Pensionen - Spurensuche nach "Kostenexplosion" und "Milliardenloch"

17. Februar 2014

Ein Dauerbrenner der Sozialpolitik ist die Finanzierung der gesetzlichen Pensionen. Schlagworte wie  Kostenexplosion und Milliardenloch werden von diversen Experten regelmäßig kolportiert und finden ebenso regelmäßig Gehör in den Medien. Die in den Online-Versionen oft sogar mitten im Text platzierten Werbeeinschaltungen der Anbieter von Privatpensionen lassen vermuten warum das so ist.

Das liest sich dann z.B. so: „… bis 2060 steigen die staatlichen Zuschüsse ins Pensionssystem von derzeit 8,7 auf (valorisiert) knapp 37 Milliarden Euro“ (Format 49/2013). Die Botschaft liegt auf der Hand: a) Der Kollaps ist vorprogrammiert! b) Jugendliche, die im Alter nicht verarmen wollen, sollten besser gestern als heute beginnen, in eine private Altersvorsorge einzuzahlen!

Im Folgenden werden die Finanzierungsperspektiven der öffentlichen Alterssicherung kurz beleuchtet und aufgezeigt, dass sie viel besser sind, als man  uns weiszumachen versucht. Die vielen bereits durchgeführten Pensionsreformen lassen erwarten, dass der BIP-Anteil der öffentlichen Pensionsausgaben im Jahr 2060 nur wenig höher liegen wird als heute. Und das obwohl den Prognoserechnungen ein Anstieg des Anteils der Altersgruppe 65+ an der Gesamtbevölkerung von derzeit 18 % auf dann 29 % zugrunde gelegt wird.

Vorweg noch eine kurze Anmerkung zur immer wieder auftauchenden Forderung nach einer (weiteren) „großen Pensionsreform“ um die  Zuzahlung eines „Bundesbeitrags“ obsolet werden zu lassen.  Die simple Konsequenz wären weitere dramatische Pensionskürzungen vor allem für die heute Jüngeren und/oder eine massive Anhebung ihres Pensionsalters! Dass derartige Forderungen mit der vermeintlichen Sorge um die Alterssicherung gerade der Jüngeren begründet werden, entbehrt nicht einer gewissen Chuzpe! Tragisch ist, dass viele darauf hereinfallen.

 1) Wann kommt es zur Kostenexplosion?

Der aktuelle Bericht der Pensionskommission über die langfristige Entwicklung der gesetzlichen Pensionsversicherung (PV) und Berechnungen des BMF zu den Beamtenpensionen lassen folgende Entwicklung erwarten:

Entwicklung der Altenquote und der öffentlichen Pensionskosten 2012-2060

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Quellen: Pensionskommission 2013; BMF 2012; eigene Berechnungen

In Anbetracht der massiven demographischen Verschiebung sind die in Aussicht gestellten Steigerungen der erforderlichen BIP-Anteile für den Pensionsaufwand (gesamt) als durchaus moderat einzustufen. Jedenfalls kann von einer „Kostenexplosion“ keine Rede sein. Hintergrund  ist die Tatsache, dass bereits seit Mitte der 1980er-Jahre etliche Reformen in den öffentlichen Pensionssystemen gesetzt wurden. Damit wurde eine erhebliche Dämpfung des ursprünglich wesentlich höher eingeschätzten Kostenanstiegs bewirkt. Bei den Ausgaben für Beamtenpensionen wird – als Folge der vielen Ausgliederungen aus dem öffentlichen Dienst, der starken Rücknahme der Zahl der Pragmatisierungen und der leistungsrechtlichen Gleichstellung der jüngeren Beamten mit den ASVG-Pensionen – nunmehr sogar ein Rückgang von derzeit 3,5 % auf 1,4 % des BIP im Jahr 2060 erwartet.

Klar ist, dass es sich bei den ausgewiesenen BIP-Anteilen um enorme Summen handelt, deren Finanzierung eine permanente Herausforderung darstellt und entsprechende Anstrengungen erfordert. Aktueller Handlungsbedarf besteht vor allem bei der Sicherung der Beitragseinnahmen (Reduktion der Arbeitslosigkeit, Zurückdrängung prekärer Arbeitsformen, Lohnsteigerungen entsprechend dem Produktivitätsfortschritt) und beim faktischen Pensionsalter (Erhöhung der Beschäftigungsquoten  Älterer). Letzteres wird durch die im neuen Regierungsprogramm vorgesehene Einführung eines Bonus/Malus-Systems hoffentlich einen kräftigen Impuls erhalten. Neu ist dabei vor allem, dass Unternehmen ab 2017 eine Malus-Zahlung zu leisten haben, wenn sie keine oder nur wenige Ältere beschäftigen.

Klar sollte allerdings auch sein, dass in Anbetracht der angeführten Werte kein Grund zur Panikmache besteht – vor allem wenn man Folgendes bedenkt:

a)      Die oft beschworene Generationengerechtigkeit lässt sich bei einem starken Anwachsen des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung nur realisieren, wenn ein gewisser Anstieg der anteiligen Aufwendungen für die Älteren in Kauf genommen wird.

b)   Den errechneten BIP-Anteilen liegen vorsichtige (und zum Teil wohl übervorsichtige) Annahmen zugrunde wie z.B. die Einschätzung, dass das durchschnittliche Pensionseintrittsalter im Jahr 2060 lediglich 60,8 sein wird (im neuen Regierungsprogramm wird bereits für das Jahr 2018 ein durchschnittliches Antrittsalter von 60,1 angepeilt).

Worauf stützt sich die behauptete Kostenexplosion? Soweit zumindest halbwegs sachlich argumentiert wird, bieten sich dafür folgende Anhaltspunkte:

  • Die Pensionskommission erhielt vom Gesetzgeber im Jahr 2004 den – bis heute gültigen – Auftrag, sich nur mit der Entwicklung der gesetzlichen Pensionsversicherung und nicht auch mit den Beamtenpensionen zu befassen. Die bloße Betrachtung nur der Pensionsversicherung führt aber in der Langzeitbetrachtung zu einem sehr verzerrten Bild. Durch die bereits erwähnten  Ausgliederungen und stark reduzierten Pragmatisierungen wird es nämlich zu einer massiven Kostenverlagerung von den Beamtenpensionen hin zur Pensionsversicherung kommen. Dem Kostenanstieg in der Pensionsversicherung muss bei sachlicher Betrachtung folglich der  Kostenrückgang bei den Beamtenpensionen gegenübergestellt werden. Nur die  Gesamtbetrachtung ermöglicht eine aussagekräftige Gesamteinschätzung der Pensionskosten für die  öffentlichen Haushalte. Erfreulich ist, dass im neuen Regierungsabkommen eine Ausweitung des Mandats der Pensionskommission auf alle öffentlichen Pensionsausgaben in Aussicht gestellt ist.
  • Die Pensionskommission ist auf Basis der Festlegungen im Jahr 2004 dazu verpflichtet, die Ausgabenentwicklung der Pensionsversicherung in Relation zu einem damals errechneten „Referenzpfad“ darzustellen. Die Einhaltung des Pfades würde darauf hinauslaufen, dass der erforderliche BIP-Anteil für den öffentlichen Pensionsaufwand Mitte der 2030er-Jahre seinen Höhepunkt erreicht und dann stark zurückgeht. Politisch betrachtet spiegelt sich darin das Ziel der damaligen Bundesregierung, die Alterssicherung der Jüngeren viel weniger auf öffentliche Pensionen und viel mehr auf Privatvorsorge zu stützen. Ein beredtes Zeugnis vom Ergebnis dieser Strategie bieten die mehr als ernüchternden Erfahrungen mit dem im Jahr 2002 ins Leben gerufenen – und inzwischen mehrfach reformierten – Schüssel-Grasser Produkt „prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge“.  Wie der „Referenzpfad“ rechnerisch zustande gekommen ist, ist nicht dokumentiert. Unter anderem dürfte die ab etwa 2030 einsetzende massive Kostenverschiebung von den Beamtenpensionen hin zur Pensionsversicherung übersehen worden sein.  Aus heutiger Sicht macht die Bezugnahme auf diesen Pfad  aber auch aus anderen Gründen wenig Sinn: Sowohl die Demographen als auch die Wirtschaftswissenschafter haben ihre damaligen Einschätzungen inzwischen massiv revidiert. Den aktuellen Prognose-Rechnungen liegen folglich wesentlich andere demographische und ökomische Werte zu Grunde als dem „Referenzpfad“ aus dem Jahr 2004.

Hochgradig unseriös wird es, wenn – wie im eingangs angeführten Zitat – in der Langfristbetrachtung zusätzlich zur Ausklammerung der Entwicklung bei den Beamtenpensionen auch noch mit Geldbeträgen ohne jegliche Bezugsgrößen argumentiert wird. Es ist evident irreführend, wenn im Abstand von 50 Jahren auf einen Kostenanstieg von 8,7 auf 37 Mrd. Euro verwiesen wird ohne z.B. auf die rechnerisch zu Grunde liegende Einschätzung der BIP-Entwicklung in diesem Zeitraum hinzuweisen.

2. Wo ist das „Milliardenloch“?

In Verbindung mit der vermeintlichen Unfinanzierbarkeit taucht fast immer der Hinweis auf ein bereits jetzt gegebenes „Milliardendefizit“ auf. Dieses ergibt sich, wenn die Teilfinanzierung der österreichischen Pensionsversicherung aus Steuer- bzw. Bundesmitteln mit einer Defizitabdeckung gleich gesetzt wird. Implizit wird dabei unterstellt, dass es im Wesen einer gesetzlichen Pensionsversicherung liegt, zu 100 % aus Beitragszahlungen finanziert zu werden. Zuzahlungen aus Steuermitteln werden bestenfalls dann akzeptiert, wenn sie als „Beiträge“ für genau definierte Leistungskomponenten bzw. „Ersatzzeiten“ gezahlt werden.

Welcher Logik die Einforderung einer reinen Beitragsfinanzierung folgt, ist schwer nachvollziehbar. Es sei nur daran erinnert, dass bereits die unter Bismarck im 19.Jhdt in Deutschland aufgebaute Pensionsversicherung auf dem Prinzip einer Drittelfinanzierung basierte (je 1/3 Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Staat). In Österreich wurde eine ähnliche Idee im Jahr 1956 von den Schöpfern des ASVG zugrunde gelegt. Offenbar war man – zu Recht – der Meinung, dass eine Mitfinanzierung aus Steuermitteln durchaus Sinn macht bzw. dass nur über diesen Weg eine adäquate Altersversorgung erreichbar ist (es sei denn, es würden viel höhere Beitragssätze angesetzt).

Klar ist, dass bei einer Finanzierungsarchitektur die Bundeszuzahlungen mit einschließt darauf geachtet werden muss, dass es zu keiner überbordenden Belastung des Bundesbudgets kommt. Bisher ist das ziemlich gut gelungen. So lag z.B. der Bundesbeitrag (PV) vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 mit 2,30 % des BIP auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in der 2.Hälfte der 1980er-Jahre, wo Werte bis zu 3,0 % (1987) erreicht wurden. Der noch immer kräftig nachwirkende BIP-Einbruch 2009 führte dann allerdings zu einem deutlichen Anstieg (auf 2,7 % des BIP), derzeit liegt der Bundesbeitrag bei 2,8 %. Im Mittelfristgutachten der Pensionskommission vom Oktober 2013 wird – nicht zuletzt wegen der pessimistischen Einschätzung der Entwicklung des Arbeitsmarkts – bis 2018 ein Anstieg auf 3,25 % prognostiziert. Bei der Erstellung des  neuen Regierungsprogramms wurde die Vermeidung eines derartigen Kostenanstiegs als eine der zentralen Herausforderungen betrachtet. Gelingt es z.B., die letztlich festgelegten Zielwerte beim durchschnittlichen Pensionsantrittsalter  und bei den Beschäftigungsquoten Älterer zu erreichen, so wird der Bedarf an Bundesmitteln wesentlich geringer ausfallen.

Ergänzend bleibt anzumerken, dass bei konsequenter Anwendung der Philosophie Bundesbeitrag=Defizit folgende Defizitgrößen vorliegen würden: ASVG 18 %, GSVG (Gewerbetreibende) 41 % und BSVG (Bauern) 84 % – und das sind bei den Gewerbetreibenden und Bauern die dort gegebenen „Partnerleistungen“ des Bundes noch gar nicht mitgerechnet. Vorschläge der Proponenten einer Streichung des Bundesbeitrags, die Pensionszahlungen in GSVG und BSVG um 41 % bzw. 84 % zu reduzieren,  waren bisher allerdings nicht zu vernehmen. Genauso wenig wie die bei den ASVG-Pensionen gerne ins Spiel gebrachte Alternative einer – den Einnahmenverlust kompensierenden – (entsprechend drastischen) Anhebung des Pensionsalters bei diesen Gruppen.

Zu hoffen bleibt, dass es über kurz oder lang gelingt, die Experten in Sachen „Kostenexplosion“ und  „Milliardenloch“ zu einem Überdenken ihrer Katastrophen-Rhetorik zu bewegen. Die sachliche  Auseinandersetzung mit den vielen tatsächlich bestehenden Herausforderungen und ihre Bewältigung würden dadurch erheblich erleichtert werden.