Wieder einmal: Pensions-Schwarzmaler durch aktuelle EU-Projektionen klar widerlegt

17. September 2021

Das österreichische Pensionssystem bietet im internationalen Vergleich eine sehr gute Absicherung auch für die heute Jüngeren. Die öffentlichen Pensionsausgaben steigen trotzdem und trotz der merklich steigenden Lebenserwartung sowie des deutlichen Anstiegs der Zahl der Älteren gemessen am BIP langfristig nur äußerst moderat an. Trotz deutlich wachsenden Anteils der Älteren werden die relativen Pensionsausgaben langfristig nur sehr moderat höher liegen als in den letzten Jahren. Damit werden eigentlich alle „Horrorszenarien“ ad absurdum geführt. Der am 7. Mai veröffentlichte Ageing Report 2021 der EU-Kommission bestätigt einmal mehr die bisherigen Berechnungen der Kommission, dass die langfristige Finanzierbarkeit der Pensionen in Österreich in keiner Weise gefährdet ist. Darüber hinaus liefert er weitere aufschlussreiche Erkenntnisse.

Alternde Gesellschaften, angemessene Pensionen und „finanzielle Nachhaltigkeit“

Einer sachlichen Analyse langfristiger Pensionsausgabenentwicklungen sollten einige grundlegende Klarstellungen vorangehen: Prioritäre Aufgabe eines Pensionssystems ist – auch unter sich demografisch bedingt erschwerenden Rahmenbedingungen –, eine gute und verlässliche Absicherung im Alter zu gewährleisten. Die „finanzielle Nachhaltigkeit“ ist dabei insofern natürlich von Bedeutung, als die Verlässlichkeit der in Aussicht gestellten Leistungen voraussetzt, dass sich deren künftige Finanzierung auch darstellen lässt. Anders gesagt: Es hat wenig Wert, eine gute Absicherung im Alter zu versprechen, wenn diese nicht auch auf einer glaubwürdigen Finanzierungsperspektive basiert. „Finanzielle Nachhaltigkeit“ bedeutet letztlich nichts Anderes als dass heutige Leistungsversprechen in Zukunft auch eingelöst, d. h. finanziert werden können. Dabei geht es in erster Linie natürlich um eine politische Frage. Wissenschaftlich lassen sich keine unstrittigen Grenzwerte der „finanziellen Nachhaltigkeit“ herleiten.

Ein breiter gesellschaftlicher Konsens darüber, was (wie) finanziert werden soll, trägt aber zweifellos ebenso wesentlich zur Systemnachhaltigkeit bei wie der verlässliche Ausblick auf eine gute Absicherung selbst. Denn die Bereitschaft „mehr Geld in die Hand zu nehmen“ wird naheliegenderweise wesentlich größer sein, wenn dadurch auch künftig gute und verlässliche Pensionen für die heute Jüngeren gewährleistet werden, als wenn nur mehr mit miserablen Leistungen gerechnet werden kann.

Angesichts der demografischen Entwicklung sollte man meinen, dass es – wenn man das Schlagwort der Generationengerechtigkeit ernst nimmt – eigentlich auf der Hand liegt, dass für die anteilsmäßig deutlich wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren zukünftig zumindest auch ein etwas größeres Stück des (wachsenden) Gesamtkuchens reserviert werden sollte, um auch den heute Jüngeren gute Sicherungsniveaus gewährleisten zu können und steigende Altersarmut zu vermeiden. Jeden auch noch so moderaten Anstieg öffentlicher Pensionsausgaben als Ausdruck „mangelnder finanzieller Nachhaltigkeit“ zu diskreditieren, hat jedenfalls keine sachliche Begründung, sondern belegt vielmehr eine politische Werthaltung, die angesichts des Ausmaßes der demografischen Verschiebungen nur als widersinnig bezeichnet werden kann.

Klare Bestätigung der österreichischen Reformstrategie durch EU-Langfristprojektionen

Die österreichischen Pensionsreformen sind letztlich – nach Abwehr der Pläne der „Schüssel-Regierung“ Anfang der 2000er-Jahre – nicht dem internationalen pensionspolitischen Mainstream gefolgt, der seit rund 30 Jahren unter dem Vorwand des demografischen Wandels ein Zurückdrängen umlagefinanzierter öffentlicher Pensionen und eine Verlagerung hin zu „kapitalgedeckter“ privater bzw. betrieblicher Vorsorge betreibt und der sich mittlerweile klar als Irrweg herausgestellt hat. Österreich setzt weiterhin auf ein starkes öffentliches, breit einbindendes und künftig einheitliches Pensionssystem.

Die Dämpfung der Ausgabenentwicklung erfolgt dabei nicht durch eine deutliche Kürzung der öffentlichen Pensionen, sondern in erster Linie durch eine Anpassung der Leistungszusage – auch zukünftig gute Sicherungsniveaus, allerdings bei im Durchschnitt merklich späterem Pensionsantritt – sowie durch die langfristige Angleichung der großzügigeren Sondersysteme für BeamtInnen an die Pensionsversicherung. Das österreichische Pensionskonto bietet dabei auch den heute Jüngeren sehr gute Sicherungsniveaus. Aber lässt sich das angesichts der Alterung auch finanzieren?

Aktuelle EU-Langfristprojektionen zu alterungsbedingten Ausgabenentwicklungen bestätigen einmal mehr hohe Stabilität

Die Ergebnisse im Basisszenario des Ageing Reports 2021 sind – wenig überraschend – mittelfristig stark von den Folgen der Pandemie geprägt, langfristig bestätigen sie aber klar die Ergebnisse der bisherigen Berechnungen, die ein hohes Maß an Stabilität ausweisen. In folgender Grafik werden die Pensionsaufwendungen gemessen am BIP laut den Ageing Reports 2018 und 2021 verglichen und der voraussichtlichen Entwicklung des Anteils der ab 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung (EUROSTAT 2020) gegenübergestellt. Die den aktuellen Berechnungen zugrundeliegenden demografischen Projektionen gehen dabei von einem Anstieg des Anteils Älterer bis 2070 im Ausmaß von knapp 60 % (gegenüber 2016) aus.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Dabei zeigen sich insbesondere folgende Entwicklungen bzw. Abweichungen gegenüber den Berechnungen von 2018:

  • Die tatsächliche Entwicklung bis 2019 verlief deutlich „günstiger“ als im Ageing Report 2018 angenommen, die Pensionsausgaben gemessen am BIP im Jahr 2019 (Basisjahr Ageing Report 2021) lagen mit 13,3 % merklich niedriger, als noch vor drei Jahren erwartet wurde (13,9 %), und auch unter dem Wert des Jahres 2016 (13,8 %, Basisjahr Ageing Report 2018). Das ist neben der günstigen Beschäftigungsentwicklung bis zur Pandemie auch dem Umstand geschuldet, dass die Reformen tatsächlich deutlich stärker wirken (effektives Pensionsantrittsalter, Beschäftigungsquoten in den höheren Altersgruppen), als im Basisszenario der Ageing Reports unterstellt wurde und auch nach wie vor unterstellt wird.
  • Bedingt durch die Auswirkungen der Pandemie kommt es 2020 zu einem deutlichen Anstieg der relativen Pensionsaufwendungen gemessen am BIP. Dies ist im Wesentlichen die Folge des massiven BIP-Einbruches, der die Relation zwangsläufig vorübergehend deutlich nach oben treibt. Den jährlich moderat steigenden Pensionsaufwendungen steht im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Krise nicht ein steigendes, sondern ein deutlich gesunkenes BIP gegenüber. Dass die Pensionseinkommen nicht mit der Wirtschaftsentwicklung einbrechen, ist Ausdruck der Systemverlässlichkeit, die neben der Arbeitslosenversicherung, der Kurzarbeit etc. ganz wesentlich zur Krisenüberwindung (automatischer Stabilisator) beigetragen hat. Die Abweichung nach oben gegenüber dem Verlauf laut Ageing Report 2018 schließt sich auf Basis der hier getroffenen Annahmen dann sukzessive bis etwa Ende der 2030er-Jahre.
  • Ab etwa 2040 würde demnach die Entwicklung wieder weitgehend bzw. dann vollständig den Ergebnissen des Ageing Reports 2018 entsprechen, auch die Werte für das Jahr 2070 stimmen mit 14,3 % überein. Der Anstieg gegenüber dem Basisjahr 2019 beträgt im Ageing Report 2021 damit zwar 1 Prozentpunkt gegenüber nur 0,5 Prozentpunkte im Ageing Report 2018, der (scheinbar) stärkere Anstieg resultiert aber ausschließlich aus dem niedrigeren Ausgangswert 2019 im Ageing Report 2021 (minus 0,5 Prozentpunkte).

Frühere Pensionsreformen wirken: Anteil Älterer steigt stark, Pensionsausgaben weitgehend stabil

Das Basisszenario des Ageing Reports 2021 bestätigt damit die zentralen Aussagen der bisherigen Langfristprojektionen: Trotz deutlich wachsenden Anteils der Älteren werden die relativen Pensionsausgaben langfristig nur sehr moderat höher liegen als in den letzten Jahren. Die Unkenrufe von einer angeblich „drohenden Unfinanzierbarkeit“ der Pensionen für die heute Jüngeren werden hierdurch klar widerlegt. Die Zahlen zeigen vielmehr, dass durchaus auch ein gewisser Spielraum für Abweichungen nach oben besteht.

Auch wenn die umfassenden Reformen des österreichischen Pensionssystems von manchen beharrlich ignoriert werden, zeigen sie in den Langfristprojektionen ihre Wirkung. Es kann also nicht darum gehen, wie durch weitere „Reformen“ die Pensionsausgaben für die heute Jüngeren zusätzlich nach unten gedrückt werden können. Gefragt wären vielmehr Strategien, die in den nächsten beiden Jahrzehnten in sozialpolitisch und ökonomisch sinnvoller Weise zu einer Glättung des Ausgabenanstiegs beitragen können. Letztlich werden Ausmaß und Dauer der pandemiebedingten Abweichungen nach oben auch erheblich davon abhängen, ob die Politik ambitioniert gegensteuert oder nicht. Zur Einschätzung der Sinnhaftigkeit von pensionspolitischen Strategien bietet sich eine nähere Analyse zweier ebenfalls im Ageing Report gerechneten Szenarien an:

Szenario 1 – Steigende Beschäftigungsquoten ab 55

Das Szenario deutlich steigender Beschäftigungsquoten in den höheren Altersgruppen und damit eines deutlich stärkeren Anstiegs des effektiven Pensionsantrittsalters kommt der österreichischen Reformstrategie und auch der bisherigen Entwicklung am nächsten. Hier wird angenommen, dass die Beschäftigungsquoten der ab 55-Jährigen auf Werte ansteigen, die um 10 Prozentpunkte höher liegen als im Basisszenario. Das Basisszenario geht – abweichend von der bisherigen Entwicklung – allerdings von insgesamt nur sehr moderaten Zuwächsen (bei den Männern sogar von einer abnehmenden Beschäftigungsquote) aus, was sich (neuerlich) als deutlich zu pessimistisch herausstellen dürfte. Auch in diesem Szenario bleiben die erheblichen Potentiale zur besseren Erwerbsintegration vor dem Alter von 55 gänzlich ausgeblendet, aber es wird zumindest die zentrale Strategie der besseren Erwerbsintegration adressiert.

Die höheren Beschäftigungsquoten und das höhere effektive Pensionsantrittsalter führen hier nicht nur zu höheren durchschnittlichen Pensionsleistungen, sondern gleichzeitig auch zu einer stärkeren Stabilisierung der relativen Pensionsausgaben. Diese würden nahe um 14 % des BIP schwanken. Der maximale Wert in der demografisch schwierigsten Phase um 2035 liegt mit 14,5 % unter dem aktuellen krisenbedingten Höchstwert. Tatsächlich geht es hierbei nicht um zusätzliche Ausgabendämpfungen, sondern um eine sinnvolle Ausgabenglättung, denn den Einsparungen durch den späteren Pensionsantritt (kürzere durchschnittliche Bezugsdauer) stehen dann höhere Pensionsleistungen gegenüber.

Szenario 2 – Anbindung des gesetzlichen Pensionsalters an die fernere Lebenserwartung

Auch das Szenario „Anbindung des gesetzlichen Pensionsalters an die Lebenserwartung“ ist äußerst aufschlussreich und bestätigt die eindringlichen Warnungen vor einem solchen Irrweg: Die relativen Ausgaben liegen hier bis etwa 2035 nur relativ gering unter jenen des Basisszenarios, brechen dann aber stark ein und würden gegen Ende des Projektionszeitraums mit nur mehr rund 12,8 % deutlich unter dem Niveau der letzten Jahre liegen, und das bei einem gleichzeitig massiven Anstieg der Zahl der dann Älteren! Mit anderen Worten: Die heute Jüngeren müssten demnach künftig trotz deutlich späteren Pensionsantritts mit erheblich niedrigeren Leistungen auskommen, ohne dass es hierfür irgendeine „Notwendigkeit“ gäbe. Die Darstellung eines solchen Vorschlags als sinnvolle Antwort auf die demografische Entwicklung oder gar als Beitrag zur „Sicherung der Pensionen der heute Jüngeren“ kann nur als Unsinn bezeichnet werden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog
Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/. Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung