muss im Fall eines EU-Ausländers die persönlichen Umstände prüfen, also insbesondere welche Gründe für die Beantragung der Sozialhilfe vorliegen. Weiters ist zu berücksichtigen, ob es sich um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, die Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Höhe des zu gewährenden Betrags. Unionsbürger können daher in einem anderen Mitgliedstaat, als ihrer Staatsangehörigkeit existenzsichernde Leistungen nur unter besonderen Umständen und in Ausnahmefällen erfolgreich beantragen. Ein genereller Anspruch auf Sozialhilfe besteht jedenfalls nicht. Längerer Aufenthalt und nicht vorhersehbare Bedürftigkeit spielen eine zentrale Rolle.

Die zwiespältige Haltung Großbritanniens

Die Aufregung wegen der Gefahr eines Sozialtourismus ist daher überzogen und offenbar auch politisch motiviert. Unverständlich ist in diesem Zusammenhang auch die Haltung Großbritanniens zum Thema Lohndumping. Seit fast zwei Jahren gibt es einen Richtlinienvorschlag der Kommission mit dem Ziel die Bekämpfung von Lohndumping bei grenzüberschreitender Beschäftigung zu verbessern. Einer der zentralen Punkte in diesem Vorschlag sind die Kontrollmaßnahmen der Mitgliedstaaten, wobei sich grob gesprochen die alten Mitgliedsstaaten tendenziell für stärkere Kontrollmaßnahmen einsetzen und die neuen Mitgliedsstaaten dies verhindern wollen. Großbritannien jedoch fährt wie meist beim Thema soziale Mindeststandards eine andere Linie. Das Vereinigte Königreich ist auf der Seite der Länder, die die Kontrolle von Lohndumping limitieren will. Wenn es um faire Löhne und ein existenzsicherndes Einkommen der in Großbritannien arbeitenden EU-Ausländer geht sieht man offenbar keine Probleme, solange dies nicht auf Kosten der Unternehmen oder des Staatshaushalts geht.