Solidarität mit LeiharbeiterInnen? (K)ein Ding der Unmöglichkeit!

13. April 2021

Es ist unklar, ob StammarbeiterInnen LeiharbeiterInnen als Bedrohung oder als Absicherung wahrnehmen. Während es aus unternehmerischer Sicht durchaus Kalkül sein kann auf Leiharbeit und andere Formen der Auslagerung zurückzugreifen, um Kollektivgefühle zu unterbinden und zudem betriebliche Mitbestimmung zu schwächen, kann der Betriebsrat die Spielregeln der Leiharbeit und somit ihre Auswirkung auf die StammarbeiterInnen mitgestalten. In einer Studie, die dem vorliegenden Blogbeitrag zugrunde liegt, wurden Betriebsratsmitglieder zu den Faktoren, die auf die Position von LeiharbeiterInnen innerhalb der Belegschaft einwirken, befragt. Rahmenbedingungen sollten bestmöglich gestaltet werden, um den Grundstein für Solidarität in einer gemischten Belegschaft zu legen.

LeiharbeiterInnen – mehrfach verletzlich in der Krise

Spätestens seit der Corona-Pandemie wurde erneut sichtbar, dass im Bereich der Leiharbeit nicht eitel Wonne herrscht: Im Krisenjahr 2020 gab es bei den Arbeitslosen aus der Arbeitskräfteüberlasserbranche einen Zuwachs von 26,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zudem waren LeiharbeiterInnen in den Schlagzeilen in Zusammenhang mit Corona-Clustern in deutschen Schlachthöfen und österreichischen Logistikzentren. Das legt eine zweite Vulnerabilität dieser Gruppe offen: nämlich ein höheres Risiko, im Zuge der Zeitarbeit an dem COVID-19-Virus zu erkranken, da die Arbeitsbedingungen und der ArbeitnehmerInnenschutz vielfach unzureichend sind. Prinzipiell müsste der Beschäftigerbetrieb dem Leihpersonal dieselben Bedingungen wie der Stammbelegschaft bieten.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

LeiharbeiterInnen: Absicherung oder Bedrohung für StammarbeiterInnen?

Unabhängig von der Krise ergibt sich ein Problemfeld aus dem Spannungsverhältnis von Stammbelegschaft und Leihpersonal. Einerseits können LeiharbeiterInnen als Absicherung der eigenen Position gesehen werden. Bei bevorstehendem Personalabbau trennt man sich von den LeiharbeiterInnen zuerst, und die eigene Kündigung wird dadurch unwahrscheinlicher. Andererseits symbolisieren die LeiharbeitnehmerInnen eine Bedrohung für StammarbeiterInnen. Sie bangen um ihre eigene Position als Normalbeschäftigte. Durch die Konfrontation mit der stetig wachsenden Klasse der prekär Beschäftigten entsteht ein Klima, das Solidarität zwischen „normal“ und prekär Arbeitenden im Keim erstickt. Diese Spaltung, die als zunehmende Entgemeinschaftung unter den in Betrieben beschäftigten ArbeitnehmerInnen zu wahrzunehmen ist, ist oft Konsequenz unterschiedlicher Arbeitsverträge (wie etwa Werkverträge, Leiharbeit u. dergl.), wodurch ArbeitnehmerInnen voneinander getrennt werden. Die Instrumentalisierung unterschiedlicher (prekärer) Arbeitsverhältnisse kann also durchaus wirtschaftliches Kalkül sein, um Kollektivgefühle zu unterbinden. Außerdem kann Leiharbeit wesentlich dazu beitragen, die Institution des Betriebsrates zu schwächen und so zur Erosion betrieblicher Mitbestimmung zu führen.

Wie sich das Verhältnis der ZeitarbeiterInnen zur Stammbelegschaft konkret ausgestaltet, scheint darüber hinaus von mehreren Faktoren abhängig zu sein. Diese wurden im Gespräch mit RepräsentantInnen des Betriebsrats erörtert.

  • Vergütung der LeiharbeiterInnen als Konfliktquelle

Nehmen Stammbelegschaften eine Überbezahlung der LeiharbeiterInnen wahr, ist das nachteilig für eine positive Wahrnehmung von LeiharbeiterInnen. De facto ist die bessere Entlohnung der LeiharbeitnehmerInnen selten der Fall. Einzig beim Einsatz in Niedriglohnbranchen, wenn der eigene Kollektivvertrag der LeiharbeitnehmerInnen bessere Konditionen bietet, trifft das zu. Tatsächlich verdienen sie meist aber weniger, da sie weitgehend in Hochlohnbranchen eingesetzt werden und dort meist von internen Vergütungen ausgeschlossen sind.

  • Stigmatisierung von LeiharbeiterInnen werden oft als persönliche Konflikte gedeutet

Es zeigt sich, dass vielschichtige Stigmatisierungen von LeiharbeiterInnen wirksam sind, aber oft auf vermeintlich persönliche Abneigungen reduziert werden. Aus den Gesprächen ging hervor, dass in manchen Betrieben ein Bild vorherrscht, wonach LeiharbeiterInnen grundsätzlich eher kritisch betrachtet werden.

  • Wahrnehmung der eigenen Arbeitsmarktposition

BetriebsrätInnen berichten, dass jene, die ihre Position als unsicher erachten, den LeiharbeiterInnen gegenüber eher negativ eingestellt sind. Hier zeichnet sich aber ein Trend ab: eine zunehmend in Bedrängnis kommende manuell arbeitende Arbeiterschaft, deren einstiger Status bröckelt und der zunehmend mit Geringschätzung begegnet wird. BetriebsrätInnen erklären, dass ArbeiterInnen, deren Status eher niedriger ist, vermehrt dazu neigen, LeiharbeiterInnen mit noch geringerem Status zu schikanieren.

  • Wirtschaftliche Krisen kritisch für eine gemischte Belegschaft

Krisen gehen laut BetriebsrätInnen einher mit Feindseligkeiten zwischen Stamm- und LeiharbeiterInnen. Aus der Perspektive von Unternehmen wird das durchaus als nützlicher Effekt wahrgenommen und kann als Ablenkungsmechanismus missbraucht werden, um Personalabbauprogramme widerstandslos durchzuziehen.

  • Die Arbeitsteilung wirkt sich auf die Wahrnehmung der StammarbeiterInnen hinsichtlich LeiharbeiterInnen aus

In recht stark arbeitsteiligen Prozessen sind Interaktionen unter der (gemischten) Belegschaft seltener, und das wirkt sich negativ aus, da oft gar keine persönlichen Kontakte entstehen können. Hingegen ist dort, wo in Teams gearbeitet wird, ein schnelleres und besseres Einfinden in das Gefüge wahrscheinlicher. Nicht zuletzt ist das auch positiv für eine etwaige Übernahme.

  • Migrationshintergrund als mehrfache Hürde

Es zeigt sich, dass migrantische LeiharbeiterInnen eher in niedrig und wenig qualifizierten Bereichen anzutreffen sind und ihnen Zugang zu besseren Posten aufgrund „sprachlicher Barrieren“, wie betont wird, verweigert wird. Sie tendieren dazu, in Bereichen zu arbeiten, in denen persönliche Kontakte zu StammarbeiterInnen eher vermieden werden. Zudem ergeben sich für MigrantInnen weitere strukturelle Diskriminierungen in der Zeitarbeit.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Lehren für den Beschäftigerbetriebsrat

BetriebsratsrepräsentantInnen haben hier einige Möglichkeiten, um Leihbeschäftigte gut in die Stammbelegschaft einzubinden und ein solidarisches Miteinander zu fördern. Diese sind: erstens die offene Kommunikation mit allen beteiligten Parteien, um Unklarheiten und Stigmatisierungen etc. aus dem Weg zu räumen; zweitens das Erzwingen einer Betriebsvereinbarung, um die Spielregeln der Leiharbeit im Betrieb a priori klar und eindeutig festzulegen! Das nimmt StammarbeiterInnen Verdrängungsängste und klärt mögliche Rahmenbedingungen einer Übernahme von LeiharbeiterInnen im Vorfeld ab. Drittens empfiehlt sich ein regelmäßiger Austausch zwischen Beschäftigerbetriebsrat und Überlasserbetriebsrat (falls vorhanden).

Das Screening von Rankinglisten und das Drängen des Betriebsrats, einen seriösen Arbeitskräfteüberlasser zu engagieren, ist unbedingt notwendig.

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