Die Schwierigkeiten der sozialen Absicherung von Kunstschaffenden

05. Juni 2018

Bei Kunstschaffenden verlaufen die Grenzen zwischen Selbstständigkeit, Unselbstständigkeit und Phasen der Erwerbslosigkeit fließend. Für die soziale Absicherung bringt das große Herausforderungen. Wie diese in der Praxis aussehen und bewältigt werden können, zeigt jetzt eine zweiteilige Studie des Kulturrats Österreich.

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: https://kupf.at/zeitung/165/schnittstellenproblematiken/ © A&W Blog
Quelle: https://kupf.at/zeitung/165/schnittstellenproblematiken/

Problemfälle

Eine Schauspielerin und Kunstvermittlerin sichert sich ihren Lebensunterhalt durch verschiedene Tätigkeiten wie Bühnenengagements, Podiumsteilnahmen und Vermittlungsprojekte an Schulen. Die konkreten Beschäftigungsverhältnisse wechseln dabei zwischen kurzzeitigen Anstellungen, selbstständiger Tätigkeit auf Honorarbasis und Phasen der Erwerbsarbeitslosigkeit. Durch den Wechsel bewegt sich die Schauspielerin zwischen unterschiedlichen Sozialversicherungssystemen, denn die sozialrechtliche Absicherung folgt der arbeitsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses. Liegt das Jahreseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit beispielsweise knapp über der Jahresgeringfügigkeitsgrenze, hat sie keine Möglichkeit, Lohnersatzleistungen durch das AMS in Anspruch zu nehmen.

Fälle wie dieser sind im Kunstfeld keine Ausnahme, sondern die Regel. Die geschilderte Situation ist eine von sechs „Fallgeschichten“, die in der zweiteiligen Studie des Kulturrats Österreich, dem freiwilligen Zusammenschluss von Kunst-, Kultur- und Medienschaffenden, im Auftrag der AK Wien dargestellt werden. Das Feld, in dem sich Kunstschaffende bewegen, ist geprägt von größtenteils instabilen Einkommenssituationen: Die wenigsten können ausschließlich von der Kunstproduktion leben, der Großteil der Betroffenen verdient sich den Lebensunterhalt mit kunstnahen Arbeiten oder auch kunstfernen Jobs. Mehrfachbeschäftigungen können da zum Problem werden, wo unterschiedliche Pflichtversicherungssysteme aufeinandertreffen. Kunstschaffende sind damit sozusagen sozialversicherungsrechtliche Problemfälle: Sie treffen auf Schwierigkeiten, wenn sie zwischen Sozialversicherungssystemen, das heißt, zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit bzw. Phasen der Erwerbsarbeitslosigkeit wechseln. Es kann zu Wartezeiten, Lücken im Versicherungsschutz und im schlimmsten Fall zu Nachzahlungen kommen, was bei den generell niedrigen Einkommen im Kunstfeld Armutsgefährdung, Armut und existenzielle Not zur Konsequenz haben kann. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass die Betroffenen die komplexe Rechtslage oft nicht kennen und der Zugang zu umfassender, kompetenter und verbindlicher Beratung kaum gegeben ist. Konkrete Probleme stellen sich zum Beispiel, wenn die Leistungen des AMS nicht zugänglich sind für Personen, die zwar Versicherungsbeiträge zahlen, aber keinen Anspruch auf Lohnersatzleistungen haben, beispielsweise, weil sie Anwartschaftszeiten wegen kurzer Beschäftigungen im Kunstfeld nicht erreichen, oder weil die freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige aufgrund der hohen Beiträge und langen Bindungsfristen für sie unbrauchbar ist.

Abweichen vom „Normalarbeitsverhältnis“

Clemens Christl und Markus Griesser, die Autoren des sozialwissenschaftlichen Studienteils, konstatieren für Österreich das gesellschaftliche Leitbild eines „starken Familienernährermodells“ und eines regulierten Normalarbeitsverhältnisses, das heißt eines unbefristeten Vollzeitarbeitsverhältnisses für den männlichen Teil der Mehrheitsgesellschaft – dies hat vor allem negative Folgen für Menschen, die diesem Modell (freiwillig oder unfreiwillig) nicht entsprechen. Arbeitslosigkeit definiert sich im Wesentlichen über das Normalarbeitsverhältnis, das heißt der Lohnersatzleistungsbezug und die damit einhergehende Absicherung ist für Menschen, die sich außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses bewegen, schwer zugänglich. Für Kunstschaffende gab es das Normalarbeitsverhältnis allerdings kaum, ebensowenig für Frauen, Menschen außerhalb des globalen Nordens und für zahlreiche Arbeitende mit Migrationsgeschichte oder Menschen mit Behinderungen oder gesundheitlichen Einschränkungen. Der Großteil der im Kunstfeld Tätigen bewegt sich außerhalb des regulierten Normalarbeitsverhältnisses, hat ein diskontinuierliches und geringes Einkommen und ist lückenhaft gegen Erwerbsarbeitslosigkeit und die damit einhergehende erhöhte Gefahr von Armut und sozialer Ausgrenzung abgesichert.

Was tun?

Die geschilderten Problemlagen betreffen nicht nur Kunstschaffende, sondern immer mehr freiberuflich Tätige. Die Studie zeigt konkrete Lösungsansätze auf, um die soziale Absicherung von Kunstschaffenden zu verbessern. Diese gehen beispielsweise von der Forderung einer Ausweitung der Möglichkeit der Ruhendmeldung auf alle Neuen Selbstständigen und der Abschaffung der Pflichtversicherungsklausel im Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) über die Forderung spezieller Regelungen, was Kurzzeitanstellungen betrifft, bis hin zur Forderung rechtsverbindlicher Auskünfte durch das AMS beziehungsweise der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags zur Einrichtung eines Servicezentrums durch die SVA.