Slowenischer Ratsvorsitz zur Unzeit – zunehmende Sorge um demokratiepolitische Grundwerte in der Europäischen Union

20. Juli 2021

Mit 1. Juli 2021 hat Slowenien den Vorsitz im Rat der Europäischen Union für das kommende Halbjahr übernommen. Was nach Routine und Business as usual klingt, könnte sich jedoch als äußerst heikle Angelegenheit entpuppen: Das Europäische Parlament fordert Maßnahmen gegen das grundwertefeindliche Verhalten von Ungarn und Polen. Mit Slowenien führt aber nun ausgerechnet jenes Mitgliedsland den Ratsvorsitz, dessen Premier Janez Janša mit der Politik von Polen und Ungarn sympathisiert und selbst Maßnahmen setzt, die mit den Grundwerten der EU kaum vereinbar sind. Für die Europäische Union zeichnen sich damit wieder einmal schwierige Monate ab.

Brisante Themen während des Ratsvorsitzes von Slowenien

Österreichs Nachbarland Slowenien hebt in seinem Programm für den Ratsvorsitz vor allem den Leitgedanken der Widerstandsfähigkeit Europas hervor. Das entspricht auch den Plänen der Europäischen Kommission, die aus der Corona-Pandemie Lehren zieht und Europa widerstandsfähig gegenüber Wirtschaftskrisen und Cyber-Angriffen machen möchte. Sicherheit und Stabilität in der Nachbarschaft sollen ebenfalls gewährleistet werden. Einen wichtigen Schwerpunkt werden weiters die westlichen Balkanländer bilden, die derzeit den Status von Beitrittskandidaten haben. Auf einem eigenen Gipfel sollen die Staats- und Regierungschefs im Oktober die weitere Vorgehensweise diskutieren. Auch die Priorität „Zukunft Europas“ soll weiter diskutiert werden.

Wesentlich heikler wird es jedoch hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, des Schutzes der Menschenrechte, der Grundfreiheiten und des Rechts auf freie Meinungsäußerung, denn auch diese Themen stehen auf der aktuellen Agenda der EU. In einer Rede, die Ursula von der Leyen kürzlich vor dem Europäischen Parlament hielt, hob die Kommissionspräsidentin hervor, dass seit Beginn ihrer Amtszeit rund 40 Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit dem Schutz der Rechtsstaatlichkeit und anderer Werte der EU eingeleitet worden sind. Sie verurteilte auch das neue unter dem Kürzel LGBTIQ bekannt gewordene Gesetz Ungarns auf das Schärfste, da es unter anderem Homosexualität und Geschlechtsumwandlungen auf eine Stufe mit Pornografie stelle und verbiete, Jugendlichen unter 18 Jahren Informationen mit Darstellungen von Lesben und Schwulen zu zeigen. Die Europäische Kommission hat wegen dem Gesetz zu LGBTIQ nun rasch gehandelt und am 15. Juli ein offizielles Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, aber auch gegen Polen wegen der Diskriminierung von Homo- und Transsexuellen eingeleitet.

Förderkürzungen für Ungarn und Polen aus dem EU-Budget?

Sowohl Ungarn als auch Polen verstoßen auffällig oft gegen die Grundwerte der EU. Ungarn ist neben dem Gesetz gegen LGBTIQ auch mit Maßnahmen im Bereich Medienfreiheit, dem Justizsektor, dem Hochschulbereich oder dem Asylwesen negativ aufgefallen, die entweder Verstöße gegen die Grundwerte der Europäischen Union darstellen oder lediglich dazu dienen, die EU-Institutionen zu provozieren. Vor Kurzem äußerte sich auch der niederländische Premierminister Rutte mit scharfer Kritik: Geht es nach Rutte, hat Ungarn in der EU nichts mehr zu suchen. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bezeichnete den ungarischen Premier Viktor Orbán deswegen mehr oder weniger scherzhaft sogar als Diktator.

Mittlerweile befinden sich die allermeisten Medien im Einflussbereich der Regierung. Rund 500 Medien sind unter dem Dach einer eigens eingerichteten staatlichen Medienholding angesiedelt, unabhängige Medienunternehmen werden systematisch behindert und/oder eingeschüchtert. Die ungarische Regierung streitet eine Einflussnahme auf die Medien freilich ab.

Polen wiederum hat in den letzten fünf Jahren unter anderem das Justizsystem umgekrempelt und den Verfassungsgerichtshof entmachtet. Die Medienfreiheit wurde über eine Reihe von Einzelmaßnahmen radikal beschnitten: so etwa mit einem neuen Mediengesetz, welches unter anderem die Eigenständigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender de facto beendet hat, oder dem Lizenzentzug für Medien wie kürzlich für den Fernsehsender TVN24. Zum Drüberstreuen übernahm der staatliche Ölkonzern Orlen die größte Regionalzeitungsgruppe Polska Press von der deutschen Passau Verlagsgruppe. Regierungskritische Journalist*innen wurden teilweise im Eiltempo durch regierungsfreundliche Berichterstatter*innen ersetzt. Binnen eines Jahres mussten mehr als 200 Redakteur*innen ihren Posten verlassen.

Rechtsstaatsmechanismus könnte für bis zu neun Mitgliedsländer zum Einsatz kommen

Mit dem sogenannten neuen Rechtsstaatsmechanismus sollen nun Kürzungen von EU-Fördermitteln für EU-Länder möglich sein, die sich nicht an die grundlegenden Werte der Europäischen Union halten. Allerdings muss es sich um Fälle handeln, bei denen EU-Förderungen involviert sind. Trotz dieser Einschränkung ist der neue Mechanismus ein deutlicher Fortschritt. Denn im Unterschied zum Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags, bei dem Sanktionen gegen den jeweiligen Mitgliedsstaat nur möglich sind, wenn alle anderen Mitgliedsstaaten sich dafür aussprechen, reicht beim Rechtsstaatsmechanismus eine qualifizierte Mehrheit im Rat – sprich: Es müssen etwa 15 der 27 Mitgliedsländer zustimmen. Laut letzten Informationen könnten nicht nur Polen und Ungarn, sondern noch mindestens sieben weitere Mitgliedsländer von Mittelkürzungen aufgrund der Regeln des Rechtsstaatsmechanismus betroffen sein. Damit bedarf es eines Ratsvorsitzes, der die Entscheidung darüber entsprechend umsichtig vorbereitet, was sich als nicht allzu einfach erweisen könnte.

Nicht zuletzt aufgrund der Verstöße gegen die Grundwerte der EU lässt sich die Europäische Kommission nun bei der Freigabe der EU-Förderungen für Ungarn Zeit. Die Prüfung der eingereichten Unterlagen für den ungarischen Konjunkturplan bedürfen noch Zeit – eher Monate, als nur Tage betonte eine Kommissionssprecherin.

Sloweniens Premier auf den Spuren von Ungarn und Polen

Dass die sechs Monate unter slowenischem Ratsvorsitz schwierig werden könnten, zeichnet sich durch die Politik von Premier Janez Janša bereits ab. So ist die slowenische Justizministerin erst im Mai zurückgetreten, nachdem Janša die Entsendung von zwei Staatsanwälten für die neu geschaffene Europäische Staatsanwaltschaft abgelehnt hatte. Der slowenische Premier legte diesbezüglich zu Beginn der Ratspräsidentschaft noch nach: Die abgelehnten Staatsanwälte seien Sozialist*innen, was ein Foto beweise. Ein beim Treffen von Janša mit der Kommission geplantes Gruppenfoto fand dann definitiv ohne Sozialist*innen statt: EU-Kommissar Timmermans lehnte in Reaktion auf Janšas Verhalten eine Teilnahme am Gruppenbild ab.

Medienpolitisch eifert Janša Ungarn und Polen nach: Der slowenischen Nachrichtenagentur hat er zustehende Gelder vorenthalten, weil er ihre Berichterstattung ablehnt. Journalist*innen hätten zudem Mord- und Vergewaltigungsdrohungen erhalten. Internationale Medien wie ZDF, BBC und France Télévision haben sich sehr besorgt wegen der Pressefreiheit in Slowenien geäußert.

Im Skandal rund um Ungarns LGBTQ-Gesetz erhält Orbán just Unterstützung von Janša. Bei einem ersten Aufeinandertreffen des slowenischen Premiers in seiner Funktion als Ratsvorsitzender mit den EU-Parlamentarier*innen hagelte es Kritik. Einige Abgeordnete zogen sogar direkte Vergleiche zu Ungarns Premier Orbán.

In Slowenien wackelt Janšas Stuhl mittlerweile gehörig. Ein am 11. Juli 2021 durchgeführtes Referendum über ein Wassergesetz wurde mit einer gewaltigen Mehrheit von 86 Prozent der abgegebenen Stimmen abgelehnt. Im Vorfeld hatten Nichtregierungsorganisationen und Expert*innen darüber aufgeklärt, dass das Gesetz den Zugang zu Stränden einschränken, die Qualität des Grundwassers gefährden und Bauvorhaben an Gewässern ausdehnen könnte. Die Regierung wiederum behauptete, sie wollte damit Bauvorhaben eindämmen.

Probleme beim Ratsvorsitz scheinen so vorprogrammiert. Gerade bei Themen rund um die Rechtsstaatlichkeit könnte es zu unerwünschten Verzögerungen kommen. Selbst wenn es unter Slowenien keine Einigung in dieser Frage geben sollte, ist zu erwarten, dass die französische Präsidentschaft, die Anfang 2022 auf Slowenien folgen wird, die Arbeiten rasch vorantreiben wird. Die oftmaligen Vertragsverletzungen insbesondere von Ungarn und Polen dürften spätestens dann erstmals echte Konsequenzen haben.

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